Berlin/Ankara. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warnt die USA: „Wenn nötig, werden wir uns nach neuen Freunden und Verbündeten umschauen.“

Am 24. Juni wähnte sich der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan am Ziel seiner Wünsche. Mit dem Wahlsieg des 64-Jährigen trat das neue Präsidialsystem in Kraft, das dem Mann an der Spitze praktisch unbeschränkte Vollmachten zubilligt. Der politische Freifahrtschein für Erdogan bringt den Verbrauchern, Unternehmen und Banken in der Türkei aber nichts. Denn der Niedergang der türkischen Wirtschaft setzt Erdogan enorm unter Druck. US-Präsident Donald Trump hat die Krise zusätzlich angefacht, indem er eine Verdoppelung der Sonderzölle auf Stahl und Aluminium in der Türkei angeordnet hat.

Erdogan poltert gegen Washington: „Sie bedrohen uns“

Erdogan schießt nun verbal zurück und erhebt heftige Vorwürfe gegen die Regierung in Washington. „Sie bedrohen uns“, sagte Erdogan am Sonnabend vor Anhängern in der Provinz Ordu am Schwarzen Meer. In einem Gastbeitrag für die „New York Times“ warnte der Staatschef vor einem Ende der Partnerschaft mit seinem Land. Sollte der Trend des Alleingangs und der Respektlosigkeit der USA nicht umgekehrt werden, werde es für die Türkei nötig, sich „nach neuen Freunden und Verbündeten umschauen“, so Erdogan.

Nach Trumps Ankündigung der neuen Strafzölle telefonierten Erdogan und der russische Präsident Wladimir Putin miteinander. In dem Gespräch sei es um strategische Projekte bei der Zusammenarbeit im Energiesektor und die wirtschaftlichen Beziehungen gegangen, teilte das russische Präsidialamt mit. Aus Erdogans Staatskanzlei verlautete, es sei auch über die Zusammenarbeit im Rüstungsbereich und über Syrien gesprochen worden.

Ankara will russische S-400-Luftabwehrraketen kaufen

Sind sie noch Bündnispartner? Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (r.) und sein amerikanischer Amtskolkege Donald Trump beim Nato-Gipfel im Juli in Brüssel.
Sind sie noch Bündnispartner? Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (r.) und sein amerikanischer Amtskolkege Donald Trump beim Nato-Gipfel im Juli in Brüssel. © picture alliance/AP Photo | dpa Picture-Alliance / Markus Schreiber

Erdogans unverhüllte Drohung ist der bisherige Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen den beiden Nato-Partnern. Angedeutet hatte sich diese Entfremdung bereits seit einiger Zeit. So arbeitet Erdogan in der Syrien-Frage eng mit Russland und dem Iran zusammen, den Trump als größten Unruhefaktor im Nahen Osten ansieht. Zudem wollen die Türken russische S-400-Luftabwehrraketen kaufen. In Nato-Kreisen wirft das die Sorge auf, dass Moskau als Gegenleistung Einblicke in die Waffensysteme der westlichen Militär-Allianz bekommen könnte.

Hintergrund der aktuellen Eskalation zwischen Ankara und Washington ist der Streit über den in der Türkei festgehaltenen US-Pastor Andrew Brunson. Die USA fordern die Freilassung Brunsons und weiterer amerikanischer Staatsbürger. Türkische Ermittler werden dem US-Geistlichen Verbindungen zum islamischen Prediger Fethullah Gülen vor, der in den Vereinigten Staaten im Exil lebt.

Erdogan macht Gülen für den gescheiterten Putschversuch am 15. Juli 2016 verantwortlich. Der Präsident kritisierte die Weigerung der Trump-Regierung scharf, Gülen nicht auszuliefern. Auch die US-Unterstützung für die kurdische Volksmiliz YPG in Syrien – für Ankara ein Ableger in der Türkei verbotenen PKK – rügt Erdogan. Die YPG ist für die Amerikaner ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen die Terror­miliz „Islamischer Staat“ (IS).

Kommen südeuropäische Banken ins Schlingern, hat auch Deutschland ein Problem

Am Freitag hatte der dramatische Kursverfall der türkischen Lira die internationalen Börsen nach unten gerissen. Die Türkei gilt als wichtiges Schwellenland, das in den vergangenen Jahren Wachsumsraten zwischen sieben und zehn Prozent erzielte. Da Erdogan die Wirtschaft mit Staatsaufträgen unter Dampf hielt, wurde viel ausländisches Kapital gebraucht.

Nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich steht die Türkei mit 223 Milliarden Dollar bei ausländischen Geldhäusern in der Kreide, vor allem aus Südeuropa. Wegen des Währungsverfalls zweifeln Experten daran, dass die Türkei die Schulden zurückzahlen kann.

Allein spanische Institute haben der Türkei rund 80 Milliarden Dollar geliehen. Deutsche Banken machten laut Bundesbank rund 21 Milliarden Euro locker. Sollten jedoch südeuropäische Institute ins Schlingern geraten, wären auch deutsche Häuser betroffen – sie sind in Südeuropa stark engagiert. Als Helfer in der Not könnte der Internationale Währungsfonds (IWF) der Türkei mit einem Darlehen beispringen. Für Erdogan wäre dies ein Gesichtsverlust.