Berlin . Nach Nahles’ Rücktritt muss sich die CDU um den Fortbestand der Regierung sorgen. Kramp-Karrenbauer will an der GroKo festhalten.

Man hatte sich in der CDU-Zentrale für die Sondersitzung des Vorstands auf so einige Szenarien eingestellt: Personaldiskussionen, Gerüchte, Unmut. Doch als um kurz nach zehn Uhr am Sonntagmorgen der Totalrückzug der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles bekannt wurde, war man auch in der CDU-Zentrale kurz sprachlos. In dieser Radikalität hatte das niemand erwartet.

Aus der Klausur zur Aufarbeitung des Wahl- und Kommunikationsdebakels der vergangenen Woche wurde ein Krisentreffen, in dem es um nichts weniger als um den Fortbestand der deutschen Regierung ging. Alle Entwicklungen nach dem Rücktritt von Andrea Nahles im Newsblog.

Kramp-Karrenbauer: CDU will an Groko festhalten

Als die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer um 16.30 Uhr vor der Presse ein kurzes Statement abgab, war bereits klar: Die Union wird von ihrer Seite aus an der großen Koalition festhalten. Zu stark verankert ist in der Partei der Glaube an die Stabilität, für welche die Union – noch immer – der Garant beim Bürger sei.

Kramp-Karrenbauer drückte es so aus: „Ich gehe davon aus, dass die SPD die jetzt anstehenden Personalentscheidungen zügig trifft und die Handlungsfähigkeit der großen Koalition nicht beeinträchtigt wird.“ Für die CDU gelte: „Dies ist nicht die Stunde für parteitaktische Überlegungen. Wir stehen weiter zur großen Koalition. Wir wollen mit guter Regierungspolitik unserem Land dienen. Die CDU trägt zur Verlässlichkeit und Handlungsfähigkeit Deutschlands bei.“

Kommentar: Nahles-Rücktritt – Warum die SPD aus der GroKo raus muss

Kurs zur Beibehaltung der großen Koalition nicht unumstritten

Auch aus München gab es am Nachmittag grünes Licht für eine - zumindest kurzfristige - Fortsetzung der großen Koalition. „Wir erwarten, dass die SPD dazu beiträgt, dass Deutschland eine stabile Regierung behält. Denn es braucht Stabilität“, sagte Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder.

Von Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) hieß es ebenfalls, die Union sei „fest entschlossen“, die große Koalition fortzusetzen. Das Land brauche Stabilität. Und er setzte noch einen anderen Akzent: Mit Andrea Nahles sei nicht nur eine Politikerin zurückgetreten, sondern auch ein Mensch. Der Sonntag sei auch ein Tag, an dem man fragen müsse „wie gehen wir eigentlich miteinander um?“

Merkel: „Wir werden die Regierungsarbeit fortsetzen“

Die Kanzlerin kam als Letzte und verlas ein kurzes Statement. Sie lobte Andrea Nahles als „absolut zuverlässig“ und betonte, diese sei eine Sozialdemokratin mit Herzblut, aber vor allem ein „feiner Charakter“. Die beiden Frauen verband ein Vertrauensverhältnis, wie es selten ist in der Politik. Und die Regierungschefin machte deutlich: „Wir werden die Regierungsarbeit fortsetzen.“ Mit aller „Ernsthaftigkeit“ und „Verantwortungsbewusstsein“.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat verärgert auf den angekündigten Wechsel an der SPD-Spitze reagiert.

„Ich bin mit Frau Nahles oft nicht einverstanden gewesen – aber es geht überhaupt nicht, wie das jetzt in der SPD gelaufen ist“, sagte der CDU-Politiker unserer Redaktion. „Wir brauchen in der Regierungskoalition mehr Gemeinsinn und weniger Eigensinn.“

CDU-Fraktions-Vize Linnemann: „GroKo taumelt schon bald ihrem Ende entgegen“

Doch der Kurs zur Beibehaltung der großen Koalition ist nicht unumstritten. Der Unions-Fraktionsvize Carsten Linnemann sieht die große Koalition am Scheideweg: Entweder es gelinge, in dieser „ungeliebten Konstellation“ noch einige wichtige Akzente zu setzen, die bei den Bürgern erkennbar positiv nachwirkten, oder die GroKo taumele schon bald ihrem Ende entgegen, sagt der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung dieser Redaktion.

„SPD und Union stecken weiter im GroKo-Dilemma. Wir schaffen es nicht, zur gleichen Zeit zu regieren und mit den jeweiligen Kernthemen für die Wähler unterscheidbar zu bleiben“, so der CDU-Politiker. „Die Parteien müssen natürlich ihr Profil schärfen, aber dies muss endlich fernab der Regierungsarbeit passieren.“

Werteunion fordert Friedrich Merz als CDU-Vorsitzenden

Auch die konservative Werteunion, harscher Kritiker der Politik von Angela Merkel, witterte ihre Chance für einen kompletten Wechsel an der Spitze der CDU. Ein Politikwechsel sei „nur mit einer personellen Erneuerung im Kanzleramt und an der Parteispitze möglich“. Die CDU müsse daher jetzt „auf die Kompetenz von Friedrich Merz setzen, der unser Land und unsere Partei als Team-Captain aus der Misere der Großen Koalition führen kann“, sagte Alexander Mitsch, Bundesvorsitzender der „WerteUnion“, unserer Redaktion.

Er traue dem früheren Unionsfraktionsvorsitzenden zu, dass dieser „die notwendige offensive Auseinandersetzung mit den grünen Ökopopulisten erfolgreich führt, notfalls auch in einer Minderheitsregierung“. Die CDU müsse als Konsequenz der Wahlniederlage eine Politikwende jetzt einleiten.

SPD intern: GroKo werden noch drei Monate gegeben

In der SPD gibt man der großen Koalition intern noch etwa drei Monate. Bis ein vorgezogener Parteitag einen Ausstieg aus der Koalition beschließt. Dann gibt es entweder Neuwahlen, oder es gelingt der Union, eine Jamaika-Koalition im Bundestag zu schmieden. Oder eine Minderheitsregierung auf die Beine zu stellen. Das Problem bei Jamaika liegt auf der Hand: Die Union war vor einer Woche erstmals bei einer bundesweiten Wahl unter 30 Prozent gestürzt. Union und SPD hatten Millionen Wähler an die Grünen verloren. In der CDU-Spitze wird selbstkritisch eingeräumt, dass man auf das Hauptwahlkampfthema Klimapolitik, das von den Grünen besetzt worden war, keine Antwort hatte.

Tatsächlich bedrohen die Grünen gerade in den Umfragen den ersten Platz der Union. Während die Grünen in einer Forsa-Umfrage am Samstag erstmals die Union überrundeten, liegen CDU/CSU in einer Emnid-Erhebung klar vor der Oppositionspartei. Im sogenannten Sonntagstrend für „Bild am Sonntag“ legen die Grünen zwar drei Punkte im Vergleich zur Vorwoche auf 20 Prozent zu.

Grüne im Höhenflug: Eine Neuwahl wäre für sie folgerichtig

Die Union kommt allerdings trotz des Verlustes von einem Punkt auf 28 Prozent. Im Bundestag spiegeln sich aber in der Sitzverteilung die Machtverhältnisse der letzten Bundestagswahl wieder. 2017 erhielten die Grünen 8.9 Prozent. Eine Neuwahl wäre für die Grünen angesichts der derzeit hohen Umfragewerte also folgerichtig. Oder aber es gelingt dem Schmied einer Jamaika-Regierung, die Öko-Partei mit wichtigen Ministerien und einem Schwur in der Klimafrage doch die Übernahme der Macht schmackhaft zu machen.

Für die FDP wäre eine Regierungsbeteiligung derzeit das Beste, was der Partei passieren könnte. Die Absage an eine Jamaika-Regierung bekam den Liberalen in den Umfragen nicht gut.

Kramp-Karrenbauer steht intern und extern in der Kritik

Dazu kommt: Die CDU-Vorsitzende selbst ist nach dem historisch schlechten Wahlergebnis der CDU bei der Europawahl angeschlagen. In der zitierten Emnid-Umfrage kommt sie schlecht weg. Knapp zwei Drittel - 62 Prozent der Befragten - trauen demnach der Saarländerin nicht zu, die Union wieder in die Erfolgsspur zu bringen. Nur 17 Prozent glauben das. In einer anderen Umfrage erklärte die Mehrheit der Befragten, Kramp-Karrenbauer sei ungeeignet als Kanzlerin.

Und auch intern hagelt es Kritik. Der Umgang mit dem Anti-CDU-Video des Youtubers Rezo wurde scharf kritisiert. Bei dem Rezo-Video war der Parteizentrale um Kramp-Karrenbauer auch intern vorgeworfen worden, zu spät und mit überholten Mitteln reagiert zu haben. AKK, wie sie im politischen Berlin oft genannt wird, muss kämpfen. Sie, die nach dem CDU-Parteitag die Partei zunächst befriedete, das wirtschaftsnahe Merz-Lager einband, sah sich auf einmal massiver interner Kritik gegenüber. Selten offen, dafür aber hinter vorgehaltener Hand umso häufiger, wurden Zweifel an ihrer Autorität und Eignung als Kanzlerkandidatin geübt.

Kommunikationspannen stellen Parteizentrale infrage

Die Organisation in der Parteizentrale wurde angesichts der Kommunikationspannen infrage gestellt, Kramp-Karrenbauers Stratege Nico Lange geriet in die Kritik. Er hatte nach der Europawahl eine interne Analyse an den Vorstand der Partei geschickt, in dem die Junge Union als auch die Werteunion als Ursache für den spärlichen Zuspruch bei den Jungwählern ausgemacht wird.

Christian von Stetten, Chef des Parlamentskreises Mittelstand, forderte daraufhin indirekt den Austausch von Lange. Und in der Reserve lauert der NRW-Ministerpräsident Armins Laschet. Dieser nahm die Aufregung um die von Kramp-Karrenbauer ins Spiel gebrachte Regeln als Vorwand, um die Meinungsfreiheit euch im Netz klar herauszustellen. Und fordert bindende Beschlüsse zur Klimapolitik.

Nur um Generalsekretär Paul Ziemiak ist es ruhig

Ruhig wurde es in den vergangenen Tagen um CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Mitten in den Wogen rund um die Europawahl und die Zukunft der großen Koalition hatte dies aber keinen politischen, sondern einen persönlichen Grund. Ziemiak wurde zum zweiten Mal Vater. Und nahm sich eine kurze Auszeit. Seine Chefin aber musste kämpfen.

Nach nur 14 Monaten war Andrea Nahles, die erste Frau an der SPD-Spitze, am Sonntagvormittag zurückgetreten. Es heißt, Nahles habe Fehler gemacht, aber sei auch weggemobbt worden.

Auch seitens der SPD gab es heftige Diskussion über den Rückzug der Parteivorsitzenden. Juso-Chef Kevin Kühnert äußerte, dass er sich für den Umgang miteinander in der SPD schäme.