Berlin. In Ellwangen rückt die Polizei mit Hunderten Beamten an, um eine Abschiebung durchzusetzen. Das zeigt den Irrsinn der Abschiebepraxis.

Das Signal ist unmissverständlich. Der Staat setzt das Gesetz durch, er duldet keine rechtsfreien Räume. Weil es im ersten Anlauf misslungen war, rückten am Donnerstag Hunderte Polizisten an, um einen Asylbewerber aus Togo zu fassen und abzuschieben, beziehungsweise um den Mob in die Schranken zu weisen, der sich mit ihm in der Flüchtlingsunterkunft solidarisiert hatte. Der Einsatz in Ellwangen war zweifellos eine Machtdemonstration. Der Adressat waren nicht nur die Flüchtlinge.

War er das wirklich, ein Stärkebeweis? Alles unter Kontrolle? Diese Lesart ist zwar nicht falsch, aber eben auch alles andere als beruhigend. Jeder, der die Bilder auf sich wirken lässt, wird über den irrsinnigen Aufwand erschrecken, der notwendig und offenkundig verhältnismäßig war, um einen Flüchtling abzuschieben.

Wer so viel Kraft aufbringen muss, um die Kontrolle zu bewahren, der ist nahe am Kontrollverlust. Macht und Ohnmacht sind nicht weit voneinander entfernt. Man kann nicht wie bei der Silvesternacht von Köln 2015 von einem Versagen des Staates reden, aber auch über Ellwangen stellt sich ein Befremden ein. (Lesen Sie hier, was man über die Abschiebung in Ellwangen wissen muss.)

In Anker-Zentren könnten sich Gefahren potenzieren

Abschiebungen sind der Härtefall der deutschen Asylpolitik. Abgeschoben wird, wer nicht freiwillig gehen will. Das Frust- und Aggressionspotenzial der Betroffenen ist situationsbedingt groß. Die vielen Proteste, die nahezu jede Sammelabschiebung begleiten – sogar von Straftätern – zeugen überdies von einem gesellschaftlichen Unfrieden in der Asylfrage.

Wenn Innenminister Horst Seehofer (CSU) auch nach Ellwangen auf den Aufbau sogenannter Anker-Zentren für jeweils 1000 bis 1500 Flüchtlinge beharrt, dann nimmt er in Kauf, dass sich dort die Gefahren potenzieren. Wäre sein Plan nicht riskant, hätte Seehofer den Bundesländen auch nicht die Hilfe der Bundespolizei angeboten. Wäre es leicht, könnten auch die Länderpolizeien den Job erledigen, beziehungsweise private Sicherheitsdienste.

Der Konflikt ist programmiert: Der erhoffte Vorteil von Zentren sind rasche Entscheidungen; mit der Folge, dass Hunderte Menschen zur gleichen Zeit Frust schieben, die eine Perspektive verloren haben und das Schlimmste befürchten. Ellwangen wird nicht das letzte Mal sein, dass Flüchtlinge rebellieren und randalieren.

Asylpolitik ist reich an Widersprüchen

Es wäre an der Zeit, die deutsche Asylpolitik vom Kopf auf die Füße zu stellen. Die Probleme sind hausgemacht, weil man erstens jeden ins Land reinlässt, der nur „Asyl“ sagt, und mag die Begründung noch so fadenscheinig sein – und weil die Bundesregierung zweitens im Herbst 2015 aufgehört hat, europäisches Recht anzuwenden und Flüchtlinge aus sicheren EU-Staaten gleich an der Grenze abzuweisen. Dieselbe Konsequenz wie in Ellwangen wünschte man sich auch bei den Grenzkontrollen.

Am meisten müsste die Bundespolizei an den Verhältnissen leiden. Sie darf nicht konsequent kontrollieren und abweisen, soll aber quasi am Ende der Pipeline, in den Anker-Zentren, die Folgen bewältigen.

Indes ist die Asylpolitik ohnehin reich an solchen Widersprüchen: Ohne Pass darf jeder einreisen, aber nicht abgeschoben werden. Man macht es den Menschen leicht, zu kommen, und man macht sich von ihren Herkunftsstaaten abhängig, wenn es um ihre Rückführung geht, sodass selbst Gefährder wie der frühere Bin-Laden-Leibwächter Schutz genießen. Oder: Der Staat zahlt Rückkehrprämien und schafft Anreize.

Ellwangen hat gezeigt, wie unvermittelt sich Kontrollverlust einstellen kann. Es dauerte drei Tage und bedurfte einer Großrazzia, um einen Togolesen abzuschieben. Ellwangen war ein Rendezvous mit der Realität von Asylpolitik und Abschiebepraxis.