Berlin . Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil kritisiert im Interview Hans-Georg Maaßen. Der Verfassungsschutzchef werde zur Belastung.

Stephan Weil ist einer der wenigen Gewinner in der SPD. 2017 behauptete er sich als Regierungschef in Niedersachsen, sein Einfluss in der Partei ist gewachsen. Beim Besuch in der Berliner Zentralredaktion zeigt sich der 59-Jährige alarmiert über Chemnitz – und die Folgen.

Die AfD ist bundesweit und im Osten auf dem Vormarsch, in Niedersachsen ist sie schwach. Was ist Ihr Rezept gegen den Rechtsruck?

Stephan Weil: Der starke Staat muss sich nicht nur auf der Straße, sondern auch im Alltag beweisen. Auch bei uns in Niedersachsen ist nicht alles rosarot, aber unsere Sicherheitslage ist insgesamt gut und zusammen mit einer starken Zivilgesellschaft sorgt das für ein friedliches Zusammenleben. Die allermeisten Menschen in Niedersachsen haben Vertrauen in den Staat und das ist mindestens ebenso wichtig wie die objektive Lage.

Niedersachsen und Bremen lassen die AfD-Jugend vom Verfassungsschutz beobachten, sollten andere Länder folgen?

Weil: Unser Innenminister Boris Pistorius ist sicher, dass das Material gegen die Junge Alternative ausreicht und der Schritt auch vor Gericht Bestand hätte. Wenn die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind, muss ein Staat seine Möglichkeiten nutzen. In Ostdeutschland tritt die AfD noch einmal wesentlich aggressiver und ausländerfeindlicher auf als im Westen. Welche Schlussfolgerungen sie daraus ziehen, ist Sache von meinen Kollegen in diesen Ländern.

Ist Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, der umstrittene Kontakte zur AfD gehabt haben soll, der richtige Mann für diesen sensiblen Posten?

Weil: Bei mir mehren sich die Fragezeichen. Die Gespräche mit Frau Petry sind ja mehr als mysteriös. Ich halte es für höchst fragwürdig, wenn auch nur der Anschein erweckt wird, dass potenzielle Beobachtungsobjekte des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine eingehende Beratung durch diese Behörde erhalten. Herr Maaßen wird mehr und mehr zu einer Belastung für das eigene Amt.

Maaßen zweifelt nun an den rechten Übergriffen auf Ausländer in Chemnitz und vermutet gezielte Falschinformationen. Er löst damit Irritationen aus, auch bei Ihnen?

Stephan Weil.
Stephan Weil. © Reto Klar | Reto Klar

Weil: Große Irritationen! Wenn Maaßen konkrete Beweise dafür hat, dass es sich bei den Bildern von Hetzjagden um gefakte Videos handelt, dann muss er diese Beweise unverzüglich vorlegen. Ansonsten schürt er mit solchen Äußerungen den Verdacht, dass er sich schützend vor Rechtsextreme stellt. So oder so: Es muss Klarheit her und das ist der Job des Bundesinnenministers. Eine Behörde wie das Bundesamt für Verfassungsschutz muss über jeden Verdacht erhaben sein.

Sachsens CDU-Ministerpräsident Kretschmer und Kanzlerin Merkel bewerten die Vorfälle von Chemnitz unterschiedlich, zu welchem Ergebnis kommen Sie?

Weil: Ich war nicht in Chemnitz. Aber die Videos lassen für mich sehr stark den Eindruck von Hetzjagden entstehen. Insofern habe ich volles Verständnis für die Wortwahl der Bundeskanzlerin und des Regierungssprechers. Wir haben zahlreiche Berichte über Drohungen gegenüber Journalisten. Wir haben Bilder ­gesehen mit dem Hitlergruß. Deswegen hat mich die Regierungserklärung des Kollegen Kretschmer schon sehr ­überrascht und auch befremdet. Ich glaube nicht, dass er gut beraten gewesen ist.

Warum hat Kretschmer dann so gesprochen?

Weil: Ich kann Ihnen das nicht sagen. Ich bin vorsichtig, als Westdeutscher über ostdeutsche Verhältnisse zu urteilen. Chemnitz aber hat eine bundesweite Bedeutung. Das ist nicht mehr nur eine Angelegenheit des Freistaats Sachsen. Herr Kretschmer hat dem Kampf gegen Rechtsextremismus mit diesen Äußerungen jedenfalls keinen Dienst erwiesen.

Sachsens Regierungschef prophezeit, Verhältnisse wie in Sachsen würde es in drei, vier Jahren überall in Deutschland geben.

Weil: Ich weiß nicht, wie er darauf kommt. Für Niedersachsen bin ich deutlich optimistischer. Vielleicht sollte man erst einmal die eigenen Probleme lösen, bevor man sich den Kopf der anderen zerbricht.

Aufmarsch von Rechten in Chemnitz

Nach dem tödlichen Angriff auf einen 35-jährigen Mann in Chemnitz und anschließenden Ausschreitungen am Sonntag ist es in der sächsischen Stadt am Montag erneut zu Demonstrationen und Gewaltausbrüchen gekommen. Als Reaktion versammelten sich ebenfalls mehrere linke Gruppierungen, um sich dem Aufmarsch entgegenzustellen.
Nach dem tödlichen Angriff auf einen 35-jährigen Mann in Chemnitz und anschließenden Ausschreitungen am Sonntag ist es in der sächsischen Stadt am Montag erneut zu Demonstrationen und Gewaltausbrüchen gekommen. Als Reaktion versammelten sich ebenfalls mehrere linke Gruppierungen, um sich dem Aufmarsch entgegenzustellen. © dpa | Jan Woitas
Rechte Demonstranten hielten Schilder mit der Aufschrift: „Asylflut stoppen“ in die Höhe.
Rechte Demonstranten hielten Schilder mit der Aufschrift: „Asylflut stoppen“ in die Höhe. © dpa | Jan Woitas
Auch Banner mit der Aufschrift „Kein Zutritt für Terror“ waren zu sehen, wie hier vor dem Karl-Marx-Monument.
Auch Banner mit der Aufschrift „Kein Zutritt für Terror“ waren zu sehen, wie hier vor dem Karl-Marx-Monument. © dpa | Sebastian Willnow
Die Polizei versuchte, die Protestierenden zurückzuhalten.
Die Polizei versuchte, die Protestierenden zurückzuhalten. © dpa | Sebastian Willnow
Ein rechter Demonstrant mit Siegesgeste.
Ein rechter Demonstrant mit Siegesgeste. © Getty Images | Sean Gallup
Im Laufe des Montagabends zogen die rechten Demonstranten durch die Chemnitzer Innenstadt. Teilnehmer berichteten von einer aggressiven Stimmung.
Im Laufe des Montagabends zogen die rechten Demonstranten durch die Chemnitzer Innenstadt. Teilnehmer berichteten von einer aggressiven Stimmung. © Getty Images | Sean Gallup
Während den Ausschreitungen wurden Böller und Pyrotechnik gezündet.
Während den Ausschreitungen wurden Böller und Pyrotechnik gezündet. © Getty Images | Sean Gallup
„Aus beiden Versammlungslagern gab es Würfe von Feuerwerkskörpern und anderen Gegenständen. Dadurch wurden einige Menschen verletzt und müssen nun behandelt werden. Wir fordern eindringlich auf friedlich zu bleiben“, schrieb die Polizei Sachsen auf Twitter.
„Aus beiden Versammlungslagern gab es Würfe von Feuerwerkskörpern und anderen Gegenständen. Dadurch wurden einige Menschen verletzt und müssen nun behandelt werden. Wir fordern eindringlich auf friedlich zu bleiben“, schrieb die Polizei Sachsen auf Twitter. © REUTERS | MATTHIAS RIETSCHEL
Im Laufe des Tages trafen Unterstützer der rechten und linken Szene immer wieder aufeinander. Die Polizei versuchte, beide Lager auseinanderzuhalten.
Im Laufe des Tages trafen Unterstützer der rechten und linken Szene immer wieder aufeinander. Die Polizei versuchte, beide Lager auseinanderzuhalten. © Getty Images | Sean Gallup
Die Polizei eskortiert einen verletzten Teilnehmer.
Die Polizei eskortiert einen verletzten Teilnehmer. © Getty Images | Sean Gallup
Schon am Sonntag war eine spontane Demonstration nach den tödlichen Messerstichen auf einen Deutschen beim Chemnitzer Stadtfest in Angriffen auf Migranten gemündet. Aufgrund einer aktuellen Gefährdungslage verlassen die Besucher vergangenen Sonntag gegen 16 Uhr das Stadtfest.
Schon am Sonntag war eine spontane Demonstration nach den tödlichen Messerstichen auf einen Deutschen beim Chemnitzer Stadtfest in Angriffen auf Migranten gemündet. Aufgrund einer aktuellen Gefährdungslage verlassen die Besucher vergangenen Sonntag gegen 16 Uhr das Stadtfest. © dpa | Alexander Prautzsch
Blumen und Kerzen liegen in der Chemnitzer Innenstadt dort, wo der 35-Jährige am Sonntag angegriffen wurde. Er starb wenig später.
Blumen und Kerzen liegen in der Chemnitzer Innenstadt dort, wo der 35-Jährige am Sonntag angegriffen wurde. Er starb wenig später. © dpa | Sebastian Willnow
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Der Asylfrieden in der Union erweist sich als brüchig. Horst Seehofer bezeichnet die Migration als „Mutter aller politischen Probleme“.

Weil: Herr Seehofer wird es nicht mehr begreifen. Nach diesem unsäglichen Sommertheater, das er angezettelt hat, muss doch auch dem Letzten in der CSU klar geworden sein, dass sie damit nur das Geschäft der AfD betreibt und übrigens auch den eigenen Verein beschädigt. Es ist erschreckend, wie die CSU auf diese Art und Weise der demokratischen Mitte in unserem politischen Spektrum schadet.

Wie wird sich das auf die Landtagswahl in Bayern in fünf Wochen auswirken?

Weil: Herr Söder hat sich doch längst von seinem Freund Seehofer abgesetzt. Die Umfragewerte der CSU sind im Sommer noch einmal richtig in den Keller gegangen. Persönlich bin ich überzeugt davon, dass es bei einem schlechten Wahlergebnis sehr schnell einen neuen CSU-Parteivorsitzenden geben wird.

Mit miesen Umfragewerten muss auch die SPD leben. Viele Wähler wandern zur AfD. Was macht Ihre Partei falsch?

Weil: Es dauert länger, Vertrauen zurückzugewinnen, als man es verloren hat. Das Comeback der SPD gelingt nicht über Nacht. Wir müssen sehr hart arbeiten, mit wenigen Schwerpunkten unsere Unverwechselbarkeit gegenüber anderen Parteien zu zeigen. Der Vorstoß von Olaf Scholz bei der Rente ist absolut richtig. Wir müssen das Rentenniveau langfristig absichern und verhindern, dass Millionen Menschen in Altersarmut abrutschen. Das unterscheidet uns von den anderen Parteien.

Die Imagewerte der SPD-Chefin Andrea Nahles sind schwach, sie verbreitet keinen Aufbruch. Der findet bei den Grünen statt.

Weil: Wir hatten ja bei Martin Schulz das umgekehrte Phänomen. Der ist bei 100 Prozent ganz oben in den Fahrstuhl eingestiegen, das Ende kennen Sie. Andrea Nahles hat solide angefangen. Luft nach oben zu haben, muss nicht schlecht sein. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.

Nahles fordert von Maaßen Beweise

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    Ihre Solidarität in Ehren. Aber wird nach den Wahlen in Bayern und Hessen, wo es für die SPD nicht gut aussieht, nicht doch über Nahles diskutiert werden?

    Weil: Wir kämpfen jetzt vor allem für gute Wahlergebnisse. Andrea Nahles hat ein schwieriges Erbe übernommen und arbeitet das auf. Dafür hat sie meine Hochachtung und meine volle Unterstützung. Die SPD wieder flottzukriegen, ist eine Herkulesaufgabe und nicht nur eine Aufgabe der Parteivorsitzenden.