Berlin. Zehntausende Studierende aus der Ukraine wollen in Deutschland weiter lernen. Für Hochschulen könnte das zur Herausforderung werden.

Wenn man mit Katja Krawtsowa spricht, könnte man den Eindruck erhalten, die junge, fröhliche Frau sei eine Studentin wie viele andere – und bis Februar dieses Jahres war sie das auch. Da war die 18-Jährige gerade erst aus ihrem Heimatort Dnipro in die zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw gezogen, um dort Restaurant- und Hotelmanagement zu studieren. Doch dann begann der Krieg und änderte Katjas Leben abrupt.

Nur wenige Tage nach dem Einmarsch der russischen Truppen floh Katja gemeinsam mit ihrem 10-jährigen Bruder über Polen nach Deutschland – zu den Großeltern, die sie bisher nur selten gesehen hatten. Ihre Eltern blieben in der Ukraine, weil der Vater das Land nicht verlassen durfte, erzählt Katja. Seit knapp fünf Monaten lebt sie nun mit ihrem Bruder bei den Großeltern in einer Wohnung im Osten von München.

Die nationale Universität in Charkiw steht nach einem Angriff in Flammen.
Die nationale Universität in Charkiw steht nach einem Angriff in Flammen. © AFP | SERGEY BOBOK

Vor dem Krieg waren in der Ukraine knapp 1,6 Millionen Studierende eingeschrieben. Genau wie Katja sind viele von ihnen allerdings mittlerweile aus dem Land geflohen – unter anderem nach Deutschland. Wie viele ukrainische Studierende sich derzeit tatsächlich in Deutschland befinden ist allerdings schwer zu ermitteln.

Ukraine-Krieg: Etwa 21.000 ukrainische Studierende wollen in Deutschland studieren

Nach aktuellen Zahlen der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) haben bis Juni etwa 21.000 Ukrainerinnen und Ukrainer ein Studieninteresse geäußert. Hinzu kamen noch einmal ungefähr 10.000 Studierende aus Drittstaaten, die in der Ukraine lebten.

Die Zahlen seien jedoch volatil, betont HRK-Präsident Peter-André Alt, auch weil einige bereits in die Ukraine zurückgereist seien. „Es mag eine bedeutende Gruppe geben, die in Deutschland ein Studium aufnehmen und langfristig hierbleiben möchte. Es gibt aber auch solche, die aktuell klar sagen, dass sie in die Ukraine zurückkehren möchten, sobald das wieder möglich ist“, erklärt Alt.

Auch deshalb können die Hochschulen kaum vorhersagen, wie viele Ukrainerinnen und Ukrainer tatsächlich in den nächsten Semestern ein Studium in Deutschland beginnen werden. „Wir müssen über die kommenden Jahre mit einem erhöhten Aufkommen an ukrainischen Studierenden rechnen und sollten uns auf dieses Szenario einstellen“, sagt der Präsident des Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), Joybrato Mukherjee.

Zu Beginn des Krieges schätzte der DAAD, dass knapp 100.000 Studierende hinzukommen könnten. Je nachdem, wie sich der Situation weiterentwickele, sei diese Zahl auch weiterhin realistisch, sagt Mukherjee.

Herbst könnte zur Herausforderung für Universitäten werde

Bisher nehmen nur wenige der ukrainischen Studierenden an Vorlesungen teil, die meisten befinden sich noch in den Vorbereitungen für ein Studium in Deutschland und belegen entweder Sprachkurse oder Studienkollegs. Im Wintersemester, das in der Regel im Oktober beginnt, könnte sich das allerdings ändern.

Für die Hochschulen droht der Herbst daher zur Herausforderung zu werden. „Wir stehen vor einer schwierigen Situation: Wir wissen noch nicht genau, wozu uns die Pandemie im Herbst zwingen könnte. Hinzu kommen die stark erhöhten Energiekosten und die durch den Krieg in der Ukraine möglicherweise steigenden Studierendenzahlen“, erklärt HRK-Präsident Alt. Hinzu kommen organisatorische Fragen, es brauche beispielsweise deutlich mehr Lehrkräfte für Sprachkurse oder aber Studienkollegs, so Alt.

Die jungen Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland gekommen sind, brauchen zunächst vor allem Informationen. Dafür hat der DAAD mit der sognannten Nationalen Akademischen Kontaktstelle Ukraine bereits im März eine eigene Informationsplattform geschaffen. Die Nachfrage sei mit etwa 3500 Aufrufen pro Tag sehr hoch, sagt DAAD-Präsident Mukherjee.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Unterstützt wird die Plattform von der Bundesregierung: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hatte Ende Mai ein Paket in Höhe von etwa neun Millionen Euro für Hilfsmaßnahmen für die ukrainischen Studierenden bereitgestellt. Mit diesen Geldern wurde außerdem das Projekt „Ukraine digital“ gestartet. Damit sollten digitale Plattformen aufgebaut werden, die den Studierenden zu ermöglichen, ihr ukrainisches Studium aus Deutschland im Online-Modus fortzuführen.

Katja will in Deutschland bleiben und hier studieren

Auch Katja nimmt weiterhin online an Vorlesungen ihrer Universität in Charkiw teil. Ob sie ihr Studium allerdings jemals beenden kann, weiß sie nicht. Das sei ihr allerdings auch nicht so wichtig: „Mein Ziel ist es, ein Studium in Deutschland anzufangen“, sagt die junge Ukrainerin. Dafür will sie sich jetzt erstmal darauf konzentrieren, besser Deutsch zu lernen. Fünfmal die Woche geht sie zum Sprachkurs, bis zum Sommer will sie das zweithöchste Sprachlevel C1 erreicht haben, erzählt Katja.

Erleichtert wird ihr die Situation auch dadurch, dass die als ukrainische Staatsbürgerin, anders als Studierende aus Drittstaaten, unkompliziert eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland beantragen konnte. Seit dem 1. Juni könnte sie damit auch Bafög erhalten – sobald sie an einer deutschen Universität immatrikuliert ist.

Zurück in die Ukraine will Katja in jedem Fall nicht. Stattdessen will sie sich jetzt ein Leben in Deutschland aufbauen, erzählt sie. Die größte Hürde sei dabei bisher die zähe deutsche Bürokratie gewesen. „Es war echt kompliziert, alle wichtigen Dokumente in Deutschland zu bekommen“, sagt Katja. Trotzdem ist die 18-Jährige motiviert, im kommenden Jahr ihr Studium zu starten. Dafür will sie bereits im Herbst damit anfangen, sich auf die Bewerbung vorzubereiten – sie wisse ja, dass in Deutschland alles so lange dauere, sagt sie.

Dieser Text erschien zuerst auf morgenpost.de