Berlin. China hat ein Papier zur Beilegung des Ukraine-Kriegs vorgelegt. Ist das die Chance auf einen Durchbruch? Man muss genau hinschauen.

Bringt das frischen diplomatischen Wind zur Beendigung des Ukraine-Kriegs? Das Papier sieht auf den ersten Blick vielversprechend aus. Die Regierung in Peking hat einen Zwölf-Punkte-Plan mit dem Titel „Position Chinas zur politischen Lösung der Ukraine-Krise“ vorgelegt. Aber was steckt wirklich dahinter? Wir analysieren die wichtigsten Sätze und erklären, was sie wirklich bedeuten.

„Alle Parteien sollten Russland und die Ukraine unterstützen, in die gleiche Richtung zu arbeiten und letztendlich einen umfassenden Waffenstillstand zu erreichen.“

Die Forderung nach einem Waffenstillstand hört sich zunächst positiv an – zumal, wenn er „umfassend“ sein soll. Doch der Schein trügt. Russland hat keinerlei Signale ausgesandt, dass es an einem Waffenstillstand interessiert sei. Im Gegenteil: Präsident Wladimir Putin hat gerade wieder deutlich gemacht, dass sein Land in der Ukraine für seine „historischen Gebiete“ kämpfe.

Russland bekäme eine Atempause, um seine strapazierten Truppen neu zu formieren

Wenn Putin an seinem Ziel festhält, die Ukraine zu unterwerfen, hätte ein Waffenstillstand nur einen einzigen Sinn: Russland bekäme eine Atempause, um seine strapazierten Truppen neu zu formieren. Ein weiterer Angriff auf die Ukraine wäre nur eine Fragte der Zeit. Also: chinesisches Scheinangebot.

„Dialog und Verhandlungen sind die einzig machbare Lösung für die Ukraine-Krise.“

Wer wäre schon gegen Dialog und Verhandlungen zur Beendigung des Krieges? Aber Vorsicht! Man sollte sich nicht von den chinesischen Friedens-Schalmeien beeindrucken lassen. Moskau ist nur unter der Bedingung zu Verhandlungen mit Kiew bereit, dass die „territorialen Realitäten“ anerkannt werden.

Verräterisch ist, dass China den Ukraine-Kriege als „Krise“ verharmlost

Nach russischer Lesart heißt dies: Nicht nur die 2014 annektierten Krim ist Teil des eigenen Staatsterritoriums. Auch die nach Scheinreferenden angegliederten Gebiete Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson unterstehen dem Kreml. Weiter ist verräterisch, dass China den Ukraine-Krieg als „Krise“ verharmlost. Die begriffliche Politur lenkt von der Brutalität des russischen Angriffskrieges ab.

„Konflikt und Krieg dienen niemandem. Alle Parteien müssen rational bleiben, Zurückhaltung üben. Sie müssen vermeiden, die Flammen anzufachen, und verhindern, dass sich die Krise weiter verschlechtert oder außer Kontrolle gerät.“

Wohltemperierte Diplomaten-Lyrik. Wer wollte dem widersprechen? Doch auch hier steckt der Teufel im semantischen Detail. In der Formulierung „Zurückhaltung üben und vermeiden, die Flammen anzufachen“ ist eine deutliche Spitze gegen den Westen enthalten.

Die russische Aggression und die Verschiebung von Grenzen fallen unter den Tisch

China hat das russische Narrativ übernommen: Die USA und Europa hätten die Ukraine mit Waffen vollgepumpt. Das heize den Krieg an und verhindere eine friedliche Lösung. Die russische Aggression und die eigenwillige Verschiebung von Grenzen fallen in diesem Passus unter den Tisch.

„Die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller Länder muss wirksam aufrechterhalten werden.“

Da mögen manche im Westen vor Erleichterung aufseufzen: Geht es nicht um die Aufrechterhaltung der territorialen Integrität der Ukraine? Aber auch hier gilt es, genau hinzuschauen. Es handelt sich um ein semantisches Vexierbild. Hinter der offensichtlichen Abbildung sind weitere Darstellungen verborgen.

Nach der Interpretation Moskaus sind die Krim und die vier annektierten ukrainischen Gebiete Donezk, Luhansk, Saporischschja und Donezk Teil des russischen Territoriums. Wenn also von „territorialer Integrität“ die Rede ist, meint der Kreml die Anerkennung seiner Eroberungen.

Peking hat sich wieder enthalten – und damit Zweifel an seiner Vermittlerrolle gesät

China hat dieser Einschätzung nicht widersprochen. Dass Peking an der Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine in den international anerkannten Grenzen von 1991 interessiert ist, muss bezweifelt werden. Bei der auch von Deutschland eingebrachten Resolution der UN-Vollversammlung vom Donnerstag ging es um den Rückzug russischer Truppen und die volle territoriale Integrität der Ukraine. Peking hat sich wieder einmal enthalten – und damit Zweifel an seiner wahren Vermittlerrolle gesät.

Verräterisch auch, dass die Volksrepublik nie die Invasion der Russen verurteilt hat. Das Pochen auf Souveränität und territoriale Integrität hat für die Chinesen noch einen Nebensinn. Sie meinen damit auch die Vereinigung der „abtrünnigen Provinz“ Taiwan mit Festland-China.

Peking verlangt, dass die „legitimen Sicherheitsinteressen aller Länder ernst genommen“ werden müssten.

Die „legitimen Sicherheitsinteressen“ sind ein Schlüsselbegriff in der russischen Argumentation. Moskau hatte Mitte Dezember 2021 Noten an die USA und die Nato geschickt. Zentrale Forderung: Die ab 1998 in mehreren Etappen erfolgte Osterweiterung des Militärbündnisses müsse zur Wahrung des „legitimen Sicherheitsinteresses“ Russlands auf den Stand von 1997 zurückgesetzt werden.

Peking stützt Moskau: Nato-Osterweiterung hätte gekippt werden müssen

De facto hätte das geheißen, dass die freien Entscheidungen der mittel- und osteuropäischen Länder, sich der Allianz anzuschließen, gekippt werden müssen. Mit dieser Formulierung unterstützt Peking die Rechtfertigung Moskaus, sich gegen die USA und die Nato verteidigen zu müssen.

Die „Mentalität des Kalten Krieges“ müsse beendet werden, argumentiert China. Die Sicherheit eines Landes sollte nicht auf Kosten anderer gehen. Block-Konfrontation müsse vermieden werden, heißt es in dem Papier.

Den Vorwurf der „Mentalität des Kalten Krieges“ erhebt China meist gegen Amerika. Ohne die Nato namentlich zu nennen, argumentiert der Zwölf-Punkte-Plan, die Sicherheit einer Region sollte nicht durch die Stärkung oder Ausweitung militärischer Blöcke erreicht werden.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Den Pazifik sieht die Volksrepublik als eigenen Hinterhof an

Peking übt hier einen strategischen Schulterschluss mit Moskau. So wie Russland Front macht gegen den Westen in Europa, positioniert sich China gegen den Einfluss des Westens – vor allem der USA – in Südostasien. Den Pazifik sieht die Volksrepublik als eigenen Hinterhof an. Die militärische Präsenz von Amerikanern, Briten oder Franzosen wird als „Natoisierung“ der Region gebrandmarkt.

„Atomwaffen dürfen nicht eingesetzt werden, und Atomkriege dürfen nicht ausgefochten werden.“ Auch die Drohung mit dem Einsatz von nuklearen Waffen sei abzulehnen.

Das ist die deutlichste Distanzierung von Russland im Zwölf-Punkte-Plan. Bereits beim G20-Gipfel Mitte November in Bali hatte Staatschef Xi Jinping den Einsatz von und die Drohung mit Atomwaffen zurückgewiesen – ein klarer Wink an Putin, seine Anspielungen auf das eigene Kernwaffen-Arsenal zu unterlassen. Aber auch hier verfolgt die Volksrepublik nationaler Interessen: Die aufstrebende ökonomische Supermacht will ihre wirtschaftliche Expansion nicht durch nukleare Disruptionen gefährden.