Berlin/Ellwangen. Erst Tage nach der gescheiterten Abschiebung eines Togolesen in Ellwangen greift die Polizei durch. Viele Fragen bleiben. Eine Chronik.

Der Polizeieinsatz in der Flüchtlingsunterkunft in Ellwangen sorgt nach der erfolgreichen Razzia für Wirbel. Es müsse auch künftig damit gerechnet werden, „dass sich größere Personengruppen gegen Abschiebungen zur Wehr setzen und auch vor der Anwendung massiver Gewalt gegen Einsatzkräfte nicht zurückschrecken“, warnte nach dem Polizeigroßeinsatz am Donnerstag der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt.

Die Asylbewerber wüssten in der Regel, dass sie so gut wie keine Chance hätten, dauerhaft in Deutschland zu bleiben – hätten also „nichts zu verlieren und riskieren deshalb alles“.

Dennoch hat die Polizei der Region nach eigener Aussage noch nie eine Situation „in dieser Ausprägung“ erlebt. Und etliche Fragen bleiben auch nach dem Großeinsatz. Was war passiert?

Montag: Erster Polizeieinsatz zur Abschiebung scheitert

Alles beginnt am Montag. Die Polizei gibt erste Meldungen jedoch erst Mittwochmittag heraus. Warum sie die Öffentlichkeit erst so spät über die Vorkommnisse im baden-württembergischen Ellwangen informiert, ist unklar.

Polizeieinsatz in Landeserstaufnahmeeinrichtung Ellwangen

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    Bei ihrem ersten Anlauf will die Polizei mit vier Beamten einen 23-jährigen Mann aus dem westafrikanischen Togo für seine geplante Abschiebung aus der Flüchtlingsunterkunft in Ellwangen abholen. Seine Heimat, eines der ärmsten Länder der Welt, wird von Deutschland nicht als sicherer Herkunftsstaat eingestuft, Amnesty International beklagt willkürliche Festnahmen und Folter.

    Dennoch hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) 2017 mehr als 90 Prozent der Asylanträge von Menschen aus der früheren deutschen Kolonie am Golf von Guinea abgelehnt oder als erledigt gekennzeichnet.

    Mehr als 150 Afrikaner verhindern am Montag jedoch teils mit Gewalt, dass der Mann abgeführt werden kann. Sie umzingeln die Polizeiwagen und zwingen die Polizeibeamten, dem Togolesen die Handschellen wieder abzunehmen. Andernfalls, so drohen sie, würden sie die Pforte stürmen.

    Mittwoch: Polizei veröffentlicht erste Informationen zum Vorfall am Montag

    In der Landeserstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge (LEA) gehen Polizisten in Schutzanzügen an Polizeiwagen vorbei.
    In der Landeserstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge (LEA) gehen Polizisten in Schutzanzügen an Polizeiwagen vorbei. © dpa | Stefan Puchner

    Weil sie die Situation als zu gefährlich eingeschätzt hätten, gaben die Polizeibeamten der Forderung nach und zogen sich zurück, erklärt das zuständige Polizeipräsidium in Aalen in einer ersten Mitteilung des Präsidiums am Mittwoch. Zunächst hätten sich rund 50 Bewohner der Einrichtung mit dem Abzuschiebenden solidarisiert. „In der weiteren Folge hätten sich rund 150 mutmaßliche Flüchtlinge zusammengerottet. Der Abzuschiebende sei untergetaucht.

    Die Polizei hätte ihre Ziele in dieser Nacht auch mit Gewalt durchsetzen können, wird der Vizepräsident des Polizeipräsidiums Aalen, Bernhard Weber, am Donnerstag erklären. Die Straftatbestände Gefangenenbefreiung und Landfriedensbruch hätten ein gewaltsames Vorgehen rechtfertigt. Der Rückzug der Polizei am Montag sei aber nötig geworden, weil man eine Situation „in dieser Ausprägung noch nie“ erlebt habe.

    Donnerstagmorgen: Polizei stürmt Ellwanger Unterkunft – dieses Mal zu Hunderten

    Am Donnerstag, also drei Tage nach der gescheiterten Abschiebung, startet die Polizei am Morgen einen weiteren Anlauf. Dieses Mal rückt sie mit einem Aufgebot von Hunderten Einsatzkräften an und sperrt Straßen rund um die Unterkunft weiträumig ab. Neben Beamten in Schutzkleidung sind auch Sanitäter und Notärzte vor Ort.

    Bei der Razzia gibt es Verletzte, darunter ein Polizist und drei Bewohner des Flüchtlingsheims. Beamte nehmen mehrere Unruhestifter in Gewahrsam.

    Donnerstagvormittag: Der Togolese und weitere Unruhestifter in Polizeigewahrsam

    Einer der in Gewahrsam genommenen Unruhestifter in einem Polizeiwagen.
    Einer der in Gewahrsam genommenen Unruhestifter in einem Polizeiwagen. © Getty Images | Thomas Niedermueller

    Am Donnerstagvormittag gibt die Polizei schließlich bekannt, sie habe nun auch den gesuchten Asylsuchenden aus Togo gefunden. Nach der Verlegung in eine andere Unterkunft soll er nach Italien, das Erstaufnahmeland, abgeschoben werden. 15 weitere Männer, die sich mit dem Togolesen solidarisiert hatten, sollen laut Polizei in andere Aufnahmeeinrichtungen verlegt werden.

    Bei einer anschließenden Pressekonferenz begründet Peter Hönle, Leiter der Polizeirazzia, den um mehrere Tage verschobenen erneuten Polizeieinsatz: Den Beamten wäre es am Montag nicht möglich gewesen, spontan angemessen zu reagieren.

    Die Behörden in Baden-Württemberg hätten laut dem Polizeipräsidium Aalen mit dem Großeinsatz ein klares Signal setzen wollen. Durch die Aktion solle künftiger, organisierter und möglicherweise bewaffneter Widerstand gegen Behördenmaßnahmen verhindert werden. Drohungen am Montag hätten in diese Richtung gewiesen.

    Polizei äußert sich zum Einsatz in Ellwangen

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      Geschehnisse erhöhen Druck auf die Landesregierung

      Für die Stadt Ellwangen, vor allem aber für die Landesregierung und den zuständigen CDU-Innenminister Thomas Strobl, kommen die Geschehnisse höchst ungelegen. Seit längerem wirbt die Landesregierung bei der Stadt um Verständnis, dass die vor gut drei Jahren in der ehemaligen Kaserne eröffnete Flüchtlingseinrichtung länger bestehen bleiben kann als geplant.

      Im Frühjahr 2020 endet der Vertrag. Über eine eventuelle Verlängerung sollen die Stadtverwaltung und der Gemeinderat entscheiden. Kurzzeitig mussten während der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 in der Ellwanger Einrichtung mehr als 4500 Menschen untergebracht werden, inzwischen hat sich die Zahl laut Behördenangaben zwischen 400 und 600 eingependelt. (dpa/epd/nsa)