Hongkong. Die Staatsführung Chinas will Menschen in all ihren Lebenslagen bewerten. Erwünschtes Verhalten wird belohnt, unerwünschtes bestraft.

Schulden nicht beglichen? Dafür gibt es Punktabzug. Schwarz mit der U-Bahn gefahren? Auch das schlägt negativ zu Buche. Ebenso den Müll vor die Haustür stellen, im Parkverbot stehen oder das Kind auf der Straße urinieren lassen. Und auch das Verhalten in den sozialen Medien soll in das zentrale Bewertungssystem einfließen.

Noch hat die chinesische Führung das weltweit Aufsehen erregende sogenannte Soziale Kreditsystem noch nicht landesweit eingeführt. Doch nachdem es einige Regionen in China schon ausprobiert haben, hat auch die Stadtregierung von Peking angekündigt, das Bewertungssystem bis Ende 2020 in der chinesischen Hauptstadt einzuführen.

Seit Mitte November lassen sich auf der städtischen Webseite die Pläne ansehen. Das gesamte Verhalten aller rund 22 Millionen Pekinger soll erfasst werden. Aufgezählt werden in dem Bewertungskatalog unter anderem Verkehrsdelikte, Steuersünden, rüpelhaftes Verhalten in der Öffentlichkeit, Rauchen in öffentlichen Räumen.

Anschwärzen ist ausdrücklich erwünscht

Und da auch in China viele soziale Interaktionen inzwischen im Netz stattfinden, wird auch das Verhalten etwa in den sozialen Medien, beim Online-Shoppen und selbst beim Versenden von Kurznachrichten erfasst.

Wenn etwa ein Bürger einen regierungskritischen Kommentar verfasst und an seine Chat-Gruppe versendet, könnte das ebenfalls mit in das Soziale Kreditsystem einfließen – in dem Fall negativ. Anschwärzen ist ausdrücklich erwünscht.

Schlechte Bewertung – schlechte Jobchancen

Vorgesehen ist, dass Nutzer mit einer hohen Punktzahl einem sogenannten grünen Bereich zugeordnet werden. Können sie diesen Wert halten, erhalten sie vergünstigte Kredite oder Gutscheine etwa für Bahn- oder Auslandsreisen. Wer hingegen konstant niedrig bewertet wird, muss mit Nachteilen im Alltag rechnen.

Bestimmte Jobs werden unerreichbar, Schulen können deren Kindern die Aufnahme verwehren, Banken ihnen einen Kredit verweigern. Denn über eine Smartphone-App kann sich jeder über den eigenen Punktestand informieren. Aber nicht nur Behörden, Banken und Einkaufsplattformen sollen Einsicht erhalten, sondern auch Unternehmen, Reiseveranstalter und Fluggesellschaften.

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Eine Überwachungskamera auf jeden dritten Chinesen

Entziehen können sich die Menschen in Peking diesem Bewertungssystem nicht. Jeder bekommt ein Konto zugewiesen und ist gezwungen mitzumachen. Und damit es nicht nur bei Stichproben bleibt, sondern das Verhalten bei jedem auch tatsächlich Konsequenzen haben soll, sind die chinesischen Behörden derzeit dabei, das ganze Land mit Überwachungskameras zu überfluten.

Rund 170 Millionen Kameras gibt es auf Chinas Straßen bereits. Sage und schreibe 400 Millionen sollen es in naher Zukunft werden. Auf jeden dritten Chinesen kommt dann eine Überwachungskamera. Viele davon sind bestückt mit Gesichtserkennungssoftware. Sie ermöglichen die fast lückenlose Überwachung der Bürger.

Chinas Vorhaben erinnert an „Black Mirror“-Folge

In den sozialen Netzwerken kursieren erste Bilder davon, wie die Überwachung laufen wird: Sie zeigen, wie in einem Kontrollraum der örtlichen Polizei auf einer digitalen Wand Hunderte Aufnahmen von Überwachungskameras einer großen Pekinger Kreuzung zu sehen sind. Auffälligkeiten werden automatisch heran gezoomt.

Wer die Folge „Nosedive“ in der Netflix-Serie „Black Mirror“ gesehen hat, ahnt, was in China droht: In besagter Episode wird der Sozial-Faktor von allen Menschen via einer App gemessen und bewertet. Auf der Jagd nach einer besseren Sozialbewertung werden die Protagonisten geradezu besessen. Von einer perfekten Überwachung ist die Rede, die im bevölkerungsreichsten Land der Welt Realität werden könnte.

Steinmeier äußerte Sorge über Überwachung

Auch im Ausland zeigt man sich besorgt. Bundespräsident Walter Steinmeier hat bei seinem Besuch Anfang Dezember in der Volksrepublik vor zu viel Überwachung gewarnt. Solle die Digitalisierung „mehr Macht für wenige oder mehr Chancengleichheit dank digitaler, frei zugänglicher Ideen“ bringen, fragte Steinmeier in einer Rede vor Studenten in der Stadt Chengdu.

Doch solche mahnenden Worte finden bei der kommunistischen Führung in Peking nur wenig Anklang. Und auch innerhalb der chinesischen IT-Szene gibt es viele, die die Aufregung um das geplante Bewertungssystem für übertrieben halten.

Genau genommen handele es sich lediglich um eine Zusammenführung der Daten von Akteuren, die längst die Daten ihrer Kunden gesammelt haben, versucht der Pekinger IT-Experte John Huang zu beschwichtigen, der ausländische Unternehmen in China berät.

Ebay, Facebook und Co. würden ähnlich handeln

Der Online-Riese Alibaba, der mit Taobao und T-Mall zwei der beliebtesten Handelsplattformen in China betreibt, verwende längst ein solches Bewertungssystem bei seinen Nutzern. Das sei bei Ebay oder Amazon jedoch nicht anders.

Und dass Tencent, Mutterkonzern der in China weitverbreiteten Kurznachrichten-App Wechat, Nutzer ausschließt, die verbotene Einträge verfasst oder weiterverbreitet haben, sei im Prinzip nichts anderes, als wenn Facebook neuerdings ebenfalls dazu angehalten sei, Fake News zu löschen.

Amnesty International kritisiert Soziales Kreditsystem

Der in Hongkong lebende Menschenrechtsaktivist Patrick Poon von Amnesty International widerspricht dem: Das Soziale Kreditsystem der chinesischen Führung sei eine „umfassende Überwachung“, die es in diesem Ausmaß bislang noch nie gegeben habe.

„Die Menschen stehen völlig unter dem Radar der Behörden“, sagt Poon. Das Leben eines jeden werde in jeder Hinsicht von diesem System beeinflusst. Und er warnt: „Andere autoritäre Regime könnten dieses Modell für eine stärkere soziale Kontrolle der Bürger ebenfalls nützlich finden.“