Elmau. Hilferuf von Ukraine-Präsident Selenskyj beim G7-Gipfel. Der Westen verspricht ihm mehr Hilfe – und verschärft den Kurs gegen Russland.

Wolodymyr Selenskyj gab hinter den verschlossenen Türen des G7-Gipfels einen düsteren Ausblick auf die nächste Etappe des Ukraine-Kriegs. Russland wolle den Krieg in die Länge ziehen, sagte der ukrainische Präsident, als er dem Treffen der Staats- und Regierungschefs in Schloss Elmau per Video zugeschaltet wurde. In den nächsten Monaten wolle Kremlherrscher Wladimir Putin seine Eroberungen festigen, um dann im kommenden Winter eine neue Offensive zu starten.

Vom runden Tagungstisch im „Yoga-Pavillon“ aus sahen Kanzler Olaf Scholz und seine Gäste auf dem Bildschirm einen überaus besorgten Präsidenten: Ein solcher Winter-Krieg würde die Ukraine vor große Probleme stellen, warnte er. Sein Land wolle den Konflikt in diesem Jahr beenden – und dazu brauche es mehr Hilfe.

Selenskyj sagte nach Teilnehmerangaben weiter, die Ukraine habe die Unterstützung der G7 gespürt. Aber jede Verzögerung von Waffenlieferungen ist für ihn eine Aufforderung an Russland, weiter zu marschieren. Zudem seien zusätzliche Sanktionen gegen Russland notwendig. Die Antwort der G7-Chefs, die am zweiten Gipfeltag über den Ukraine-Konflikt berieten, folgte prompt: Der Westen schickt mehr Waffen – und legt bei Sanktionen gegen Russland abermals nach.

Olaf Scholz beim G7-Gipfel: „Wir werden den Druck auf Putin erhöhen“

Keine spontane Entscheidung, klar. Selenskyjs Einschätzung der russischen Strategie kannten mehrere Regierungschefs schon aus dem Hauptquartier der Nato, wo die Lagebeurteilung ähnlich ist und ein vorübergehender Stopp des russischen Vormarsches für möglich gehalten wird. „Wir werden den Druck auf Putin weiter erhöhen“, erklärte G7-Gastgeber Olaf Scholz. „Dieser Krieg muss enden“.

Die G7-Gruppe stehe „geschlossen an der Seite der Ukraine“ und werde sie „weiter unterstützen“, betonte der Kanzler weiter. In einer Erklärung verspricht die Gruppe aus USA, Kanada, Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien und Japan der Ukraine finanzielle, humanitäre, militärische und diplomatische Hilfen „so lange wie nötig“. Was jetzt geplant ist:

Waffenlieferungen: Westen kündigt weitere Hilfen zur Verteidigung an

Neue Waffenlieferungen: Der Krieg in der Ostukraine ist zum Artillerieduell geworden, doch da kämpft die ukrainische Armee mit schlechter Ausrüstung: Zu wenig Waffen, zu wenig Munition – das zwingt sie nicht nur zum schrittweisen Rückzug wie zuletzt aus der strategisch wichtigen Großstadt Sjewjerodonezk, es schwächt auch die Moral der Truppe, die zunehmend aus unerfahrenen Freiwilligen-Einheiten besteht.

Die bisherigen Lieferungen von Raketenwerfern oder den sieben deutschen Artilleriegeschützen vom Typ Panzerhaubitze 2000, die bereits die Ukraine erreicht haben, genügten nicht, machte Selenskyj klar. Mit mehr modernen westlichen Waffen aber könnte die Ukraine die russische Walze nicht nur stoppen, sondern auch wieder zurückdrängen, glaubt er.

Schloss Elmau, der Tagungsort des G7-Gipfels, von oben gesehen.
Schloss Elmau, der Tagungsort des G7-Gipfels, von oben gesehen. © dpa | Angelika Warmuth

Der Gipfel macht zwar noch keine konkreten Zusagen für neue Waffenlieferungen, sie waren auch nicht erwartet worden, weil es dafür andere Foren gibt. Aber Kanzler Scholz und seine Gäste kündigten an, die Staaten wollten der Ukraine weiter helfen, sich zu verteidigen und künftige russische Aggressionen abzuwehren. Details könnten schon am Rande des Nato-Gipfels Mitte der Woche in Madrid folgen. Die USA machen wieder den Anfang: US-Präsident Joe Biden will in Kürze die Lieferung eines modernen Boden-Luft-Raketensystems vom Typ Nasams bekanntgeben.

Das Mittelstrecken-System kann Ziele in einer Entfernung von mehr als 160 Kilometer treffen. Für Biden habe die Beschaffung moderner Luftabwehrsysteme für die Ukraine jetzt Vorrang, hieß es in der US-Delegation. Wahrscheinlich werden die USA in dieser Woche noch weitere militärische Unterstützung für die Ukraine ankündigen, darunter zusätzliche Artilleriemunition und Radargeräte.

Gezielte Sanktionen gegen die Rüstungsindustrie und Technologiesektor

Neue Sanktionen: Die G7-Staaten wollen die Strafmaßnahmen gegen Russland ausweiten. Gezielte Sanktionen sollen Personen treffen, die für die Kriegsverbrechen in der Ukraine verantwortlich sind – und für den Diebstahl von ukrainischem Getreide. Die USA sprechen von mehreren „hundert Personen“, die neu auf die Sanktionsliste kommen sollen.

Im Mittelpunkt neuer Sanktionen sollen die Rüstungsindustrie und der Technologiesektor stehen; die USA wollen dazu gezielt Lieferketten für die Waffenherstellung torpedieren. Auf hunderte russische Produkte im Wert von Milliarden Euro sollen Strafzölle erhoben werden, die Erlöse kämen dann der Ukraine zugute. „Wir sind entschlossen, Russlands Einnahmen, auch aus Gold, zu reduzieren“, heißt es in einer Gipfelerklärung.

Allerdings wird in Elmau nach Angaben von Scholz doch noch kein Importverbot für Gold aus Russland beschlossen, weil dazu erst Abstimmungen in der Europäische Union notwendig seien. Biden machte beim Gipfel Hoffnung, dass die Sanktionen gegen Russland jetzt immer stärker Wirkung zeigen: Die russischen Importe aus aller Welt seien bereits um 40 Prozent gefallen, hieß es in der US-Delegation. Fabriken in Russland hätten Probleme, die Produktion aufrecht zu halten. Die Wirtschaft werde massiv einbrechen, die Inflationsrate steige auf über 20 Prozent.

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G7-Staaten versprechen finanzielle Hilfen und Hilfen bei Getreidexporten

Finanzhilfen: Die G7-Industriestaaten versprechen der Ukraine finanzielle, humanitäre, militärische und diplomatische Hilfen „so lange wie nötig“. Für die ukrainische Staatskasse sollen dieses Jahr bis zu 28 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Zugleich bekräftigen die G7 ihren Willen, einen internationalen Wiederaufbauplan zu unterstützen – er soll von der Ukraine in enger Abstimmung internationalen Partnern ausgearbeitet werde. Scholz hatte dazu einen „Marshallplan“ wie nach dem Zweiten Weltkrieg vorgeschlagen. Doch ist die Frage, wer welchen Anteil an den hunderten Milliarden Euro für die Ukraine tragen soll, ein heißes Eisen, das in Elmau nicht angefasst wurde.

Hilfe bei Getreideexporten: Die wirtschaftsstarken Demokratien des Westens fordern Russland auf, die Getreideausfuhren aus den ukrainischen Schwarzmeerhäfen nicht länger zu blockieren.

Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) führte als Gipfel-Gastgeber in Schloss Elmau auch ein bilaterales Gespräch mit dem indischen Premierminister Narendra Modi.
Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) führte als Gipfel-Gastgeber in Schloss Elmau auch ein bilaterales Gespräch mit dem indischen Premierminister Narendra Modi. © dpa | Sven Hoppe

Man sei entschlossen, die Ukraine dabei zu unterstützen, Getreide, Pflanzenöl und andere Agrarprodukte auszuführen, hieß es in einer Gipfelerklärung. Um die Exportblockade ging es später auch bei Beratungen mit den Staats -und Regierungschefs der fünf Gastländern Indien, Indonesien, Südafrika, Senegal und Argentinien - der Ausfall von ukrainischen Getreidelieferungen hat eine Ernährungskrise in Teilen Afrikas und Asiens ausgelöst, für die in den betroffenen Ländern allerdings teilweise nicht Russland, sondern die westliche Sanktionspolitik verantwortlich gemacht wird.

Scholz hatte die Regierungschefs der fünf Länder eingeladen, um die Solidarität der großen Industriestaaten zu unterstreichen und über neue Möglichkeiten der internationalen Kooperation zu sprechen. Die große Runde vereinbarte zudem gemeinsame Anstrengungen für den Klimaschutz: Weniger Kohle, mehr erneuerbare Energien, um die Erderwärmung möglichst unter 1,5 Grad zu halten.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.