Berlin. Dass Angela Merkel keine weitere Amtszeit anstrebt steht fest. Doch was muss ein Nachfolger erfüllen? Wir nennen einige Merkmale.

Der Herbst ist da, und die Kanzlerin geht. Nicht sofort. Aber ob Angela Merkel im Frühjahr noch im Amt ist oder bereits zurückgetreten, weggedrängt oder abgewählt – das ist im Moment völlig offen. Sicher ist nur: Merkel wird ab Dezember nicht mehr Parteichefin der CDU sein und spätestens 2021 ganz aus der Politik aussteigen. Das ist ihre selbst gesetzte Frist. Wer aber folgt auf Merkel? Der wichtigste Job in Deutschland wird frei, die Stellenanzeige ist quasi raus. Doch wer passt am besten – und kriegt derjenige auch am Ende den Job?

Um ehrlich zu sein: Selbst Wahrsager bräuchten im Moment mindestens zwei Glaskugeln, um diese Frage zu beantworten. Eine Kugel für das Kandidatenkarussell in der Union. Und eine zweite, um vorherzusehen, ob CDU und CSU bei der nächsten Kanzlerwahl überhaupt den ersten Zugriff auf das Amt haben. Der Gedanke ist ungewohnt, aber: Die Union kann sich nicht mehr blind darauf verlassen, stärkste Kraft im Bundestag zu werden. Allzu schnell drehen sich heute Stimmungen, allzu rasant bröckelt sicher geglaubte Stärke. Der unglückliche SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz kann ein Lied davon singen.

Die große Sehnsucht nach unverbrauchten Gesichtern

Wer heute wettet, dass der nächste Bundeskanzler oder die nächste Bundeskanzlerin aus den Reihen der Union kommt, geht jedoch kein besonders großes Risiko ein. Die Chance, dass Merkels Nachfolger CDU-Mitglied ist, liegt noch immer bei deutlich über 50 Prozent. Wer allerdings heute, eine Woche nach Merkels Rückzugsrede und fünf Wochen vor dem CDU-Parteitag in Hamburg, hohe Summen auf einen konkreten Namen setzt, ist naiv – oder sehr mutig.

Mindestens sechs Männer und eine Frau aus CDU und CSU haben sich in den letzten Tagen, Wochen und Monaten nach vorne geschoben. Und es können noch mehr werden – wenn erst mal bei allen durchgesickert ist, wie begeistert sich die Partei in diesen Tagen in Überraschungskandidaten verliebt – siehe Friedrich Merz (62).

Friedrich Merz kandidiert offiziell für den CDU-Parteivorsitz

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    Was zum Beispiel ist mit Ole von Beust? Könnte der 63-jährige ehemalige Erste Bürgermeister von Hamburg nicht auch mal über ein politisches Comeback nachdenken? Und überhaupt: Wo bleibt eigentlich der Ruf nach Karl-Theodor zu Guttenberg, der in solchen Zeiten sonst immer reflexhaft laut wird? Mit 46 Jahren hätte er immerhin das ideale Alter für einen Generationswechsel.

    Fest steht: Es gibt in allen Parteien eine große Sehnsucht nach Kandidaten mit Außenseiterstatus. Leute, an denen nicht der Staub des bundespolitischen Alltags haftet. Bei Schulz war das so, bei Merz ist das so, auch Grünen-Chef Robert Habeck (49) profitiert von diesem Effekt. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer (56) und Gesundheitsminister Jens Spahn (38) dagegen, die beide seit langem als mögliche CDU-Kanzlerkandidaten und Merkel-Nachfolger gehandelt werden, klebt das Etikett „Establishment“ auf der Stirn.

    Einige Kandidaten halten noch die Füße still

    Das gleiche würde wohl auch für NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (57) gelten, sollte er als CDU-Kanzlerkandidat antreten. Umgekehrt gibt es gerade bei der Union aber auch eine große Liebe zum Etablierten, Vertrauten, Bewährten: Würde der 76-jährige Wolfgang Schäuble antreten, könnten viele andere Kandidaten gleich einpacken.

    Und dann sind da noch drei Herren, die bislang die Füße still halten, die aber immer für Überraschungen gut sind: Der liberale Daniel Günther (45), Ministerpräsident in Kiel, wäre der Mann der Stunde, um ein Jamaika-Bündnis aus CDU, Grünen und FDP zu schmieden. Der neue CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus (50) hat erfolgreich gegen den 69-jährigen Volker Kauder geputscht und die machtbewussten Bundestagsabgeordneten auf seine Seite gezogen.

    Und schließlich ist da noch der extrem ehrgeizige CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt (48): Der Bayer traut sich im Prinzip alles zu – hat sich aber gerade verzockt: Als Einpeitscher gegen Merkel hätte Dobrindt im Sommer beinahe die Union gesprengt.

    Stimmen zu Merkel-Rückzug

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      Spahn inszeniert sich mit Video im Netz

      Doch wer kann am ehesten Kanzler? Klar ist: Machtbewusst sind sie alle, sonst wären sie nicht da, wo sie heute schon sind. Vermarkten können sie sich auch – wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg. Jens Spahn hat schon zur Bewerbung um den CDU-Parteivorsitz ein Möchtegern-Kanzler-Video ins Netz gestellt, Annegret Kramp-Karrenbauer, die einzige Frau in der Runde, dagegen pflegt ihr Image als unaufgeregte Parteimanagerin – und tut gleichzeitig so, als sei Imagepflege das letzte, wofür sie sich interessieren würde. Alle anderen wissen genau, dass sie übers Kanzleramt erst sprechen dürfen, wenn sie schon fast drin sind. Taktiker sind sie eben alle.

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      Doch bitte nicht vergessen: Mit der Stellenanzeige für die Merkel-Nachfolge wird kein strategisch selbstoptimierter Karrierist gesucht, sondern ein Regierungschef, der in der Welt des 21. Jahrhunderts Deutschland auf Kurs hält: demokratisch, rechtsstaatlich, sozial, ökonomisch, europäisch. Wer nur in TV-Talkrunden als dynamischer Politik-Verkäufer Punkte macht, kann schon beim ersten Staatsbesuch alt aussehen, geschweige denn mit Trump oder Putin verhandeln.

      Wer einen Parteitag rocken kann, hat damit noch lange nicht bewiesen, dass er auch im Bundestag, im Sperrfeuer der Opposition von links bis ganz rechts, die Nerven behält. Wer auf Marktplätzen polarisiert, bis der Arzt kommt, sollte zumindest einen Plan B dafür haben, wie er am Ende als Kanzler von 80 Millionen Deutschen gegen Spaltung, Ängste und Hass anregieren will.

      Wer immer Merkels Job machen wird – er hat es nicht leicht. Deutschland geht es zwar wirtschaftlich gut, doch die Bürger stellen Fragen: Kann ich morgen meine Miete noch bezahlen? Gibt es meinen Job in zehn Jahren noch? Wer pflegt mich im Alter? Wieviel Zuwanderung können wir schultern? Niemand ist unersetzbar – das gilt auch für Merkel. Doch ihr Nachfolger oder ihre Nachfolgerin muss mehr können, als die Sehnsucht nach einem neuen Gesicht im Kanzleramt zu stillen.

      Ein Grüner im Kanzleramt?

      Sicher, auch die SPD hat trotz schlechter Umfragen den Gedanken an einen eigenen Kanzlerkandidaten noch nicht aufgegeben. Doch nach dem Schulz-Desaster wirkt weder Parteichefin Andrea Nahles, noch Finanzminister Olaf Scholz oder die ostdeutsche Ministerpräsidentin Manuela Schwesig besonders wild darauf, ihren Hut in den Ring zu werfen.

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      Und die Grünen? Sie mögen davon träumen, dass der Höhenflug der Partei anhält und Bundeskanzler Habeck demnächst mit lässiger Miene am Kabinettstisch Platz nimmt. In der ganz wilden Traumversion vielleicht sogar zusammen mit Annalena Baerbock – als neue deutsche Doppelspitze im Kanzleramt.

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