Berlin. US-Präsident vertagt die Entscheidung über Strafzölle für Stahl und Aluminium. Altmaier will über „berechtigte Anliegen“ sprechen.

Die Drohung bleibt, mit ihr die Unsicherheit. Nur für einen weiteren Monat nimmt US-Präsident Donald Trump die Europäische Union (EU) von Zöllen auf Stahl und Aluminium aus. Mehr und mehr wird klar, dass sein Ziel nicht der Freihandel ist, sondern feste, selbstredend niedrige Importquoten.

Werden sich die Europäer darauf einlassen? Überhaupt: auf Verhandlungen unter Druck? Europa müsse mehr denn je erkennen, „dass es immer nur dann stark ist, wenn es gemeinsam auftritt“, warnt Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) im Gespräch mit unserer Redaktion. Die USA, die EU und Deutschland – der Dreiklang ihrer Interessen.

Trumps Schachzug – Er entscheidet später

Vom Handelskrieg mit der EU ist noch am Montagabend im politischen US-Fernsehen keine Rede – bis um kurz vor 21 Uhr die offizielle Nachricht aus dem Weißen Haus durchsickert: Europäische Stahl- und Aluminium-Hersteller bekommen (wie Kanada und Mexiko) im Streit um höhere Zölle einen weiteren, aber diesmal „finalen“ Aufschub.

Trump vertagt die Entscheidung auf den 1. Juni. So lange bleiben den Europäern Aufschläge von 25 Prozent auf Stahl und zehn Prozent auf Aluminium erspart, wie sie seit Ende März für China und Russland gelten. Begründung: keine.

Trump verschiebt Entscheidung über Zölle auf EU-Stahl

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    Dafür eine amtliche Erläuterung, die in Brüssel, Berlin und anderen Hauptstädten für Unruhe sorgt. Von Zöllen ist im Verhandlungs-Regime Trumps plötzlich nicht mehr die Rede. Man konzentriert sich stattdessen auf „die Einführung von Quoten, die Importe begrenzen, Transitlieferungen aus Drittländern verhindern und die nationale Sicherheit der USA gewährleisten“.

    Vorbild einer möglichen Regel ist Südkorea

    Das Muster ist Südkorea. Dort hat sich die Regierung per Selbstbeschränkung verpflichtet, 30 Prozent weniger Stahl zu liefern. Der Lohn für das Wohlverhalten: Seoul bleibt dauerhaft von Strafzöllen verschont. Ein ähnliches Szenario deutet sich für Argentinien, Australien und Brasilien an. Hier seien die bilateralen Verhandlungen „weit fortgeschritten“, sagte ein Sprecher Trumps. Details? „Alles noch nicht spruchreif.“

    Die große Politik in Washington reagiert nicht auf den nächsten Schachzug Trumps, der in einigen Tagen eine hochrangige Delegation nach China schickt, um den „eigentlichen Spielverderber im internationalen Stahlgeschäft“ (CNN) zu einem Handelsabkommen zu bewegen. Stattdessen meldet sich Todd Leebow. Der Präsident des Stahl-Herstellers Majestic Steel sagt, Trumps Strategie habe geholfen, die US-Stahlindustrie zu „beleben“. Allein, seine Kunden wüssten nicht mehr, wo sie ihre Produkte beziehen könnten – und zu welchen Preisen. Die Botschaft: Durch die Hängepartie mit der EU „wächst die Unsicherheit“.

    Demonstrative Brüsseler Härte

    In Brüssel lässt sich die Kommission demonstrativ Zeit mit einer Reaktion. Fünf Stunden dauert es, bis sie am Dienstag in einer Erklärung kühl die neue Lage „zur Kenntnis“ nimmt und sogleich in scharfer Form ihre Haltung bekräftigt. „Die US-Entscheidung verlängert die Marktunsicherheit, die bereits Geschäftsentscheidungen beeinflusst“, beklagt die Kommission und fordert unmissverständlich: „Die EU sollte von diesen Maßnahmen vollständig und dauerhaft ausgenommen werden, da sie nicht aus Gründen der nationalen Sicherheit gerechtfertigt werden können.“

    Der nun gewährte Aufschub sei nur kurz. Keine Erleichterung, kein Kompromiss-Signal in Brüssel. Als langjähriger Partner und Freund der USA werde die EU „keine Verhandlungen unter Bedrohung führen“.

    Auch wenn Handelskommissarin Cecilia Malmström im Gespräch mit US-Wirtschaftsminister Wilbur Ross und dem US-Handelsbeauftragten Robert Lighthizer eine Lösung des Konflikts suchen soll – auf der Brüssel-Linie ist sie nicht in Sicht. Sollte die EU von den Strafzöllen betroffen sein, will die Union sich wehren.

    Berlin und Brüssel sind erkennbar uneins

    Sie ist gewappnet. Wie? Beschwerde bei der Welthandelsorganisation WTO, Schutzmaßnahmen für die europäische Stahlindustrie, Strafzölle auf US-Produkte von Orangensaft und Whiskey bis zu Motorrädern. Malmströms Linie: Erst müssen europäische Hersteller ohne Vorbedingungen von Zöllen ausgenommen werden, dann könne verhandelt werden.

    Das Problem: Berlin und Brüssel sind in der Frage erkennbar uneins. Auf EU-Ebene sorgt das schon für besorgte Diskussionen. Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold kritisierte, Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hätten in Washington Gespräche zum Zollstreit geführt und sich offen widersprochen: Merkel sei für ein „TTIP light“ zur Senkung der Industriezölle, Macron dagegen wolle auch die Agrar- und Klimapolitik einbeziehen.

    Währenddessen sei die Kommission „öffentlich überraschend schweigsam“. In einem offenen Brief an Malmström warnt er, die von Merkel vorgeschlagenen Verhandlungen über ein „TTIP light“ könnten nicht ohne Mandat des EU-Parlaments und der Mitgliedstaaten geführt werden.

    Friedenssignale aus Berlin

    Nach einem kurzen Statement vor den TV-Kameras eilt Altmaier am Mittag in sein weitläufiges Büro. Der Wirtschaftsminister ist sich nicht sicher, wie es weitergehen wird; ob eine Lösung überhaupt schon bis Ende Mai erreicht werden kann. Altmaier sitzt auf einem Sofa, lehnt sich zurück, schließt die Augen und erläutert die Prioritäten. Europa habe ein Interesse daran, dass Zölle sinken, nicht steigen, dass der Welthandel offen, regelbasiert sei. „In diesem Rahmen müssen wir bereit sein, auch über berechtigte amerikanische Anliegen zu sprechen.“ Ein Schlüsselsatz.

    Altmaier: "Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Zölle"

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      Altmaier redet von Europa, aber meint deutsche Interessen. Frankreich ist vor allem ein Agrarland, es könnte mit Quoten für Stahlerzeugnisse leben – anders als der Industriestaat und die Exportnation Deutschland. In Berlin dringen sie darauf, den USA entgegenzukommen. „Wir müssen darüber reden, für welche Produkte wir Zölle senken können, zum Beispiel im Bereich Industrie“, mahnt Altmaier.

      Man müsse sich darüber verständigen, „wofür wir künftig in der gemeinsamen Handelspolitik stehen und auf welche Zollsenkungen wir uns einigen können“. Von einem neuen Freihandelsabkommen, einer Light-Version des gescheiterten TTIP-Vertrags will er nichts wissen. „TTIP gehört der Vergangenheit an“, sagt er, „jetzt geht es um etwas Neues.“