Berlin/Karlsruhe. Die Verdachtsmomente gegen den Rizin-Giftmischer aus Köln sind erdrückend. Der Generalbundesanwalt weitet jetzt die Vorwürfe aus.

An jedes Detail haben die Eheleute Yasmin und Sief Allah H. gedacht. Sogar an ein Versuchskaninchen. Genauer gesagt ist es ein Zwerghamster, den sie in einer Kölner Zoohandlung kaufen, um am Tier eine Giftmischung auf der Basis eines hochgefährlichen Stoffs zu testen: Rizin.

Der Fall treibt die Öffentlichkeit seit Wochen um – seit die Islamisten am 12. Juni in Köln aufflogen und Fahnder bei einer Razzia in der Wohnung im Stadtteil Chorweiler Teile für den Bau einer Splitterbombe fanden, gefüllt eben mit dem Biokampfstoff Rizin. Lange Zeit wurde Sief Allah H. verdächtigt, „vorsätzlich biologische Waffen hergestellt zu haben“. Nun weitet sich der Verdacht aus.

Wochenlang macht sich der Islamist über das Netz schlau

Die Erkenntnisse seien jetzt „dichter“, heißt es in Karlsruhe. Dort erklärt der Generalbundesanwalt am Freitag, „spätestens im Frühjahr 2018 hatte sich Sief Allah H. den bisherigen Erkenntnissen zufolge dazu entschlossen, hier in Deutschland tatsächlich einen Anschlag zu begehen“. Er wollte an einem geschlossenen und belebten Ort einen Sprengsatz zünden. In einem Bus vielleicht oder in einem Lokal? „Ob der Beschuldigte bereits ein konkretes Ziel ins Auge gefasst hatte, ist nicht bekannt.“ Wichtig ist, dass der Tatort geschlossen sein musste, weil das Gift andernfalls verflogen wäre. Der Islamist hatte sich schlaugemacht. So viel Sorgfalt wird ihm nun zum Verhängnis.

Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes hat die Haftbefehle präzisiert und erweitert. Man wirft ihm den „dringenden Tatverdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ und Versuch der Mitgliedschaft im Terrornetzwerk „Islamischer Staat“ (IS) vor. Der Generalbundesanwalt geht mit erdrückend vielen belastenden Details an die Öffentlichkeit.

Ab April 2018 nimmt Planen Formen an

Der Beschuldigte ist 29 Jahre alt und Tunesier, die Frau 13 Jahre älter und Deutsche. Sie verlässt ihren ersten Mann für den Tunesier, den sie wohl über das Internet kennenlernte und für die Hochzeit nach Köln holte. Sie haben zwei Kinder, das jüngere im Säuglingsalter.

SEK-Beamte mit Schutzmasken verlassen ein Hochhaus in Köln.
SEK-Beamte mit Schutzmasken verlassen ein Hochhaus in Köln. © dpa | David Young

Eigentlich wollte das Paar gemeinsam nach Syrien ausreisen. Wegen der Kinder bleibt die Frau erst mal in Köln. Yasmin H. bucht zweimal für ihren Mann Flugtickets von Köln nach Istanbul im August und September 2017. Weil die Weiterreise nach Syrien scheitert, nimmt er über soziale Medien Kontakt zu IS-Kämpfern auf. Sie bringen den Tunesier erst auf die Idee, lieber in Deutschland einen Anschlag gegen die „Ungläubigen“ zu begehen, zum Beispiel mit einem Bio-Kampfstoff. Ab April 2018 nimmt der Plan tatsächlich Formen an.

Sief Allah H. kauft über ein Internetportal in drei Tranchen 175 bis 200 Rizinussamen und eine elektrische Kaffeemühle, um das Material zu mahlen. Yasmin H. überlässt ihm für die Bestellungen ihr Konto bei einem Internetversandhändler sowie bei Paypal. Nach den Ermittlungen erwirbt er alle Rizinussamen über den Internetversandhandel, drei Bestellungen über 2100 Stück. Weil es Lieferschwierigkeiten gibt, will der Verkäufer kulant sein und überlässt ihm am Ende auch noch gratis zusätzliche 1000 Samen.

250 Metallkugeln als Splittermaterial

Er hat jetzt genug Stoff für eine Bombe. Aber etwas Wichtiges fehlt: Wissen. Noch im selben Monat nimmt er über einen Messengerdienst Kontakt zu einem Fachmann im Ausland auf. Der soll ihm zeigen, wie man Rizin herstellt. Nach kurzer Zeit kommen die ersten 84,3 Milligramm des Stoffs zusammen – als die Experten des Robert-Koch-Instituts es später bei der Razzia transportieren, tragen sie schwere Schutzkleidung.

Am 25. Mai streicht Sief Allah H. das Gift auf den Hamster und macht Fotos für seine Kontaktleute. Er will sichergehen, dass er wirklich alles richtig gemacht hat. Nun steht der nächste Schritt an, die eigentliche Sprenglandung – wieder auf Fernanleitung. Erneut geht er auf Einkaufstour im Internet: 250 Metallkugeln als Splittermaterial. Auch zwei Flaschen acetonhaltiger Nagellackentferner sowie Drähte mit aufgelöteten Glühbirnen wird man bei ihm finden, zudem 950 Gramm aus einer Mischung aus Aluminiumpulver und aus Feuerwerkskörpern.

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    Die explosiven Stoffe erwirbt er in Polen. Mitte Oktober reist er extra nach Slubice, Sitz einer Pyrotech-Firma. Wieder hat die Ehefrau alles organisiert, bestellt, bezahlt. Die Ermittler sind sich lange unklar über ihre Rolle. Dass ein Ehepaar gemeinsam vorgeht, passt nicht zu den bisherigen Erfahrungen mit Islamisten. Gegen Yasmin H. wird erst am 24. Juli Haftbefehl erlassen.

    Alles ein „Missverständnis“, bloß eine arabische Fußsalbe

    Sief Allah H. tut alles, um sich beim IS zu empfehlen: Er schwört einen Treueeid auf einen Anführer, bietet sich für künftige Propagandaarbeit an und redet darüber gegenüber einem Chatpartner, den er irrtümlich für ein IS-Mitglied hält – wahrscheinlich kommen ihm die Geheimdienste so auf die Spur. Aufgefallen war er auch dem Ausländeramt in Köln, als er im Oktober 2017 den Verlust seines Reisepasses meldete – in Islamistenkreisen ein häufiger Trick, um Aus- und Einreisestempel loszuwerden.

    Seit Wochen sitzt er in Untersuchungshaft im Gefängnis in Köln-Ossendorf. Als seine Frau noch auf freiem Fuß war, schreibt er, alles sei ein Missverständnis. Er habe nur versucht, eine arabische Salbe für seinen Fuß zu mischen. Woher solle er wissen, dass es verboten sei. „All come Ok“, schreibt er in bestem Denglisch. Doch nichts wird gut für Yasmin und Sief Allah H. aus Köln-Chorweiler.