Berlin. Der Wirtschaftsminister hat viele wenig grüne Entscheidungen getroffen. Am Wochenende muss er sie beim Parteitag in Bonn erklären.

Ein kurzes, müdes Lächeln ringt Robert Habeck sich zur Begrüßung ab, als er am Mittwoch vor die Journalistinnen und Journalisten tritt, dann wird sein Gesichtsausdruck wieder ernst. Er ist gekommen, um die wenig frohe Botschaft der Herbstprojektion zu überbringen, die sich zusammenfassen lässt als: Es wird schlecht, aber nicht so schlecht, wie es hätte werden können. Die Maßnahmen, die Bundesregierung ergriffen habe, sie hätten gewirkt, sagt Habeck am Mittwoch.

Milliardenschwere Unterstützung für Gasimporteure, Kohlekraftwerke zurück am Netz und mindestens zwei Atomkraftwerke, die über das Ende des Jahres hinaus Strom liefern sollen – viele der Entscheidungen, die der Wirtschaftsminister seit Beginn des Ukraine-Kriegs getroffen hat, hätten die Grünen sich nicht träumen lassen, als sie vor rund zehn Monaten zustimmten, erneut in eine Regierung zu gehen.

Wenn die Partei sich am Wochenende im World Conference Center Bonn zum ersten Mal seit 2019 in voller Stärke zum Parteitag trifft, ist es deshalb auch eine Begegnung zwischen einem etwas entgrünten Minister und seiner Partei.

Habeck: Ausgerechnet die FDP könnte dem Vizekanzler nützlich werden

Eines der für die Grünen heikelsten Themen steht dabei gleich am Freitagabend auf dem Programm: Habeck und die Parteispitze wollen sich Rückendeckung holen für ihren eingeschlagenen Kurs bei der Atomkraft. Für den „äußersten Notfall“, heißt es aktuell noch im Leitantrag, „so unwahrscheinlich er auch sein mag“, wolle die Partei einer Einsatzreserve für die beiden süddeutschen Atomkraftwerke zustimmen. Doch so unwahrscheinlich ist dieser Fall nicht mehr – Habeck rechnet damit, dass Isar 2 und Neckarwestheim Anfang 2023 noch laufen. Noch zu Beginn des Jahres schien das undenkbar.

Ausgerechnet der schwierige Koalitionspartner von der FDP könnte jetzt dazu beitragen, dem Minister an dieser Stelle größere Debatten zu ersparen: Denn angesichts der Forderungen der Liberalen, den Ausstieg mit der Bestellung neuer Brennelemente um mehrere Jahre zu verschieben, dürften die Grünen sich hinter ihrem Minister versammeln, und Habeck unterstützen bei seiner Linie, dass im April 2023 dann aber wirklich Schluss sein muss.

Unangenehmer könnte da schon der Sonntag werden. Dann nämlich soll es darum gehen, wie die Grünen in der Ampel-Koalition dafür sorgen können, dass trotz aller fossilen Notfallmaßnahmen in der Krise die mittel- und langfristigen Klimaziele erreicht werden. Als großen Erfolg auf dem Weg dahin hatte Habeck die kürzliche geschlossene Vereinbarung mit RWE gefeiert, den Kohleausstieg im Rheinischen Revier auf 2030 vorzuziehen.

Lesen Sie auch: Gaspreise sinken stark: Was heißt das für Verbraucher?

Grüne: Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien sorgt für Ärger

Doch das sehen nicht alle in der Partei so: Vor allem jüngere Grüne werfen der Bundesregierung und der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen vor, für dieses Ergebnis das Fortbestehen des Dorfs Lützerath zu opfern – ohne, dass es notwendig gewesen wäre. Das Dorf, das inzwischen nicht mehr bewohnt ist, war in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Symbol im Kampf gegen die Klimakrise geworden. Heftig kritisiert hatte die Entscheidung deshalb die Grüne Jugend, die Lützerath auch in Bonn zum Thema machen will.

Doch nicht nur in Energiefragen könnten auf Habeck und die grüne Regierungsmannschaft Debatten zukommen. Auch eine kürzlich getroffene Entscheidung des Bundessicherheitsrats sorgt bei erheblichen Teilen der Partei und auch unter Funktionsträgern für Ärger. Das Gremium, dem auch Habeck und die grüne Außenministerin Annalena Baerbock angehören, hatte vor wenigen Wochen erlaubt, dass im Rahmen eines gemeinsamen Projekts mit Italien, Spanien und Großbritannien der Weg freigemacht wird für die Lieferung von Ausrüstung und Munition für Kampfflugzeuge nach Saudi-Arabien – und das trotz der Beteiligung des Landes am Jemen-Krieg und eines eigentlich geltenden weitgehenden Exportstopps.

Ein Fehler, sagt unter anderem Außenpolitiker Jürgen Trittin: „Ich halte den Zeitpunkt und die Art der Waffenlieferungen für falsch“, sagte er dieser Redaktion. „Es gibt keinen stabilen Waffenstillstand für den Jemen.“ Man hätte die Entscheidung deshalb mindestens aussetzen müssen.

Die Parteispitze versucht, das Thema Waffenlieferungen zu entschärfen

Nicht nur er sieht das so: Mehr als 100 Grüne, darunter zahlreiche prominente Bundestagsabgeordnete, haben vor dem Parteitag einen Änderungsantrag unterzeichnet, der hart mit der Parteiführung ins Gericht geht. Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Beteiligte im Jemen-Krieg seien „inakzeptabel“, heißt es da unter anderem, und stünden im Widerspruch zu außenpolitischen Linien, für die sich die Partei einsetzt.

Waffenlieferungen an einen Staat, dessen Angriffe immer wieder auch Zivilbevölkerung treffen – auch das ist ein Thema, das an den Kern grünen Selbstverständnisses rührt. Und deshalb eines, dass der Parteivorstand möglichst vor dem Wochenende lösen will, in dem sie die Kritik in den eigenen Leitantrag einarbeitet, damit es nicht zur Abstimmung kommt. Man sei in intensiven Gesprächen mit den Antragstellerinnen und -stellern, sagt Bundesgeschäftsführerin Emily Büning dazu am Mittwoch, und „auf einem guten Weg der Einigung“. Alle Konflikte werden die Partei und ihre Minister allerdings nicht auf diese Art wegmoderieren können.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.