Berlin. Jede achte Kita in Deutschland ist „Sprach-Kita“, das Programm gilt als sehr erfolgreich – doch es soll enden. Der Ärger ist groß.

Bei den „Tausendfüßlern“ in Neuhaus haben sie unter anderem ein Kamishibai angeschafft, erzählt Thomas Walther. Das ist ein japanisches Bildertheater, zu dem die Kinder selbst Geschichten erzählen können. Sie haben mehr Bücher gekauft, als sie das sonst getan hätte, sie haben gemeinsam mit den Familien in Projekten gelernt, aus welchen Ländern die Vornamen der Kinder eigentlich herkommen. „Wir haben uns für ganz viele Alltagssituationen Konzepte überlegt, wie wir am besten mit den Kindern sprechen, wie wir nebenbei Sprache vermitteln“, sagt Walther. Denn genau das sollte vorangebracht werden, als der Bund 2016 das Programm der Sprach-Kitas in die Welt rief.

Der integrative Kindergarten „Tausendfüßler“ in Thüringen ist eine von 6900 Sprach-Kitas in Deutschland. Seit 2016 fördert der Bund damit die sprachliche Bildung im frühkindlichen Bereich, vor allem Kinder mit einer anderen Muttersprache als Deutsch sollten profitieren. In jeder achten Einrichtung arbeiten Pädagoginnen, Logopäden und andere Fachkräfte, die aus dem Programm bezahlt werden, rund 7500 sind es insgesamt. Sie wurden in den vergangenen Jahren weitergebildet, haben sich ausgetauscht und Netzwerke geschmiedet und würden dabei unterstützt von eigens geschaffenen Fachberatungsstellen.

Sprach-Kitas: Warnungen vor „fatalem Fehler“

Doch damit soll bald Schluss sein. Das Förderprogramm endet mit dem Jahr 2022. Und die Ampel-Koalition hat keine Pläne, es zu verlängern. Im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP noch festgehalten, das Programm „weiterentwickeln und verstetigen“ zu wollen. Fachleute, Verbände, die Bildungsgewerkschaften, die Länder und die Opposition im Bund kritisieren die Entscheidung, das Programm auslaufen zu lassen, einhellig scharf.

Das „erfolgreichste Kita-Programm des Bundes“ solle da eingestellt werden, erklärte die Bundeselternvertretung der Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege (BEVKi) und nennt den Schritt einen „fatalen Fehler mit langfristigen, negativen Folgen für die Qualität der Betreuung der Kinder.“ Die Elternvertretung unterstützt eine am Mittwoch gestartete Kampagne zur Rettung des Programms.

Gerade jetzt, wo viele ukrainische Kinder in deutschen Kitas betreut werden, würden die Stellen und Kompetenzen der Sprachfachkräfte dringend gebraucht, sagt auch die Caritas. Es sei „allerhöchste Zeit, dass sie nach den Sommerferien einen regulären Kitaplatz bekommen“, sagte Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa, dieser Redaktion. Die Kitas seien aber bereits extrem belastet, es gebe nicht genug Erzieherinnen und Erzieher, nicht genug Kita-Plätze. „Und in dieser Situation streicht die Bundesregierung das Programm für die Sprach-Kitas! Man kann sich nur an den Kopf fassen.“

Verantwortlich sind in Zukunft die Länder

Das Familienministerium weist darauf hin, dass das Programm von Anfang an als befristet angelegt gewesen sei. Sprachliche Bildung will man allerdings trotzdem fördern, das Thema soll zu einem „prioritären Handlungsfeld“ werden in der geplanten Weiterentwicklung des Gute-Kita-Gesetzes. Das Gesetz aus dem Jahr 2019 hatte den Ländern insgesamt 5,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, die sie wahlweise in den Ausbau der pädagogischen Qualität, eine Abschaffung der Kitagebühren oder beides investieren konnten.

Künftig solle die Qualität im Vordergrund stehen, sagt das Ministerium. „Wir werden daher die sprachliche Bildung zum prioritären Handlungsfeld im Gute-Kita-Gesetz machen“, erklärte eine Sprecherin. Insgesamt stehen durch die Fortentwicklung des Gesetzes 2023 und 2024 je zwei Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt bereit. Aus diesem Geld könnten die Länder unter anderem die Stellen der Sprach-Kitas erhalten. „Es liegt an den Ländern, welche Priorität sie im Bereich der frühkindlichen Bildung setzen und wie sie die sprachliche Bildung weiter unterstützen.“

Kitas: Die Linke kritisiert Ende der Förderung für Beitragsfreiheit

Keine ausreichende Lösung, findet die Linke und kritisiert, die Ampel-Regierung habe eine „soziale Schlagseite“: „Das Sprach-Kita-Programm ist sehr wichtig für Kinder mit Migrationshintergrund und aus sozial benachteiligten Familien“, sagt Parteichef Martin Schirdewan dieser Redaktion. Auch dass neue Maßnahmen zur Beitragsfreiheit nicht mehr gefördert werden sollen, lehnt er ab. „Die Kitas werden nicht besser, wenn immer mehr Menschen Probleme haben werden, die Beiträge zu bezahlen.“

Noch ist das neue Gesetz nicht verabschiedet, bislang gibt es nur einen Referentenentwurf. Und selbst wenn Kabinett und Bundestag die Reform zügig nach der Sommerpause auf den Weg bringen, ist noch nicht gesagt, dass die Länder die Stellen der Sprach-Kitas erhalten.

„Wenn dieses Programm wegfällt, ist das ein Einschnitt in der pädagogischen Arbeit. Bei den Kindern kommt dann weniger an“, sagt Thomas Walther. Und auch ein persönlicher Einschnitt ist es für ihn und tausende Kita-Fachkräfte, deren Stelle an dem Programm hängt. Bei den „Tausendfüßlern“, sagt er, werden die wegfallenden 50 Prozent seiner Stelle nicht vollständig ersetzt werden können. „Das macht meine Perspektive für das nächste Jahr sehr unsicher.“

Und auch um das Netzwerk und das Wissen, dass in den vergangenen Jahren zusammengekommen ist, fürchtet er. Wenn man jahrelang Zeit und Herzblut investiert habe und dass dann einfach wegfalle, „dann ist das ernüchternd und traurig.“