Berlin. Der Krieg in der Ukraine macht in diesen Tagen viele Menschen fassungslos. Bei einigen löst er Angst aus. Diese Tipps können helfen.

Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine sind die Nachrichten und sozialen Medien voll von schrecklichen Meldungen und Bildern: Sie zeigen Tote, Verletzte, Soldaten und Flüchtende. Solche Bilder können Ängste auslösen. Welche Folgen wird der grausame Konflikt noch haben, wie weit wird Wladimir Putin noch gehen oder kann es gar in Deutschland zu einem Krieg kommen?

Psychologinnen und Psychologen sagen, solche Ängste seien verständlich und in Ordnung. Die Psychologin Susanna Hartmann-Strauss etwa behandelt das Thema durch den Ukraine-Konflikt häufig in Therapiegesprächen in ihrer Praxis in Calw.

Ukraine-Krieg: Das sind Tipps gegen Ängste

Einerseits wecke das Thema bei einigen Menschen Erinnerungen an eigene Erlebnisse, berichtet die Psychologin aus dem Nordschwarzwald. Diese würden mit vielen Auslösern konfrontiert, die traumatische Erfahrungen verstärkt ins Bewusstsein bringen und starke Ängste auslösen oder reaktivieren können. Beispielsweise bei ehemaligen Soldaten der Bundeswehr, die in Kriegseinsätze hinter sich haben.

Aber auch das Gegenteil sei der Fall, sagt Hartmann-Strauss. Für junge Menschen, die Kriege nicht mal mehr aus den Erzählungen von Großeltern kennen, sei das etwas Abstraktes ohne Bezug zum eigenen Leben.

"Durch die geografische Nähe der Ukraine ist der Krieg plötzlich zu etwas Konkretem geworden, das in das eigene Leben hineinreicht." Ein alter Mechanismus, um Angst zu bewältigen, sei der Gedanke: Das hat nichts mit mir zu tun, das kann mir hier in Deutschland nicht passieren. Doch das funktioniere plötzlich nicht mehr.

Die wichtigsten Tipps gegen Kriegsangst im Überblick

  • Die Angst anerkennen und nicht wegreden oder ignorieren. Und am besten drüber sprechen.
  • Pausen machen von Bildern und Informationen rund um den Krieg. Man kann sich beispielsweise feste Zeitfenster für das Thema setzen.
  • Eine Ablenkung finden, die die volle Aufmerksamkeit benötigt. Das kann von Mensch zu Mensch sehr verschieden sein, die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt.
  • Man sollte sich nicht mit der Angst isolieren, sondern drüber reden. Alleinsein macht Menschen oft noch empfänglicher für Ängste.
  • Konstruktiv handeln. Etwa durch aktive Hilfe, spenden oder demonstrieren.
  • Professionelle Hilfe suchen und Hausarzt, Angstambulanz oder Deutsche Telefonseelsorge konsultieren.

Das passiert bei Angst

Angst sei jedoch erstmal etwas Gutes und ein Ratgeber, sagt Psychologie-Professor Jürgen Margraf von der Universität Bochum. "Angst brauchen wir." Sie warne vor Gefahr – und zwar so schnell, dass man es gar nicht bewusst mitbekommt. Durch den hochgefahrenen Herzschlag können man beispielsweise schneller laufen.

Nicht unmittelbar überlebenswichtige Funktionen wie Verdauung und Sexualtrieb würden hingegen runtergefahren. Es gehe um schnelles Handeln, um auf eine gefährliche Situation zu reagieren. Und es gehe um die Frage: Kampf oder Flucht?

In gefährlichen Momenten pumpt Adrenalin Blut durch den Körper, erklärt Jürgen Hoyer, Professor für Behaviorale Psychotherapie an der Technischen Uni Dresden. Sie entstehe aber auch, wenn abstrakte Werte wie Sicherheit oder Frieden bedroht sind. Die damit verbundene Anspannung werde unter anderem über ein anderes Stresssystem reguliert, das über längere Zeit aktiviert werde – und nicht nur in einer brenzligen Situation. Die führende Rolle hier spiele das Stresshormon Kortisol.

Angst vor dem Krieg ist nicht ungewöhnlich

Dass Menschen auch in Deutschland angesichts der Bilder und der Nachrichten aus der Ukraine dieser Tage Angst verspüren, halten die Fachleute für völlig normal. "Wir sind soziale Wesen – viel sozialer, als uns klar ist", sagt Margraf. Die westliche Welt sei zwar betont individuell geworden. Bei Konflikten komme das Gruppendenken aber wieder hervor.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Das Unvorhersehbare sei dabei ein wichtiger Faktor, denn Menschen würden alles fürchten, was unbekannt sei. Auf der anderen Seite neigten sie dazu, bekannte Risiken dramatisch zu unterschätzen – etwa beim Handy am Ohr während man Auto fährt.

"Der Krieg ist eine diffuse Bedrohungslage, Körper und Geist schalten in einen latenten Alarmzustand", sagt Hoyer. "Da ist keine Entlastung in Sicht.“ Und die meisten hätten keine Vorerfahrungen mit der Thematik.

Dauerstress werde laut Fachleuten auch durch die Kriegsbilder aus Kiew oder der Ostukraine ausgelöst. Je schlimmer diese seien, desto eher seien viele geneigt, hinzuschauen. Der folgende Dauerstress kann nicht nur langfristig das Risiko für psychische Erkrankungen erhöhen, sondern auch für Gefäßentzündungen, Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Wozu Angst führen kann

Angst an sich ist nicht körperlich gefährlich, aber psychisch belastend. Leidvoll wird es dann, wenn sie überhandnimmt, unangemessen stark ist oder lange anhält. Wann es soweit ist, testen Fachleute zum Beispiel anhand standardisierter Fragebögen.

Für das Individuum ist das aber oft schwer einzuschätzen. Hinweise sind laut Margraf, wenn die Angst das Leben einschränkt, alltägliches Handeln vermieden wird oder sie Leiden verursacht. Oft spiegelten Partner das wider, sagt Hoyer, weil auch deren Leben beeinträchtigt werde.

Was man gegen die Angst vor dem Krieg tun kann

Als Gegenmaßnahmen raten die Experten unter anderem, sich Zeitfenster zu nehmen, in denen man sich über den Krieg informiert und grübelt. "Sie dürfen darüber nachdenken, aber es sollte produktiv sein", sagt Margraf. Niemand brauche Sondersendungen in Dauerschleife.

Dieser Tipp ist auch in sozialen Medien weit verbreitet. So rät beispielsweise die Journalistin Eva Schulz auf Instagram, sich täglich feste Zeit-Budgets für die Infos über den Ukraine-Krieg zu setzen. Anschließend solle man sich dann wieder frei nehmen von der Thematik.

Ablenkung kann gegen Angst helfen

Wichtig sei, eine möglichst sinnvolle Ablenkung zu finden, die die volle Aufmerksamkeit beansprucht, sagt Hoyer. Das könne individuell unterschiedlich sein – vom Spiel mit Kindern bis zur Steuererklärung, die Möglichkeiten seien unbegrenzt. "Jedes sinnvolle Handeln zugunsten persönlich wichtiger Dinge drängt Angst in den Hintergrund. Wenn dies gelingt, ohne Angst zu verleugnen oder zu bagatellisieren, ist das der psychisch gesunde Weg."

Margraf sagt: „Das Beste ist, wenn Sie etwas kontrollieren können.“ Vorhersagbarkeit sei das Zweitbeste. Und man solle positive Dinge suchen, mit Freunden spazieren gehen zum Beispiel und die Gedanken teilen. Es sei auch falsch, auf schöne Dinge zu verzichten. "Man darf auch lachen und Freude haben, obwohl da Krieg ist."

Konstruktiv handeln, statt sich in Angst zu isolieren

Psychologin Hartmann-Strauss gibt den Tipp, gerade bei Kindern Routinen einzuhalten. "Nichts gibt mehr Sicherheit, als wenn die Zähne abends eben doch geputzt werden müssen."

Außerdem könne man schauen, wie man selbst konstruktiv handeln kann: "Was kann ich heute und hier tatsächlich tun, um zu helfen? Wie kann ich Solidarität zeigen?" Viele Initiativen und Anlaufstellen teilen Aktionen oder Sammelorte für Spenden für Geflüchtete in sozialen Netzwerken. Organisiert wird meist über ehrenamtliche Vereine wie der Ukraine-Hilfe Berlin.

Gegen den Krieg in der Ukraine zu demonstrieren oder für Betroffene zu spenden, kann gegen Kriegsangst helfen (Symbolfoto).
Gegen den Krieg in der Ukraine zu demonstrieren oder für Betroffene zu spenden, kann gegen Kriegsangst helfen (Symbolfoto). © FUNKE Foto Services | Markus Joosten

Wichtig sei es vor allem, überhaupt erst einmal anzuerkennen, dass man Angst hat. „Und dann die eigenen Ängste klar aussprechen“, rät Hartmann-Strauss. Von anderen Menschen zu hören, dass sie Ängste teilen, tue gut. „Angst, die nicht artikuliert wird, nimmt oft irrationale Züge an und führt dazu, dass ich mich zunehmend hilfloser und ohnmächtiger fühle.“

Professionelle Hilfe gegen die Angst vor dem Krieg

Wem das alles nicht hilft, kann sich an Hausarzt oder Hausärztin wenden. Hilfreich kann auch eine Angstambulanz sein oder in akuten Fällen die Deutsche Telefonseelsorge, die erreichbar ist unter: 0800/111 0 111, 0800/111 0 222 oder 116 123. (lg/dpa)

Dieser Text ist zunächst auf www.waz.de erschienen

Anmerkung der Redaktion: Aufgrund der hohen Nachahmerquote berichten wir in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.