Berlin. Noch immer erleben Transmenschen Schikane, Hetze und Attacken in Deutschland. Das Thema gehört endlich auf die große politische Agenda.

Es gibt dieses irreführende Bild in der Öffentlichkeit: Transmenschen, das sind die, die in bunten Kostümen zu lauter Techno-Musik feiern. Party, Sex, Ausgelassenheit – jedes Jahr reproduzieren Medien dieses Klischee vom „Paradiesvogel“, wenn sie Fotos von verkleideten oder oberkörperfreien Feiernden auf der Parade zum „Christopher Street Day“ (CSD) oder Fotos von Kunstfiguren wie einer „Drag Queen“ mit Glitzerkostüm zeigen.

Diese Ausgelassenheit gibt es. Aber das ist nur ein Teil des Lebens, wahrscheinlich ein eher kleinerer Teil neben Arbeit, Familie, Hobbys. Wie bei allen Menschen, so auch bei Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Queeren, Intersexuellen, Transmenschen (LGBTQI). Doch dieses Zerrbild führt dazu, dass Personen, die nicht den tradierten Modellen von Mann und Frau entsprechen, als „Exoten“ wahrgenommen werden. Als Randfiguren einer „normalen Gesellschaft“.

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Das ist fatal. Nicht die Transmenschen sollten am Rand der Gesellschaft stehen – sondern Hetzer, Gewalttäter, Transfeinde.

Hass gegen Transmenschen und Homosexuelle drängt stärker in die Öffentlichkeit

Malte C. starb am Rande des CSD in Münster. Ein Täter prügelte auf ihn ein, weil der 25 Jahre alte C. sich schützend vor zwei lesbische Frauen stellte. In Bremen griffen Jugendliche eine Transfrau in der Straßenbahn an, beleidigten sie, schlugen ihr ins Gesicht. Zwei Meldungen aus diesen Tagen.

Christian Unger, Politik-Korrespondent
Christian Unger, Politik-Korrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Die allermeisten Fälle von Gewalt gegen Menschen aufgrund ihrer Sexualität finden gar nicht den Weg in die öffentliche Debatte. Viele Opfer schweigen, viele haben Angst, sich an die Polizei zu wenden. Aktivistinnen und Aktivisten berichten, dass sie auf Polizeiwachen oder vor Gericht in einigen Fällen noch immer nicht ernst genommen werden. „Exoten“, halt. Diese Haltung ist rückständig und befördert Hass.

Die Gewalt gegen Transmenschen, aber auch gegen Homosexuelle, ist nicht neu. Doch der Hass drängt stärker in die Öffentlichkeit. Hetze wird salonfähig. In Ungarn und Russland schaffen die autoritären Regierungen Gesetze, die die Gesellschaft spalten und gegen LGBTQI-Aktivistinnen und Aktivsten aufstacheln. Regime wie Iran bestrafen Homosexualität rigoros. Und die katholische Kirche grenzt noch immer alles systematisch aus, was nicht Mann oder Frau ist.

Der Hintergrund des Täters von Münster ist Teil des Problems

Die Gewalttat von Münster zeigt noch eine andere Gefahr: Junge Männer aus muslimisch geprägten Familien und Kulturen wachsen mit dem Hass gegen Homosexuelle auf. Einzelne werden gewalttätig. Der mutmaßliche Täter von Münster kommt aus Tschetschenien, ein Land, in dem Schwule, Lesben, Transmenschen brutal geächtet und verfolgt werden. Das muss klar benannt werden. Der Hintergrund des Täters von Münster ist Teil des Problems.

Keine Religion ist transfreundlich. Doch gerade in konservativen, stark religiösen Milieus muss der Staat den liberalen Rechtsstaat offensiver verteidigen. Das Recht zur freien Ausübung des Glaubens ist ein hohes Gut – doch Grundrecht darf nicht vor Aufklärung und Bildung durch den Staat gerade und gezielt in diesen Gruppen schützen.

Es ist „wissenschaftlich erwiesen“, dass es „die verschiedensten Formen“ der Sexualität gibt. So lautet ein Rechtsspruch des Bundesverfassungsgerichts. Nicht aus diesem Jahr, nicht aus 2002, nicht aus 1992. Sondern von 1978.

Und doch kämpfen Menschen, die sich nicht dem Geschlecht zugehörig fühlen, das ihnen zugeschrieben wurde, seit Jahrzehnten um ihre Gleichstellung. Seit Jahrzehnten erleben diese Menschen Schikanen, Vorurteile – und auch Übergriffe. Darüber müssen wir reden. Nicht erst, wenn Menschen wie Malte C. sterben.