Berlin. Von Paris bis Peking wird Kanzlerin Angela Merkel als Garant der Stabilität geschätzt. In Brüssel hofft man auf mehr Elan für Europa.

Lange Erfahrung, Anker der Stabilität, Stimme Europas: Die Attribute, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zwischen Brüssel, Moskau und Peking zugeschrieben werden, gleichen sich. Die deutsche Regierungschefin wird auf der internationalen Bühne als berechenbare Gesprächspartnerin geschätzt – auch wenn man in einzelnen Punkten völlig unterschiedlicher Meinung ist.

Offiziell hat sich zu Merkels Angekündigtem Rückzug als CDU-Chefin bisher nur Frankreichs Präsident Emmanuel Macron geäußert. Er versichert Merkel seiner Freundschaft und seiner Bewunderung. Sie habe sich vielen Herausforderungen wie der Flüchtlings- und Finanzkrise stellen müssen, sagt er in Paris. „Sie hat nie vergessen, für welche Werte Europa steht, und sie führte und führt ihr Land mit viel Mut.“

In EU-Kreisen sind die Meinungen gemischt

Insbesondere Macron hatte für seinen Vorstoß, die Eurozone stärker zu integrieren, große Erwartungen in Merkel gesetzt. Doch bereits in den vergangenen Monaten war in Paris der Eindruck entstanden, dass sich Merkel von Macrons europapolitischer Verve in die Enge getrieben fühlt. Dem im Koalitionsvertrag niedergelegten „neuen Aufbruch für Europa“ folgten aus französischer Sicht keine Taten. Dennoch wäre man bei einem Abtritt von Merkel als Kanzlerin alles andere als erleichtert. Ein möglicher Nachfolger wäre zunächst einmal die große Unbekannte.

In den übrigen EU-Kreisen ist das Meinungsbild gemischt. Einerseits herrscht eine gewisse Verunsicherung angesichts der unübersichtlichen Lage in Berlin. Merkels politisches Gewicht als Vertreterin des größten EU-Landes und ihr Eintreten für die Geschlossenheit der Gemeinschaft werden anerkannt. Andererseits hat man in Brüssel die mühsame Regierungsbildung nach der Bundestagswahl im September 2017 mit Skepsis verfolgt.

Spätestens beim öffentlichen Aufschrei gegen den in Kritik geratenen Verfassungsschutz-Chefs Hans-Georg Maaßen verfestigte sich in der EU der Eindruck: Merkels Stellung ist angeknackst. Hinter vorgehaltener Hand spricht man vom „Lame-duck“-Syndrom, einer Kanzlerschaft auf Abruf. Viele in Brüssel hoffen auf einen politischen Neubeginn in Deutschland mit einer stabilen Regierung und mehr Elan für Europa.

Merkels Rückzug: So wird jetzt um die Nachfolge gekämpft

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    Bedauern in Großbritannien

    In Großbritannien wird ein mögliches Ende der Ära Merkel mit Bedauern aufgenommen. Das Londoner Traditionsblatt „Times“ hatte die Kanzlerin einst als „Königin Europas“ gepriesen. Vor allem die deutsche Haushaltsdisziplin galt bei den Briten als vorbildlich. Premierministerin Theresa May sah in Merkel eine wichtige Verbündete für einen geordneten Brexit.

    Selbst der russische Präsident Wladimir Putin hatte mit Merkel seinen Frieden gemacht. Moskau waren zwar die harsche Kritik der Kanzlerin an der Krim-Annexion und die daraus resultierenden EU-Sanktionen ein Dorn im Auge. „Aber Merkel kennt Russland, sie ist berechenbar und als Verhandlungspartnerin vertrauenswürdig“, heißt es im Kreml. Bei den Vierer-Gesprächen im sogenannten Normandie-Format hatte die Kanzlerin immer wieder auf ein Ende der Militär-Aktivitäten Russlands in der Ostukraine gedrungen. Putin baut auf deutsche Hilfe beim Aufbau des vom Bürgerkrieg zerstörten Syriens.

    Für China gilt Merkel als zentrale Ansprechpartnerin in Europa

    Auch die Chinesen äußern sich lobend über Merkel. In Peking wird ihr eher technokratischer Regierungsstil geschätzt, der dem eigenen Temperament entspricht. Sie gilt als der zentrale Ansprechpartner in Europa. Chinesische Regierungskreise rechnen ihr hoch an, dass sie Menschenrechtsfragen fast immer nur hinter verschlossenen Türen ansprach.

    Ganz anders die Stimmungslage in Washington. Donald Trump, Amerikas instinktgetriebener Präsident, und die kühle deutsche Physikerin der Macht haben sich nie wirklich verstanden, höchstens professionell toleriert. Themen wie die Nato, der Umgang mit Russland, Deutschlands Exportstärke, ein drohender Handelskrieg, Trumps Innen- wie Außenpolitik mit dem Vorschlaghammer sorgten für Reibungen im deutsch-amerikanischen Verhältnis. Merkels Willkommenspolitik in der Flüchtlingskrise geißelte Trump als „totales Desaster“. Seit Amtsantritt des Nachfolgers von Barack Obama, der Merkel am Ende wertschätzte und mochte, gab es immer wieder Anlass zu Verstimmungen.