Warum eine berechenbare Bundesregierung wichtig ist
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Von Michael Backfisch
Berlin . In einer Welt voller Krisen steht Deutschland für Mäßigung und Augenmaß. Dieses Korrektiv muss die neue Bundesregierung einbringen.
Endlich! Egal, wohin man auf der Welt schaut: Die Erleichterung, dass Deutschland bald wieder über eine verlässliche Bundesregierung verfügt, ist groß. Die quälend langen Sondierungs- und Koalitionsgespräche, die Zitterpartie des SPD-Mitgliederentscheids und das Damoklesschwert einer Minderheitsregierung haben Deutschlands Ruf als Anker der Stabilität angeknackst.
Diese Zeit ist nun glücklicherweise vorbei. Angesichts der vielen Krisenherde wird eine berechenbare Bundesregierung gebraucht wie nie.
Die Europäische Union ist in der Wirtschafts- und Sozialpolitik gespalten zwischen Nord und Süd, in der Flüchtlings- und der Rechtsstaatspolitik zwischen Ost und West. Amerika, die jahrzehntelange Schutzmacht des Westens, hat sich unter Donald Trump auf Abwege begeben.
Das ist das Bundeskabinett
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Der egozentrische Polit-Machismo und der knallharte Wirtschaftsnationalismus des Präsidenten machen aus den USA einen unsicheren Kantonisten. Trotz der neuesten Entspannungssignale bleibt der Atom-Konflikt mit Nordkorea gefährlich.
Langjährige Erfahrung von Kanzlerin Merkel als Korrektiv
Russland verliert sich mit Kremlchef Wladimir Putin in militärischen Muskelspielen, Weltmacht-Gelüsten und einer autokratischen Verhärtung nach innen. China verbreitet Freihandels-Rhetorik, bietet aber Abschottungs-Realität.
Der Nahe Osten versinkt nach dem kurzen Leuchtfeuer des „Arabischen Frühlings“ im Chaos. Nirgendwo wird dies deutlicher als in Syrien, wo Russland, der Iran, die Türkei und Saudi-Arabien ihre regionalpolitischen Süppchen kochen.
Vor dem Hintergrund der sich auflösenden internationalen Ordnung bedarf es eines Korrektivs, das für Demokratie, Rechtsstaat und freien Handel eintritt. Es ist die Rolle für die ausgleichende Mittelmacht Deutschland.
Die langjährige Erfahrung von Kanzlerin Angela Merkel schlägt hier als Trumpf zu Buche. Sie kennt die Akteure und weiß, wie sie ticken. Der neue Außenminister Heiko Maas dürfte nach einer Einarbeitungszeit seinen Platz finden.
Die EU im Ungleichgewicht ist die größte Herausforderung
Die größte Herausforderung der frischgebackenen Bundesregierung besteht darin, die EU wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat der matt gewordenen Europa-Idee neuen Schwung verliehen, aber er ist mit seinem Integrations-Ehrgeiz über das Ziel hinausgeschossen. Dagegen regt sich Widerstand.
Eine Allianz aus den Niederlanden, den drei baltischen Ländern, Schweden, Dänemark, Finnland und Irland will mehr Kostendisziplin und Mitsprache der Nationalstaaten.
Die Bundesregierung muss die gegenläufigen Kräfte austarieren. Das geht am besten, indem sich die EU auf ihre wesentlichen Aufgaben besinnt: Grenzsicherung, Verteidigung, Anti-Terror-Kampf. Ferner die Errichtung von Rahmenbedingungen für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft, die Wachstum fördert, Jobs schafft und soziale Leistungen ermöglicht. Auch mit Blick auf Amerika heißt es, Augenmaß zu bewahren.
Im Übrigen gilt: Amerika ist größer als Trump
Trumps Drohungen, Strafzölle auf Autos aus Europa zu erheben, sind eine Provokation. Doch wäre es falsch, auf die Wildwest-Methoden des Präsidenten mit dem handelspolitischen Colt zu antworten. Es würde in eine Eskalationsspirale münden, bei der es nur Verlierer gäbe.
Zwischen massiver Vergeltung und reiner Passivität liegt das Feld für Diplomatie und kluge Politik. Denkbar wäre eine Mischung aus dem Wink mit begrenzten Gegenmaßnahmen und Verhandlungsangeboten. Im Übrigen gilt: Amerika ist größer als Trump.
In einer aus den Fugen geratenen Welt sind die Instrumentarien einer ausgleichenden Mittelmacht überschaubar. Sie bieten nicht allzu viel. Aber es ist viel mehr als nichts.