Der scheidende Kremlchef Dmitri Medwedew will künftig mehr Demokratie zulassen. Menschenrechtler sprechen von “revolutionären Plänen“.

Moskau. Zeigen die anhaltenden Proteste in Russland ihre erste Wirkung? Kreml-Chef Dmitri Medwedew zumindest erklärte, dass er den Ruf nach mehr politischen Freiheiten vernommen habe. Damit reagierte er in seiner wohl letzten Rede zur Lage der Nation auf die jüngsten massenhaften Anti-Regierungsproteste gegen Wladimir Putin. Medwedew verspricht weitgehende Reformen. So auch die Wiedereinführung von Gouverneurswahlen, die sein Vorgänger Putin 2004 abgeschafft hatte. Menschenrechtler zeigen sich begeistert von dem Entgegenkommen. „Das ist revolutionär“, lobt etwa die Menschenrechtlerin Lilja Schibanowa von der einzigen unabhängigen Wahlbeobachterorganisation Golos.

+++ Rückkehr zu Gouverneurswahlen +++
+++ Proteste in Russland +++

Nach Medwedews Worten blickt Russland nun besonders gespannt auf das agieren von Regierungschef Putin. Denn letztlich wird er die notwendigen Entscheidungen treffen und den Kurs des Landes zukünftig setzen. Putin tritt am 4. März als Kremlkandidat bei der Präsidentenwahl an. Doch da das Machttandem einen Ämtertausch plant und stets betont, sich über den Kurs des Landes gemeinsam abzustimmen, halten Experten die Pläne im Grundsatz für abgesprochen. Auch Regierungssprecher Dmitri Peskow kündigte unlängst „einen neuen Putin“ an. Dennoch: Bei den von Medwedew gemachten Zugeständnissen bleiben noch viele Fragen offen. Er verspricht etwa mehr Parteienvielfalt und den leichteren Zugang von Bewerbern bei Wahlen. Wie dies umgesetzt werden soll ist weiterhin offen.

Immerhin hatte Putin unlängst gesagt, dass der „Filter der Präsidialverwaltung“ bei der Auswahl von Kandidaten auch künftig funktionieren müsse. In vielen vom Westen als Demokraten anerkannten Politikern sieht Putin, wie er erst in der Vorwoche bei einer Fernsehsendung deutlich machte, Feinde, die das System destabilisieren wollen. Vorerst aber überschlägt sich sogar Putins Partei Geeintes Russland anders als sonst mit Lob für Medwedews Ideen. Das Land stehe vor einer neuen Etappe der demokratischen Entwicklung und einer beispiellosen Liberalisierung, meint der führende Parteifunktionär Juri Schuwalow. Er spricht erstmals von einer „offenen Form der Demokratie“ und nicht mehr von „gelenkter Demokratie“, wie der Kreml sie bisher gern nannte.

„Das Land ist gefestigt – sozial und wirtschaftlich. Wir können uns nun vorwärts bewegen, das politische System entwickeln“, sagt Schuwalow nach Angaben der Agentur Interfax. Ähnliche Äußerungen kommen auch von der Nationalbank sowie vom neuen Parlamentschef Sergej Naryschkin. Schon im kommenden Jahr sollen die Russen wieder die Chefs ihrer Regionen selbst wählen dürfen, sagt Naryschkin. Medwedew will die entsprechenden Gesetz über mehr politische Mitbestimmung in Kürze in die Duma einbringen lassen.

Auch weitere Verbesserungen beim Wahlablauf sind geplant: Etwa eine bessere Überwachung - etwa durch mehr Vertreter von unterschiedlichen Parteien in den Wahlkommissionen. In den kommenden Jahren sollen sich auch die Machtbefugnisse dezentralisieren Sie sollen von der Moskauer Machtzentrale mehr auf die Regionen verlagert werden. Zudem kündigte Medwedew ein öffentlich-rechtliches Fernsehen wie in Deutschland an. Er will so nach eigenen Angaben erreichen, dass kein Eigentümer – also auch nicht der Kreml – mehr auf die politischen Inhalte des Fernsehens Einfluss nehmen kann.

Die traditionell bei Kremlinitiativen skeptisch gestimmten Menschenrechtler, aber auch die außerparlamentarische Opposition sowie viele Politologen begrüßen den Vorstoß Medwedews. Er komme zwar sehr spät, heißt es. Diese Reaktion auf die Massenproteste gegen die von Fälschungsvorwürfen überschattete Parlamentswahl sei aber unerwartet deutlich, meint der Politiker Wladimir Ryschkow von der bisher nicht zugelassenen liberalen Partei Parnas.

„Die Rede des Staatsoberhaupts ist eine Antwort auf die Sehnsucht vor allem der Mittelschicht nach politischer Modernisierung“, kommentiert der Politologe Sergej Markow. Es bleibe abzuwarten, wie genau die Gesetze ausgestaltet werden. Besonders skeptisch zur Zukunft der Politreformen äußerte sich diesmal Kommunistenchef Gennadi Sjuganow. Putins System habe auch bisher keine solchen Reformen zugelassen. Der Ölpreis, auf den sich Putins Macht stütze, ist weiter hoch. „Es gibt also keine wirtschaftlichen Zwänge für derartige Initiativen“, meint Sjuganow.