Berlin. Seit dem Mordfall Lübcke fokussiert die Politik die Gefahren von Rechts. Der Islamismus sollte allerdings nicht vergessen werden.

Wenn das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz am Donnerstag in Berlin seinen Jahresbericht 2018 vorstellt, wird womöglich ein Warnruf alle anderen übertönen – der vor dem Rechtsextremismus. Politisch wäre das allzu verständlich, mit einem Wort: situationsgerecht.

Zwar hat die Gefahr mit dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke objektiv nicht zugenommen. Sie war schon vorher groß, spätestens seit den Untaten des NSU. Aber: Sie hat deutlich an Brisanz, an Dramatik gewonnen, vor allem an öffentlicher Aufmerksamkeit, was jeder Politiker in sein Kalkül einbezieht.

Der Islamismus hätte in jedem Fall einen breiten Raum im Verfassungsschutzbericht eingenommen, schon wegen des Rizin-Fundes im Jahr 2018 in Köln. Da wurde deutlich, dass ein Anschlag mit Biowaffen ein reales Szenario ist. Gleichwohl kann man den Jahresbericht als Mahnung interpretieren, nun die Bekämpfung des Islamismus nicht hintanzustellen.

Islamismus hat nichts von seiner Gefahr verloren

Die Lesart drängt sich auf, wenn man die Lage vom Apparat aus analysiert. Aus Behördensicht betrachtet, neigt die Politik zu Affekthandlungen. Das hieße nach Kassel und auf den Verfassungsschutz bezogen, zugegeben, überspitzt formuliert: alle Kräfte auf den Kampf gegen Rechts bündeln.

Der Chef im Bundesamt für Verfassungsschutz: Thomas Haldenwang.
Der Chef im Bundesamt für Verfassungsschutz: Thomas Haldenwang. © Getty Images | Michele Tantussi

Es wäre falsch, das Steuer herumzureißen. Denn der Islamismus hat nichts von seiner Gefahr verloren. An Gründen zur Wachsamkeit mangelt es nicht. Sie werden alle im Bericht aufgelistet: Die Vielzahl von aufgedeckten Anschlagsplänen, die steigende Zahl von Islamisten in Deutschland, die Radikalisierung und Rekrutierung durch den „Islamischen Staat“, kurzum: die Warnung vor einer „anhaltend hohen Gefährdung“, bis hin zu komplexen Anschlägen wie in Paris.

Wo Brennpunkte entstehen, da ergeben sich neue Schwerpunkte. Das ist eine Erfahrung aus der Gefahrenabwehr, aus der Praxis der Polizei. Im Grunde werden die Sicherheitsbehörden immerzu neu austariert, weil man nicht jeder Aufgabe jederzeit mit der gleichen Intensität nachgehen kann. Man kann jeweils die Prioritäten verändern und die Ressourcen dementsprechend einsetzen.

Nun kann man nicht die Praxiserfahrungen der Polizei auf Geheimdienste übertragen, die eine andere Aufgabe haben, nicht zur Strafverfolgung da sind, sondern als Frühwarnsystem fungieren. Was jedoch vergleichbar ist, das sind die politischen Reflexe von Dienstherren.

Horst Seehofer wahrte nach der Festnahme von Stephan E. die Balance

Erinnern wir uns: Nach dem Terror des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) wurde politisch wie personell umgesteuert. Die Generalbundesanwaltschaft wurde an ihrer Spitze mit Peter Frank neu besetzt, genauso der Chefsessel beim Verfassungsschutz mit Hans-Georg Maaßen. Rückblickend ist es eine Ironie der Geschichte, dass Maaßen in seiner Amtszeit genau das Gegenteil dessen tat, was man sich mit seiner Ernennung erhofft hatte. Er hat den Rechtsex­tremismus im Ergebnis unterschätzt und sich auf den islamischen Terrorismus fokussiert.

Unter seinem Nachfolger Thomas Haldenwang – gerade nach dem Mord von Kassel – könnte das Pendel jetzt ins andere Extrem umschlagen. Das hängt nicht zuletzt davon ab, was ihm sein Dienstherr vorlebt. Unter allen Kabinettsmitgliedern ist Innenminister Horst Seehofer der Bauchpolitiker und obendrein ein Populist. Er neigt dazu, Stimmungen zu bedienen.

Wenn man sich aber seine Reaktion in diesem Fall anschaut, dann hat Seehofer die Balance gewahrt. Er hat nach der Festnahme von Stephan E. den Rechtsextremismus auf eine Stufe mit dem islamistischen Terrorismus gestellt. Nicht darunter, nicht darüber.