Berlin. Am Asylstreit von CDU und CSU könnte die Koalition zerbrechen. Wie wahrscheinlich ist das? Die Einschätzung von Hauptstadtjournalisten.

In ihrer bisher wohl schwersten Krise in 13 Jahren als Regierungschefin kämpft Angela Merkel für ihr Konzept einer europäischen Lösung der Asylkrise - und um ihr Amt. Der Streit mit Horst Seehofer (CSU) ist festgefahren und für die Kanzlerin brandgefährlich. Doch zerbricht an ihm die Regierungskoalition?

Wir haben Hauptstadtjournalisten gefragt, wie sie die Lage einschätzen. Grundtenor der Antworten: CDU und CSU raufen sich noch einmal zusammen.

Sven Gösmann, Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur

„Die Koalition wird halten. Das einzig verbindende Element von CDU, CSU und SPD ist allerdings die Angst vor dem Absturz bei Neuwahlen. Die Unionsparteien werden also einen Formelkompromiss finden, dessen Inhalt jedoch egal ist, weil es längst nicht mehr um die Sache geht, sondern um Angela Merkel oder besser: um die Gefühle, die sie auslöst.

Die CSU beruhigt sich vorerst mit den 41 Prozent aus einer aktuellen Umfrage und der Tatsache, dass Merkel sich zu irgendeiner gewundenen Erklärung herablassen wird. Die lautet in etwa: Sie habe vielleicht auch nicht immer alles richtig gemacht, aber jetzt müsse man nach vorn schauen wegen Europa, der Digitalisierung und so. Fazit: Für diese Truppe reicht es zum Achtelfinal-Einzug. Weltmeister wird sie zusammen aber auch nicht mehr: zu alt, zu satt, ausgebrannt, ohne Spielidee.“

Christoph Schwennicke, „Cicero“-Chefredakteur

„Die Koalition wird halten, denn die europäische Lösung wird eine der Abschottung sein. Also im Sinne der CSU. Seehofer geht es vor allem um Abschreckung, die Abkehr von Merkels Politik der Anziehung. Sie steht in der EU ohnehin inzwischen völlig alleine da mit ihrer Haltung.

Bis „Frontex XXL“ kommt, darf Seehofer dann noch in homöopathischen Dosen zurückweisen. Und die CSU wird Wahlkampf machen mit dem Motto, Merkel erst die Obergrenze und jetzt die Kehrtwende abgetrotzt zu haben.“

Nikolas Blome, stellvertretender Chefredakteur der „Bild“

„Da ein Bruch allseits nur großen Schaden anrichten würde, müsste die Koalition eigentlich halten. Dass man trotzdem nicht darauf zu wetten wagt, zeigt, wie tief Deutschland in einer politischen Vertrauenskrise steckt.“

Robin Alexander, Chefreporter „Welt“

„Da ich sicher war, dass Donald Trump nie amerikanischer Präsident werden könnte, den Brexit für unmöglich hielt und mir sicher war, dass die Jamaika-Sondierungen nicht platzen, sollte ich mich mit Vorhersagen vielleicht besser zurückhalten.

Aber dennoch: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Union und damit die Bundesregierung am Streit von Angela Merkel und Horst Seehofer zerbricht. Die Folgen wären ja nicht nur eine Neuwahl, sondern eine Implosion unseres Parteiensystems: CDU und CSU würden sich kannibalisieren, die SPD droht der endgültige Absturz in die Bedeutungslosigkeit.

Wir würden die Bundesrepublik nicht wiedererkennen. Dieser Preis ist zu hoch – auch wenn, die Frage, ob Deutschland Flüchtlinge zurückweisen darf oder nicht, zweifellos wichtig ist. Also, ich bin mir sicher. Diesmal wirklich!“

Florian Neuhann, Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio

„Auf den Fluren des Bundestags, auf den Sommerfesten, in den Hintergrundrunden in dieser Woche ist die Frage an Unionspolitiker immer die gleiche. Ob es am Sonntag kracht? Die Antwort klingt bei den meisten irgendwie so: „Wir haben in den Abgrund geschaut! Das will wirklich keiner.“

Was natürlich sofort die Nachfrage provoziert: Wie ein gesichtswahrender Kompromiss denn aussehen könnte? Und auch da gleichen sich die Antworten. Man hört zwar Stichworte wie „zeitlich begrenzt“, „Übergangslösung“ oder „Schleierfahndung verstärken“ – und blickt doch in ratlose Gesichter. Gewagte Prognose: Am Ende steht ein Formelkompromiss. Und die Regierung trotzdem dauerhaft lädiert da.“

Jörg Quoos, Chefredakteur Funke Zentralredaktion

„Die Koalition wird halten, am Ende steht wieder einmal ein wackeliger Formelkompromiss. Eine stabile, bürgerliche Regierung wegen eines einzelnen Streitpunktes zu sprengen – so viel Unvernunft traue ich keinem der Beteiligten zu. Dieser Schuss würde für die CSU bei der Wahl sicher nach hinten losgehen. Aber die Beziehung zwischen Merkel und Seehofer ist irreparabel zerrüttet. Es gibt einfach kein Vertrauen mehr.“ (les)

Vertrauensfrage, Neuwahlen: Was man zur Regierungskrise wissen muss

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