Berlin. Seehofers Masterplan Migration kommt zu spät und die Lösungen darin sind nicht umzusetzen. Das fällt auf den Innenminister zurück.

Es kommt schon mal vor, dass ein Politiker einen Stein ins Wasser wirft und wartet, ob er Wellen schlägt. Bei Horst Seehofer ist es anders, grotesk anders. Vom Innenminister und CSU-Chef hat man zunächst die Welle gesehen – gleich verbunden mit einer Sturmwarnung –, und erst am Dienstag, Wochen nach dem Streit der Unionsparteien, lieferte er der Öffentlichkeit den Stein nach: seinen „Masterplan Migration“.

Schon die Reihenfolge war ein Fehler. Sie hat es allen schwergemacht, den Plan Punkt für Punkt zu prüfen, weil eine Sachfrage unversehens von ihm wie von Kanzlerin Angela Merkel zur Machtfrage gemacht worden ist. Das geschah zu Seehofers Schaden, denn zur Neuvermessung seiner Glaubwürdigkeit bräuchte man inzwischen ein Mikroskop, aber zu Merkels Vorteil. Die Kanzlerin setzte sich durch und pochte auf eine europäische Lösung, bevor man bestimmte Flüchtlinge an der deutschen Grenze aufhält.

Im Licht seines Gesamtkonzepts stellt sich erst recht die Frage, wie sich CDU und CSU in den vergangenen Wochen über diesen einzelnen Punkt von 63 dermaßen streiten konnten. Der rote Faden im Masterplan ist allerdings die Ablehnung der bisherigen Flüchtlingspolitik. Und dann versteht man doch, warum das Hilfswerk UNHCR von einem „bedenklichen Grundtenor“ redet und warum sich Merkel auf die Hinterbeine gestellt hat. Denn es geht Seehofer um eine „Asylwende“, um eine Radikalkorrektur der Politik, die sich mit dem Namen Merkel verbindet. Was Seehofer will, ist legitim, aber für die große Koalition selbstzerstörerisch.

Seehofers Erklärungen sind unglaubwürdig

Wenn Europas Seele die Humanität ist, wie die Kanzlerin gerade erst dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán ins Stammbuch schrieb, muss man konstatieren, dass ihr eigener Innenminister komplett „orbánisiert“ wird. Es ist unglaubwürdig, wenn Seehofer erklärt, der Streit mit der CDU-Kanzlerin sei beigelegt. Er ist nicht beigelegt, sondern verdrängt.

Er kann jederzeit wieder aufbrechen, zum Beispiel, wenn sich eben nicht genug EU-Staaten bereit erklären, mit Deutschland Abkommen über die Aufnahme von Flüchtlingen abzuschließen. Dann käme Seehofer nicht voran und kaum umhin, wieder einem nationalen Alleingang das Wort zu reden. Dann stünde die Republik vor einem Déjà-vu-Erlebnis bevor: Streit, Drohungen, Rücktritte, Rücktritt von Rücktritt. Alles schon mal gehabt, schon mal erlebt, und alles will man auch nicht unbedingt wieder erleben.

Auf dieser Koalition liegt kein Segen, wie man im Freistaat sagen würde; gerade in dieser Rollenverteilung. Es hätte Merkel klar sein müssen, dass sie mit einem Innenminister Seehofer den Bock zum Gärtner machte. Umfragen belegen, dass viele Bürger bezweifeln, dass Kanzlerin und Minister wieder vertrauensvoll zusammenarbeiten werden. Vom Journalisten Kurt Tucholsky stammt der Satz, das Volk verstehe das meiste falsch, aber fühle vieles richtig. Das trifft die momentane Stimmung.

Viele Maßnahmen im Masterplan Migration sind sinnvoll. Aber sie sind hoffnungslos schlecht und spät erklärt worden. Seehofer lässt sich nach seiner politischen Nahtoderfahrung in der vergangenen Woche kaum etwas anmerken. Aber es kann ihm nicht entgangen sein, dass seine Glaubwürdigkeit gelitten, dass er die Aufgabe unterschätzt und sich zu viel zugemutet hat.

Mal ist er auf die Bundesländer, mal auf andere EU-Staaten, auf die Herkunfts- oder Transitregionen der Flüchtlinge angewiesen. Seehofer will mit dem Masterplan zu viel zu schnell. Bis alle 63 Punkte umgesetzt sind, ist er nicht mehr im Amt. Als Minister wird er keine Ära prägen. Nur eine Episode.