Peking. Der chinesische Internet-Riese Tencent will mit dem WhatsApp-Konkurrenten WeChat global expandieren. Der Staat liest bei allem mit.

Noch vor wenigen Jahren hatten viele gespöttelt, der chinesische Messengerdienst WeChat sei ja bloß ein Abklatsch von WhatsApp. Auf den ersten Blick ist die Ähnlichkeit auch nicht von der Hand zu weisen. Auf beiden Logos sind weiße Sprechblasen auf grünem Hintergrund zu sehen. Wer die App aus China jedoch kennt, wird rasch merken: WeChat, das auf chinesisch Weixin heißt, ist alles andere als nur abgekupfert.

Vielmehr hat sich die App des chinesischen Internet-Giganten Tencent zu einer Allzweckplattform für so ziemlich alle Lebenslagen entwickelt. 980 Millionen aktive Nutzer zählt WeChat – und ist damit die meist genutzte App im Reich der Mitte. Und jetzt soll das Programm den Rest der Welt erobern – und der chinesische Staat liest praktisch mit.

WeChat hat in China den Handel komplett revolutioniert

Mit WeChat kann man nicht nur chatten, telefonieren oder Kurznachrichten versenden. Ob einkaufen, für Buchungen von Reisen und Restaurants, Taxiruf, Fahrradmiete – WeChat hat in China den kompletten Handel revolutioniert. Mittlerweile sind in China in Geschäften, Restaurants und sogar bei Obsthändlern auf der Straße QR-Codes zu finden, über die sich die Einkäufe via Smartphone mobil bezahlen lassen. In Großstädten lassen viele Menschen ihre Portemonnaies zu Hause. Zum Bezahlen reicht das Smartphone völlig.

„Noch sind vor allem chinesische Touristen im Ausland unsere Zielgruppe“, sagte Tencent-Managerin Grace Yin kürzlich auf einer Software-Entwickler-Konferenz in der südchinesischen Metropole Guangzhou. Doch allein das sei schon höchst lukrativ. Yin ist bei Tencent für die globale Expansion zuständig.

Mit WeChat kann man bei Rossmann und dm bezahlen

62 Millionen Chinesen reisten allein im ersten Halbjahr 2017 ins Ausland. Die Bezahlfunktion von WeChat werde ebenso wie die chinesische Konkurrenz Alipay europaweit bereits von rund 10.000 Geschäften akzeptiert, in Deutschland von etwa 2000 Läden. Darunter befinden sich unter anderem Filialen der Drogerieketten Rossmann und dm, aber auch die Geschäfte des Münchener Flughafens. Auch wer keine chinesischen Schriftzeichen lesen kann, kann die App schon nutzen. WeChat gibt es längst auch auf Englisch, Deutsch und Französisch.

Dass WeChat sich im eigenen Land so rasch verbreiten konnte, ist sicherlich auch der Zensur der chinesischen Führung geschuldet. Ausländische Anbieter wie Twitter und Facebook sind vom chinesischen Markt mit 1,3 Milliarden Menschen komplett abgeschnitten, ebenso die meisten Google-Dienste, seit einiger Zeit auch WhatsApp. Das allein erklärt den Erfolg aber nicht.

WeChat-Mutter Tencent ist mehr wert als Facebook

Ähnlich wie Apple, das externen Software-Entwicklern beim iPhone eine Plattform geboten hat, damit sie sich mit der Entwicklung neuer Apps austoben können, geht Tencent bei WeChat vor. App in App heißt die Lösung – Tencent stellt WeChat als Plattform zur Verfügung, auf der externe Anbieter ihre Anwendungen integrieren können. Im Unterschied zu anderen Apps müssen diese Mini-Programme nicht extra heruntergeladen und installiert werden – sie sind innerhalb des WeChat-Ökosystems sofort einsatzbereit.

Der Erfolg bemisst sich auch in Zahlen: Obwohl WeChat derzeit noch ausschließlich chinesische Nutzer zählt, ist Mutterkonzern Tencent inzwischen mehr wert als der im Rest der Welt weit verbreitete WhatsApp-Betreiber Facebook. Im November überflügelte Tencent erstmals den US-Giganten.

Tencent wird in Hongkong mit umgerechnet 562 Milliarden Dollar (453 Milliarden Euro) bewertet, Facebook in New York mit rund 541 Milliarden Dollar. Tencent gehört damit zu den fünf wertvollsten Unternehmen der Welt. Zugute kam dem Konzern ein gewaltiger Gewinnsprung im dritten Quartal 2017. Die Erlöse stiegen um 69 Prozent auf umgerechnet rund 9,77 Milliarden Dollar. Facebook verdiente im selben Zeitraum 2,77 Milliarden Dollar.

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    Angesichts dieses Erfolgs finden sich die ersten Nachahmer – und zwar in Europa: Die Opensource-Messenger-App Telegram, die wegen ihres besonderen Datenschutzes oft als Alternative zu WhatsApp gefeiert wird. Gegründet 2013 von den beiden russischen Brüdern Nikolai und Pawel Durow will Telegram im ersten Quartal dieses Jahres rund 1,2 Milliarden Dollar Startkapital einnehmen, um eine neue Kryptowährung zu schaffen, mit der direkt aus der App heraus ebenfalls Käufe getätigt oder anderen Nutzern Geld überwiesen werden kann – nur mit dem Unterschied, dass anstelle einer klassischen Währung Überweisungen anonym vorgenommen werden können.

    Mangelnder Datenschutz dürfte das größte Problem für Tencent werden, WeChat in anderen Ländern zu etablieren. Wie alle IT-Konzerne, die in China tätig sind, macht auch Tencent keinen Hehl daraus, dass die chinesischen Sicherheitsbehörden jederzeit Zugriff auf die Daten haben können. In China muss sich jeder WeChat-Nutzer mit echten Namen und Bankkonten registrieren. Schon jetzt gilt: Wer in der Volksrepublik eine Chat-Gruppe einrichtet, wird für deren Inhalte verantwortlich gemacht – auch politisch. Zahlreiche Nutzer sitzen in China in Haft, weil aus Sicht der kommunistischen Führung politisch nicht korrekte Einträge gepostet wurden.

    Diese Gefahr droht ausländischen Nutzern nicht. Und doch: Wer WeChat nutzt ist jederzeit der Kontrolle der chinesischen Führung ausgesetzt – künftig dann auch international.

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