Berlin. Die Ost-CDU sendet in Sachen Grundrente Kompromiss-Signale an die SPD – und fordert eine Lösung vor den Landtagswahlen im Herbst.

Bei der in der Koalition seit Wochen hart umkämpften Grundrente zeichnet sich Bewegung ab. Die ostdeutsche CDU macht sich mit Blick auf die im Herbst anstehenden Landtagswahlen für einen raschen Kompromiss mit der SPD noch vor der Sommerpause stark.

Am 1. September wird in Brandenburg und Sachsen gewählt, am 27. Oktober in Thüringen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) pochte auf eine schnelle Einführung der Grundrente, mit der Arbeitnehmer, die 35 Jahre oder länger gearbeitet haben, mit einem Rentenaufschlag vor Altersarmut geschützt werden sollen.

Die Bundesregierung solle darüber „zügig entscheiden und nicht weiter unerfüllbare Erwartungen wecken“, sagte Kretschmer unserer Redaktion. Er spricht sich für eine einfache Form der Bedürftigkeitsprüfung aus. Die Grundrente dürfe „nicht zu einem bürokratischen Monster werden“, warnte er. „Ein einfacher Nachweis der Alterseinkünfte muss reichen.“

Hubertus Heil: Rentenversicherung kennt keine Bedürftigkeitsprüfung

Einen ähnlichen Vorschlag hatte zuvor Thüringens CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring als Kompromiss im Streit mit der SPD gemacht. Bundessozialminister Hubertus Heil begrüßte, dass sich die Union nach wochenlanger Blockade selbst Gedanken mache. „Es ist gut, dass es in der Union ein Stück Bewegung gibt“, sagte Heil unserer Redaktion. Die geplante Grundrente sei nicht bedingungslos, da man 35 Jahre gearbeitet haben müsse (mit Anrechnung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten).

„Es ist auch nicht so, dass am Ende des Tages jemand exorbitant zu viel bekommt.“ Ehepaare, bei denen einer ein hohes Einkommen und der andere Recht auf Grundrente habe, müssten unter dem Strich dann höhere Steuern zahlen. „Es gibt also so etwas wie eine Einkommensprüfung durch die Finanzämter. Das kann man unbürokratisch machen.“ Im Grundsatz sei die Grundrente aber keine Sozial-, sondern eine Rentenleistung. „Und die Rentenversicherung kennt keine Bedürftigkeitsprüfung. Das sollte man den Leuten ersparen.“

SPD will Lösung für mehr als drei Millionen Rentner

Der Sozialminister will im Mai seinen Gesetzentwurf und einen mit Finanzminister Olaf Scholz (SPD) abgestimmten Finanzierungsvorschlag präsentieren. In den Eckpunkten für den Haushalt 2020 hat Scholz noch keine Summen für die Grundrente hinterlegt.

„Es ist ein finanzieller Kraftakt. Ich glaube aber, dass es darstellbar ist“, sagte Heil. Von seinem Vorschlag würden mindestens drei Millionen Menschen im Alter profitieren, davon zu 80 Prozent Frauen. Betroffene würden demnach einen Rentenaufschlag von bis zu 447 Euro im Monat erhalten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte hingegen, dass die eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung ablehne: Merkel: So werden die Klimaschutzziele 2030 eingehalten

Hintergrund: Haushalt 2020 von Familie bis Flüchtlinge: Was wer bekommt

Schwesig: Grundrente bringt Ostdeutschen mehr Anerkennung

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig schloss eine Bedürftigkeitsprüfung aus: „Menschen, die 35 Jahre lang gearbeitet haben, verdienen nicht nur unseren Respekt, sondern eine eigenständige Grundrente. Deshalb müssen wir auf eine Bedürftigkeitsprüfung verzichten.“

Das Konzept der SPD sei gerecht, weil es gerade den Ostdeutschen mehr Anerkennung ihrer Lebensleistung bringe, sagte die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern unserer Redaktion. „Ich erwarte, dass gerade die ostdeutsche CDU dieses Vorhaben unterstützt, anstatt es kleinzureden.“

Kommentar: Die Grundrente sollten nur die bekommen, die sie brauchen

Grundrente: Bedürftigkeitsprüfung im Koalitionsvertrag vorgesehen

Ähnlich äußerte sich die stellvertretende SPD-Vorsitzende Malu Dreyer. „Ich bleibe dabei: Eine Bedürftigkeitsprüfung ist da absolut nicht angemessen“, sagte sie. Eine Prüfung würde unnötig Bürokratie schaffen und Altersarmut in Kauf nehmen, „weil viele Menschen, die 35 Jahre lang hart für unsere Gesellschaft gearbeitet haben, sich schämen, zum Sozialamt zu gehen“. Allerdings ist im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ausdrücklich eine Bedürftigkeitsprüfung vorgesehen.

Auch auf einem kleinen Europa-Parteitag in Berlin war das Ringen um die Grundrente eines der beherrschenden Themen. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles schilderte den Delegierten, kürzlich habe ihr eine 68-Jährige aus Prenzlin in Mecklenburg-Vorpommern einen Brief geschrieben. Die Frau habe 42 Jahre gearbeitet und lebe allein. Wie viele Ostdeutsche habe sie kein Vermögen angespart.

Auch deswegen sei die SPD gegen eine Prüfung der Bedürftigkeit: „Wir schenken denen nichts, die haben sich krummgelegt“, sagte sie in Berlin. Eine von CSU-Chef Markus Söder kürzlich vorgelegte Grundrenten-Alternative – einen „Rentenschutzschirm“ mit höheren Freibeträgen bei Vermögen und der Rente – bezeichnete die frühere Sozialministerin Nahles als „rentenpolitischen Rohrkrepierer“. Niemand werde so aus der Sozialhilfe herausgeholt, nur wenige würden überhaupt profitieren.

Müntefering: Bedürftigkeitsprüfung kann nicht völlig entfallen

Widerspruch kommt vom früheren SPD-Chef und ehemaligen Arbeitsminister Franz Müntefering. Er wirbt seit Wochen für Kompromisse in dem festgefahrenen Streit. SPD und Union müssten aufeinander zugehen. Ansonsten gebe es am Ende nur Verlierer. „Die Formel, wir machen gar keine (Bedürftigkeitsprüfung) oder wir machen sie auf jeden Fall komplett, das ist der Ansatz dafür, eine schwere Situation herbei zu verhandeln, die man dann kaum noch auflösen kann“, sagte „Münte“ dem Sender RBB.

Die Bedürftigkeitsprüfung könne „nicht völlig entfallen“. Es gebe durchaus Einigungsmöglichkeiten. Man könne zum Beispiel „unterscheiden zwischen der Wohnung und dem Haus und dem Einkommen und dem Vermögen und dem Vermögen der Kinder oder des Partners“.

Grundrente: „Keiner soll sich nackig machen für eine Grundrente“

Thüringens SPD-Chef Wolfgang Tiefensee forderte dagegen die Spitze der Bundespartei auf, bei der Ablehnung einer Bedürftigkeitsprüfung für die ­geplante Grundrente nicht einzuknicken. „Meine Bitte ist, bleibt stark“, sagte Tiefensee am Sonnabend auf einem Landesparteitag in Erfurt. „Keiner soll sich nackig machen für eine Grundrente. Wer die Kriterien erfüllt, soll sie bekommen.“

Der Erfurter SPD-Landtagsfraktionschef Matthias Hey lehnte einen Kompromiss mit der Union ebenfalls ab. „Denkt auch an die kleine Thüringer SPD, die im Herbst eine Landtagswahl hat“, sagte Hey in Richtung von Nahles. Nach seinen Angaben würden von einer Grundrente allein in Thüringen etwa 130.000 Menschen profitieren.