Berlin. Der Fall Lübcke hat gezeigt, wie groß die Gefahr von rechts ist. Diese Erkenntnis muss nachhaltige Konsequenzen in der Politik haben.

Binnen Monatsfrist haben die Ermittler den Mordfall Walter Lübcke aufgeklärt. Sie haben den Täter, DNA-Spuren, Motiv, Geständnis und seit Donnerstag wohl auch die Tatwaffe. Sie haben ganze Arbeit geleistet.

Die Erleichterung ist groß. Um einen reinen Indizienprozess, bei dem erfahrungsgemäß viele Fragen offen geblieben wären, kommen wir alle herum. Man kann froh sein, dass der Tatverdächtige nicht die Schweigestrategie einer Beate Zschäpe im NSU-Verfahren kopiert hat. Nun muss man noch herausfinden, ob die zwei verhafteten Kontaktmänner mehr waren; nämlich Hintermänner, ob es ein Netzwerk gegeben hat.

Sicherheitsbehörden zeigten seit Taten des NSU viele Schwächen

Die Einsame-Wolf-These mag richtig sein. Unter den gegebenen Umständen ist sie auch gefällig, weil sie den Verfassungsschutz entlastet, der ein Frühwarnsystem sein sollte, aber im Fall von Stephan E. nicht angeschlagen hat.

Die gängigste Erklärung dafür, dass Stephan E. – vorbestraft, gewalttätig, rechtsextrem – für den Geheimdienst bloß eine Karteileiche war, lautet ungefähr so: Wenn man bedenkt, dass es Tausende Rechtsextremisten gibt, ist klar, dass eine Sicherheitsbehörde Prioritäten setzen und nicht alle gleich intensiv beobachten kann.

Da ist was dran, aber um einen Befund kommt man nicht herum: Sie hatten ihn nicht auf dem Schirm. Schlimmer gar ist die Vorstellung, dass Stephan E. und sein Umfeld sehr wohl im Visier der Verfassungsschützer waren, aber unterschätzt wurden. Das würde eine Vertrauenskrise auslösen.

Es ist 20 Jahre her, dass die NSU-Mörderbande begann, für Angst und Schrecken zu sorgen. Zwischen dem ersten Bombenanschlag Ende Juni 1999 in Nürnberg und dem Mord an Walter Lübcke am 2. Juni 2019 liegen zwei Jahrzehnte, die kein Ruhmesblatt der deutschen Sicherheitsbehörden sind. Die Linke-Politikerin Martina Renner bringt die Forderungen nach Konsequenzen auf den Punkt: Diese Szene müsse entwaffnet werden, buchstäblich wie bildlich.

AfD-Abgeordneter sorgt für Eklat bei Lübcke-Gedenken

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    Wurde der Rechtsextremismus unterschätzt?

    Eine unschöne Frage steht im Raum. Wurde der Rechtsextremismus zuletzt doch wieder unterschätzt? Auffallend ist: Kaum war Thomas Haldenwang an die Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz gerückt, da verstärkte der neue Behördenchef in Köln die Rechtsextremismus-Abteilung. Warum wohl?

    Weil den Insidern die trüben Tiefenströme in der Gesellschaft nicht verborgen geblieben waren. Weil sie wussten, dass im rechten Spektrum eine der größten Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden schlummert. Weil die Zahl dieser Extremisten seit Jahren steigt. Weil die Flüchtlingskrise in diesen Kreisen immer noch ein Treiber des Fremdenhasses ist. Und weil die Szene eine Brücke zu den bürgerlichen Kreisen geschlagen hat. Der verheerendste aller Sätze lautet: Die haben irgendwie recht.

    Horst Seehofer reagierte gut – für den Moment

    In den letzten Wochen hat sich gezeigt, dass ein Instinktpolitiker wie Horst Seehofer nicht die schlechteste Wahl als Innenminister ist. Er hat das richtige Timing und klare Worte gefunden und ist dem Bedürfnis nach Konsequenzen nachgekommen. Er hat nichts beschönigt oder verharmlost, sondern Druck in den eigenen Reihen aufgebaut und den Fall Lübcke als Zäsur verstanden.

    Mehr Mittel, Personal, Vollmachten, Verbote – der Innenminister hat das Waffenarsenal des Rechtsstaates für alle sichtbar geöffnet. Spätestens nach der Sommerpause werden die Anforderungen anspruchsvoller werden. Dann wird man ihn danach beurteilen, ob sich die Einzelmaßnahmen zu einem Gesamtkonzept fügen und ob die Entschiedenheit im Kampf gegen rechts eine Momentaufnahme – eine Affekthandlung – oder von Dauer ist. Was zu hoffen wäre.