Berlin. Seehofer bleibt im Amt, doch das eigentliche Problem besteht weiter. Zwischen den Hauptakteuren herrscht ein prekäres Gleichgewicht.

Es war einmal ein Land, das weltweit um seine Solidität, Stabilität und Gemeinsinn beneidet wurde. Dieses Deutschland erkennt man nur bedingt wieder. Verlässliche Politik hat in der Regierung am ehesten die SPD im Angebot. Die Unionsparteien – eigentliche Machtbastion von Kanzlerin Angela Merkel – geben ein chaotisches Bild ab.

Ihr Streit über die Asylpolitik kam für die Bürger unvermittelt und zur falschen Zeit, weil die Migranten nicht wie 2015 zu Hunderttausenden ins Land strömen. Vor zwei oder drei Jahren hätte man diese Schärfe und Unversöhnlichkeit eher verstanden. Am meisten irritiert, dass der Dissens der Unionsparteien weder sachgerecht gelöst noch zeitnah Ergebnisse zeigen wird.

Kompromiss ist eine Anleitung für Schleuser

Was da am Montagabend passiert ist, hätte uns am ehesten der große Harry Houdini erklären können, der als bester Entfesselungs- und Zauberkünstler der Welt gilt. Er hätte seine Freude daran gehabt, wie sich Innenminister Horst Seehofer aus seiner Fesselung befreit hat und mit Merkel den Konflikt über die Grenzpolitik und die Zurückweisung von Flüchtlingen wegzauberte.

Es ist willkürlich, allein an der Grenze nach Österreich Migranten zurückzuweisen, die aus anderen EU-Staaten kommen. Warum nur zu Österreich, nicht nach Dänemark, Frankreich, Holland, Polen oder Tschechien? Dieser Kompromiss ist eine Anleitung für Schleuser, ihre Routen zu ändern. Ein Bremsfaktor ist es, diesen Personenkreis nur zurückzuweisen, wenn die jeweiligen EU-Länder zugestimmt haben.

Was passiert mit Menschen in den „Transitzentren“?

Die Verhandlungen darüber können sich lange hinziehen, ihr Erfolg ist nicht garantiert. Die Bedingungen sind nämlich ungleich: Deutschland hat den Problemdruck, seine Verhandlungspartner haben Zeit. Die meisten Nachbarstaaten wissen, dass die Flüchtlinge weiter nach Deutschland wollen, sei es wegen der Familienzusammenführung, sei es wegen der besseren Lebensbedingungen: Jobs, Bildung, Schutzrechte, schier konkurrenzlose Sozialleistungen.

Der Vorteil eines nationalen Alleingangs, wie ihn Seehofer anstrebte, war, dass Deutschland keine Zeit verlieren und agieren würde; der Rest Europas müsste reagieren. Merkel geht den umgekehrten Weg der (Vor)Verständigung.

Wie funktionieren Transitzentren?

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    Nur: Was macht sie, wenn relevante Staaten nicht mitziehen, wenn insbesondere Österreich als Schlüsselland und Italien als Hauptanlaufstelle Deutschland keine Flüchtlinge abnehmen? Was passiert dann mit den betroffenen Menschen in den „Transitzentren“?

    Wer soll diese führen, verwalten, absichern, und worin unterschieden sie sich von den Ankerzentren? Lauter offene Fragen, ganz abgesehen von einer Zustimmung der SPD zu den Vorschlägen des Koalitionspartners. Viel Unberechenbarkeit.

    Gesichtswahrende Vertagung statt Lösung

    Der Plan der Union ist nicht durchdacht. Weil seine Schwächen offenkundig sind, werden die Wähler sie durchschauen. Lebenserfahrung und praktische Klugheit verraten ihnen: Eine politische Ankündigung ist noch keine Handlung und nicht jede Tat ein Segen. Wir bekommen keine Lösung des Konflikts, sondern eine gesichtswahrende Vertagung; gesichtswahrend nur in der Welt der Parteien. „Draußen im Land“, wie es früher bei Helmut Kohl hieß, ruft sie Kopfschütteln hervor.

    Was aber sagen uns solche Scheinlösungen über die Befindlichkeiten der Regierung Merkel? Zwischen den Hauptakteuren herrscht ein prekäres Gleichgewicht, und wenn die Seehofer- Methode der Problemlösung Schule macht, verheißt sie nur Leerlauf. Richten wir uns darauf ein, dass diese Koalition das Land nicht gestalten, sondern nur verwalten wird. Für Flexibilität und für Innovationen fehlt ihr etwas Wichtiges: einen Grundkonsens. Er ist verloren gegangen. Der ehrliche Finder möge ihn abgeben. Fundbüro: Bundestag, Berlin, Platz der Republik 1.