Paris/Brüssel/Berlin. Emmanuel Macron, der alte und neue Präsident, gibt sich nach der Wahl bescheiden. Brüssel hofft auf eine Stärkung der Europapolitik.

In Paris hagelte es am Montag Glückwunschschreiben aus der ganzen Welt. Die Freude über die Wiederwahl von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron war vielerorts groß. Nur das Telegramm aus Moskau fiel ungewöhnlich knapp aus. „Ich wünsche Ihnen aufrichtig Erfolg bei der Staatsführung, eine feste Gesundheit und Wohlergehen“, ließ Russlands Präsident Wladimir Putin übermitteln. Der Kremlchef hätte gern Macrons rechtsextreme ­Herausforderin Marine Le Pen im Élysée-Palast gesehen.

In Brüssel herrschte hingegen weitgehend Erleichterung. Wäre Le Pen gewählt worden, hätte dies wohl das Ende der Gemeinschaft in ihrer jetzigen Form bedeutet und darüber hinaus das Ende der deutsch-französischen Partnerschaft. Bundeskanzler Olaf Scholz, den Macron am Sonntagabend als ersten Regierungschef anrief, meinte, die Bestätigung Macrons im Präsidentenamt sende auch ein starkes Zeichen nach Europa.

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Warnende Stimmen: Macron soll auf das Volk zugehen

Im EU-Parlament wurden allerdings mit Blick auf die 41,5 Prozent der Stimmen für Le Pen auch warnende Stimmen laut: Was wird bei der nächsten Präsidentschaftswahl passieren, bei der Macron nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten kann? Der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese sagte: „Wichtig ist, dass Macron jetzt noch stärker auf die Menschen zugeht. Er hat sich oft sehr als internationaler Staatsmann präsentiert und zu wenig Tuchfühlung zum Volk gehabt.“

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lässt sich vor der Stimmenabgabe im nordfranzösischen Le Touquet mit Anhängern ablichten.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lässt sich vor der Stimmenabgabe im nordfranzösischen Le Touquet mit Anhängern ablichten. © Getty Images | Aurelien Meunier

In Brüssel herrscht die Erwartung, dass sich für die EU ein „Fenster der Gelegenheit“ öffnet – ein gestärkter französischer Präsident und der deutsche Kanzler sollen gemeinsam wichtige Vorhaben voranbringen. Vier große Baustellen gibt es: Von neuer Aktualität ist die Reform des europäischen Asyl- und Migrationsrechts. Gelingt es, eine gemeinsame Verantwortung der 27 EU-Staaten für die Bewältigung größerer Flüchtlingsströme zu vereinbaren? Ein verbindlicher Verteilungsschlüssel gilt als nicht durchsetzbar, andere Formen einer solidarischen Lastenteilung über Geld, Asylmanagement, Grenzschutz schon.

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Macron will aus Frankreich ökologische Nation machen

Langfristig wichtiger ist die Klimapolitik: Die EU will bis 2050 klimaneutral werden. Über die Umsetzung – etwa durch neue C02-Grenzwerte für Autos, strenge Bauvorschriften oder harte Auflagen für die Industrie – wird in Brüssel gerade unter Zeitdruck verhandelt. Macron hat im Wahlkampf versprochen, Frankreich zu einer ökologischen Nation zu machen. Das geht nur, wenn der Präsident auf EU-Ebene ­entsprechende Weichenstellungen unterstützt.

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Darüber hinaus steht in der Union eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts an. Werden die Schuldenregeln gelockert, weil die alten Vorgaben nach der Corona-Krise ohnehin nicht mehr einzuhalten sind? Macron ist seit Langem dafür, die Bundesregierung ist vorsichtiger – hier sind noch Konflikte absehbar. Zuallererst wird sich Macron wohl intensiver in die europä­ische Ukraine-Politik einmischen und in die Debatte über die Folgen des Kriegs für die europä­ische ­Sicherheitspolitik. Sein großes Schlagwort einer „europä­ischen Souveränität“ hat neue Brisanz gewonnen. Es dürfte sich wie ein roter Faden durch die französische Europapolitik der nächsten Jahre ziehen.

Macron scheint Herausforderungen zu ahnen

Am Wahlabend gab sich Macron bescheiden, ja fast demütig „Ich weiß, dass viele unserer Mitbürger heute für mich gestimmt haben, um die Ideen der Rechtsextremen zu verhindern, und nicht, um die meinen zu unterstützen“, räumte der 44-Jährige ein. Er versprach, der gegen ihn gerichteten Wut der Wähler Le Pens und dem Frust derjenigen, die sich enthalten haben, in den kommenden fünf Jahren Rechnung zu tragen.

Offensichtlich weiß Macron, wie schwierig seine zweite Amtszeit zu werden droht, wenn er nicht der Spaltung entgegenwirkt. Das urbane Frankreich, die Besserverdienenden, die Rentner und jungen Hochschulabsolventen mögen mehrheitlich hinter ihm stehen. Die Jugend aber, das ländliche Frankreich und Geringverdiener tun das nicht. Sie sind es, die sich dem Linksradikalen Jean-Luc Mélenchon oder der rechten Marine Le Pen zugewandt haben.

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Macrons Herausforderung: Auch die sozial Schwachen müssen profitieren

Macron scheint verstanden zu haben, dass er auch dann nicht einfach durchregieren kann, wenn seine Mitte-Partei LREM und deren Verbündete bei den im Juni anstehenden Parlamentswahlen wieder eine Mehrheit erringen sollten. Wobei er keinen Zweifel an seiner ambitionierten Linie aufkommen lässt. Vollbeschäftigung, die Anhebung des Rentenalters sowie die weitere Stärkung der Wirtschaft lauten seine Zielvorgaben.

Doch wenn Macron die Extreme nicht weiter stärken will, muss er jetzt jene zu überzeugen, die ihn als „Präsident der Reichen“ anfeinden. Das heißt, von den angekündigten Reformen des Renten-, des Sozial- und des Steuersystems müssen auch diejenigen profitieren, die nicht zu den Gewinnern seiner Amtsführung gehören. Macron darf sich nicht darauf verlassen, dass die wirtschaftlich guten Resultate seiner Politik ausreichen, ihm den nötigen Rückhalt zur Umsetzung seiner Vorhaben zu verschaffen. Er wird das an den Tag legen müssen, was ihm bisher gefehlt hat: Fingerspitzengefühl und mehr Empathie.

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