Brüssel. Die Nato in der Krise. US-Präsident Trump droht mit einem Alleingang. Der Druck auf Merkel, die Rüstungsausgaben zu erhöhen, wächst.

Die Spannungen zwischen den USA und Europa haben mit voller Wucht die Nato erreicht: Mit einer angedeuteten Austrittsdrohung hat US-Präsident Donald Trump am Donnerstag für einen beispiellosen Eklat beim Nato-Gipfel in Brüssel gesorgt – und das Bündnis so tief erschüttert wie noch nie in seiner fast 70-jährigen Geschichte.

Nach einer dramatischen Krisensitzung erhöht sich der Druck auf Deutschland und andere Nato-Staaten, die Verteidigungsausgaben schneller und massiver zu erhöhen als geplant. „Wir werden darüber reden müssen, inwieweit wir mehr in die Ausrüstung geben“, sagte Kanzlerin Angela Merkel unter dem Eindruck einer „sehr ernsten Diskussion“.

Zuvor hatte Trump einen von ihm mitgetragenen Beschluss zu den Verteidigungsausgaben der Nato-Staaten vom Vorabend überraschend wieder in Frage gestellt. Er beschwerte sich in einer rund 20 Minuten langen Tirade erneut über zu geringe Ausgaben der Verbündeten, namentlich von Deutschland, Spanien und Belgien.

Trump droht: Wir machen unser eigenes Ding

Küsschen, Küsschen. Kanzlerin Angela Merkel begrüßt Melania Trump in Brüssel.
Küsschen, Küsschen. Kanzlerin Angela Merkel begrüßt Melania Trump in Brüssel. © REUTERS | KEVIN LAMARQUE

„Angela, du musst das ändern“, ging Donald Trump die Kanzlerin an. Dann drohte er: Wenn die Bündnispartner nicht „sofort“ beziehungsweise zum 1. Januar 2019 zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in die Verteidigung investierten, dann „machen die Amerikaner ihr eigenes Ding“. Der Gipfel hatte dagegen gerade erst die Verabredung bekräftigt, das Zwei-Prozent-Ziel bis 2024 anzustreben, was schwer genug wird.

Schrecken im fensterlosen Saal 1 des neuen Hauptquartiers: War das die Austrittsdrohung, die im Vorfeld befürchtet worden war und das Ende der Nato heraufbeschwören könnte?

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg unterbrach die Sitzung, berief ein Krisentreffen nur der 29 Regierungschefs mit ihren engsten Beratern ein. Ob Trump wirklich mit dem Bruch gedroht hatte, blieb unklar – mehrere Teilnehmer, darunter Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, wiesen diese Interpretation zurück. Aber alle wussten: Der „worst case“ für den Gipfel war eingetreten.

Das Ultimatum umzusetzen, war natürlich unmöglich, wie etwa Merkel und Macron dem Präsidenten klar machten. Innerhalb weniger Monate müsste etwa Deutschland seine jährlichen Verteidigungsausgaben von 50 auf 80 Milliarden Euro nach oben schrauben. „Einfach nur absurd“, hieß es unter Nato-Diplomaten. Die Bundesregierung plant, selbst 2024 erst 1,5 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben.

Regierungschefs wollen mehr Geld für Verteidigung geben

Aber die Regierungschefs signalisierten nach Trumps Drohung immerhin, dass sie ihre ohnehin schon erhöhten Investitions-Anstrengungen nun noch einmal verstärken würden – so fasste Stoltenberg das Ergebnis zusammen. Es gebe „ein neues Gefühl für die Dringlichkeit“, sagte er. Trump deutete das in einer Pressekonferenz zum Triumph um. Er übertrieb dabei offenbar gewaltig.

Der Präsident behauptete, die Regierungschefs hätten ihre Zusagen „substanziell erhöht“ – in Bereiche, an die sie vorher nicht einmal gedacht hätten. „Die Zahlen gehen nach oben wie ein Raumschiff“, sagte Trump und lobte sich dafür als „sehr stabiles Genie“. Er legte nahe, dass das neue, mittelfristige Ziel bei vier Prozent liege.

Doch Zusagen über das bekannte Zwei-Prozent-Ziel bis 2024 hinaus wurden von anderen Teilnehmern klar bestritten – von Macron etwa oder einem Sprecher der Bundesregierung. Trump genügte der Schein, um nun doch zuzusagen, dass die USA ihre „sehr starken“ Bündnisverpflichtungen einhalten würden. Er lobte die Nato als „eine gut geölte Maschine“, sie sei jetzt „viel stärker als vor zwei Tagen“.

Der US-Präsident bestätigte aber seine Austrittsdrohung immerhin indirekt: Er gehe davon aus, dass er auch ohne Zustimmung des Kongresses die Nato verlassen könne, sagte er. Die Frage stellt sich, weil sich der US-Senat und der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, der Republikaner Paul Ryan, erst am Mittwoch klar zur Nato bekannt hatte, was Trumps realen Spielraum massiv einschränkt.

Trump verteidigte sein rabiates Vorgehen auf dem Gipfel, sogar seine Ausfälle gegen Merkel als „sehr effektive“ Taktik. Tatsächlich ist die Bundesregierung besonders betroffen. Bislang hat Merkel das Zwei-Prozent-Ziel als Richtgröße interpretiert, die selbst 2024 bei weitem nicht erreicht wird; aktuell liegt Deutschland mit seinen Verteidigungsausgaben bei 1,24 Prozent – die europäischen Nato-Staaten erreichen im Durchschnitt 1,5 Prozent, die USA 3,5 Prozent.

Für die Bundesrepublik als zweitgrößtem Nato-Staat mit relativ starkem Wirtschaftswachstum ist jede kleine Steigerung mit Milliarden-Mehrausgaben verbunden. Doch nach diesem Gipfel steht Deutschland unter enormem Druck, die früheren Zusagen ernster zu nehmen. Merkel sagte: „Angesichts der Diskussion hier müssen wir immer wieder fragen, was können wir gegebenenfalls noch mehr tun.“