EU-Gipfel: Bundeskanzlerin Merkel hofft auf Verbündete
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Von Christian Kerl und Kerstin Münstermann
Berlin/Brüssel. Auf dem EU-Gipfel in Brüssel sucht Kanzlerin Merkel nach Partnern in ihrem Machtpoker mit Innenminister Horst Seehofer und der CSU.
Grün ist die Farbe der Hoffnung, die bekanntermaßen zuletzt stirbt. Insofern ist der grünliche Farbton des Blazers, den Angela Merkel für ihren Auftritt im Bundestag wählt, sehr interessant. Ihre Regierungserklärung am Donnerstag steht unter besonderen Vorzeichen. Inmitten der schweren Regierungskrise, ausgelöst durch den Streit zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU über die Migrationsfrage, muss die Bundeskanzlerin ihre Sicht des EU-Gipfels darlegen.
Merkel will ihre Kanzlerschaft retten, die nächsten Tage werden im Machtpoker mit der CSU entscheidend sein. Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer fehlt jedoch auf der Regierungsbank, sitzt in seinem Büro. „Der Minister arbeitet im Haus und hat Termine“, heißt es. Dabei muss ihn das Thema Migration besonders interessieren.
Gibt es keine europäische Lösung, will er anordnen, dass Asylbewerber, die in anderen EU-Staaten schon registriert worden sind, an der deutschen Grenze abgewiesen werden. Auf diese Maßnahme will die CSU nur dann verzichten, wenn Merkel in Brüssel eine europäische Vereinbarung zur Asylpolitik erreicht, die unter dem Strich den gleichen Effekt hätte.
Merkel wendet sich klar gegen nationale Alleingänge
Merkel kämpft im Bundestag, um den Erhalt der Regierung, um ihr Amt, ihr politisches Erbe und um ihre Vorstellungen von Europa. „Europa hat viele Herausforderungen, aber die mit der Migration könnte zu einer Schicksalsfrage für die Europäische Union werden“, sagt sie. Sie skizziert drei Aufgaben, die die EU zu lösen habe: Der Kampf gegen Schlepper, Verhandlungen mit afrikanischen Staaten über Rückführungen und eine bessere Steuerung der Sekundärmigration, also der Wanderung von Flüchtlingen von einem EU-Land zum anderen.
Solange es in diesen Fragen keine Einigkeit unter allen 28 EU-Mitgliedern gibt, setzt die CDU-Chefin auf eine „Koalition der Willigen“. Denkbar seien Abmachungen zwischen einzelnen Ländern. Ohne sie beim Namen zu nennen, wendet sich die Kanzlerin gegen die CSU. Viele sagen, die europäische Lösung komme nicht, da werde schon seit drei Jahren drauf gewartet, erklärt sie gemünzt auf Kritik aus der Schwesterpartei. „Das stimmt so nicht.“ In der strittigen Frage der Zurückweisung betont sie, an den deutschen Grenzen gelte wieder der Grundsatz: europäisches vor deutschem Recht. Dies sei 2015 wegen einer Ausnahmesituation anders gewesen.
Dobrindt ist anderer Auffassung
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, einer der Strippenzieher in der Auseinandersetzung mit Merkel, ist da dezidiert anderer Auffassung. Er erwähnt die Kanzlerin in seiner Rede nicht einmal. Vielmehr wünscht er der Regierung viel Erfolg für ihre Bemühungen, eine europäische Reform des Asylsystems zu erreichen. Sobald die Ergebnisse des Gipfels bekannt seien, „werden wir darüber beraten, welche nationalen Maßnahmen notwendig sind“. Europäische Lösungen und nationale Maßnahmen gehörten zusammen, betont Dobrindt.
Die CSU bleibe aber dabei, dass diejenigen an der Grenze zurückgewiesen werden sollten, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind. Ein Daumendrücken sieht anders aus. Beim Eintreffen in Brüssel am Mittag wirkt die Kanzlerin jedenfalls alles andere als nervös. Entspannt schlendert sie über den roten Teppich ins EU-Ratsgebäude, lachend begrüßt sie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, dann versichert sie: „Ich freue mich auf diesen Rat.“
Enge Kooperation geplant
Da weiß Merkel natürlich schon, dass sie sich im Prinzip auf die Unterstützung ihrer 27 Kollegen verlassen kann. Was sie Stunden zuvor im Bundestag als Kernziele vorgetragen hat ist später auch Teil der Gipfel-Beschlüsse. Merkels zentraler Erfolg: Alle EU-Staaten verpflichten sich, so hat es EU-Ratspräsident Donald Tusk im Entwurf der Gipfelerklärung fixiert, die Weiterreise von bereits registrierten Asylbewerbern durch Europa zu verhindern.
Diese „Sekundärmigration“ gefährde die Integration des gemeinsamen EU-Asylsystems und der offenen Grenzen im Schengen-Raum, heißt es im Entwurf. Die Mitgliedstaaten sollen alle notwendigen internen, gesetzlichen und behördlichen Maßnahmen treffen, um solche Erscheinungen zu bekämpfen – und dazu eng mit den anderen Staaten kooperieren.
Signal an Schleuser
Das also ist der europäische Rahmen, den der Gipfel am späten Abend zimmern sollte, um die von Merkel geplanten Rücknahmeabkommen mit einzelnen Staaten zu fördern. Am Rande der Beratungen sondierte Merkel, mit welchen EU-Ländern sie die bilateralen Abkommen abschließen kann: Frankreich, Spanien und Griechenland haben schon zugesagt. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras sagt: „Wenn es hilft, macht es uns nichts aus, dass wir vielleicht einige Rückführungen aus Deutschland haben werden.“ Ein solches Vorgehen könne „ein Signal an Schleuser“ sein.
Aber auch weitere Länder wollen jetzt mitmachen: Finnlands Regierungschef Juha Sipila etwa sagt, er sei bereit zu einem Abkommen mit Deutschland. Da ist der Grundstein sichtbar für Merkels „Koalition der Willigen“. Ein solcher Deal wäre dann auch für Italien attraktiv, versichern EU-Diplomaten. Merkel traf sich noch vor Gipfelbeginn mit Italiens Premier Giuseppe Conte. Conte hatte für Aufsehen gesorgt, weil er drohte, den Gipfelbeschluss zu blockieren, wenn Forderungen nach einer völlig neuen Asylpolitik nicht berücksichtigt würden.
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Grenzschutztruppe Frontex soll verstärkt werden
Die Kanzlerin, so viel ist schon am Donnerstagabend klar, erreicht also etwas im Sinne der CSU-Forderungen – ob es der bayerischen Schwester genügt, ist damit noch nicht gesagt. Die ganz zentrale Botschaft des Gipfels ist jedoch eine andere: Die EU-Regierungschefs sind entschlossen zum Kurswechsel. Es geht um Abschottung nach außen als einigendes Band. Flüchtlinge sollen erst gar nicht mehr nach Europa kommen.
Der verstärkte Schutz der Außengrenze ist eines der Hauptanliegen der Regierungschefs. Die Grenzschutztruppe Frontex soll verstärkt, ihr Mandat erweitert werden, heißt es im Entwurf der Gipfelerklärung. Die Truppe soll auch mit Ländern wie Libyen kooperieren. Tusks Konzept nennt keine Zahlen, die EU-Kommission aber hat einen Plan vorgelegt, nachdem die Zahl der Grenzschutzbeamten innerhalb von zwei Jahren von 1300 auf 10.000 Beamte erhöht würde.
Merkel erwähnt Lager im Bundestag nicht
Zum Plan gehört eine stärkere Zusammenarbeit mit den Transit- und Herkunftsländern der Flüchtlinge; eine Milliardensumme könnte dazu kurzfristig auch aus dem EU-Budget bereitgestellt werden.Und: Vorangetrieben werden soll das Projekt von EU Sammellagern in Nordafrika für Bootsflüchtlinge, die im Mittelmeer gerettet wurden. Diese „Ausschiffungs-Plattformen“ sollen in Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk entstehen. In den Lagern würde schnell entschieden zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und Schutzbedürftigen. „Unser Ziel muss es sein, das Geschäftsmodell der Schlepper zu beenden“, meint Tusk. Ja, einige fänden seine Vorschläge hart, aber: „Wenn wir das nicht beschließen, werden andere mit viel härteren Vorschlägen kommen.“
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Bislang hat sich noch kein Land bereit erklärt, ein solches Lager einzurichten. Merkel erwähnt die Lager im Bundestag nicht, in Brüssel sagt sie dann, natürlich könne man darüber reden, aber man dürfe nicht einfach über die Länder sprechen, die als Standort infrage kämen – man müsse mit den Regierungen reden und ihre Bedürfnisse berücksichtigen.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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