Berlin. Das Machtgehabe von Union und SPD lässt viele Bürger ratlos zurück. Im Rückspiegel der Groko-Turbulenzen erwacht die Jamaika-Sehnsucht.

Die Aufführung, die gerade die SPD, aber auch die Union in den vergangenen Wochen geboten haben, lässt viele Bürger ratlos zurück. Mit einem Gefühl der Betäubung. Hat sich das wirklich so zugetragen?

Der allgemeine Vorwurf, den GroKo-Verhandlern sei es mehr um Posten als um Inhalte gegangen, greift zu kurz. Einflussreiche Posten sind die Grundlage dafür, Inhalte durchzusetzen. Das Bild, das die nominellen Verhandlungsführer Angela Merkel, Martin Schulz und Horst Seehofer abgegeben haben, ist deswegen so verheerend, weil sie allzu offenkundig von persönlichem Machterhalt geleitet waren.

Merkel verschenkte Finanzministerium

Bei Angela Merkel hat das Methode. Je schlechter es einem möglichen Regierungspartner geht, desto mehr gibt sie ihm, um selbst im Amt zu bleiben. 2013 bekam die SPD einen weithin sozialdemokratischen Koalitionsvertrag. Jetzt, nach dem Absturz der SPD auf ein historisches Tief, verschenkt Merkel das Finanzministerium, in dem Wolfgang Schäuble über Jahre deutsche Politik nach den Grundsätzen der CDU geprägt hat.

Und die CSU, die es vor der Bayern-Wahl auch nicht leicht hat, wird von der CDU-Vorsitzenden nach dem gleichen Prinzip bedacht. Der zum Versorgungsfall gewordene CSU-Chef Seehofer darf Superminister für Inneres und Heimat werden. Möglicherweise hat Merkel damit den Bogen überspannt und mehr gegeben, als die CDU hinnehmen will.

SPD macht sich lächerlich

Die SPD hat sich lächerlich gemacht; und viel Schlimmeres kann eine Volkspartei der Demokratie nicht antun. Die Sozialdemokraten stünden nicht einmal mehr zu ihrem Wortbruch – dieser sarkastische Kommentar, der in den sozialen Netzwerken viel Anklang findet, bringt es auf den Punkt.

SPD-Mitgliederentscheid: So funktioniert die GroKo-Abstimmung

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    Warum hat Sigmar Gabriel, als ihn seine Partei als Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten nicht mehr trug, ausgerechnet Martin Schulz auf den Schild gehoben? Gabriel kennt Schulz besonders gut und muss gewusst haben, dass er über begrenzte Führungsfähigkeiten und schon gar nicht über Kanzlerformat verfügt. War es ein letzter Versuch, den weiteren Aufstieg seiner Widersacher Andrea Nahles und Olaf Scholz zu verhindern? Oder gab es zumindest diesen Hintergedanken, der SPD zu demonstrieren, dass es mit ihm, Sigmar Gabriel, besser gekommen wäre?

    SPD-Personalkarussell wird nochmal in Gang kommen

    Ob der Verzicht von Schulz die Erfolgsaussichten des Mitgliederentscheids erhöht, ist ungewiss. Denn die Art des Abgangs hallt nach: Der Versuch, den SPD-Vorsitz gegen das Außenamt einzutauschen – gegen das eigene Wort, um selbst im Spiel zu bleiben. Dann Sigmar Gabriels beispielloser Angriff auf den „Mann mit den Haaren im Gesicht“. Die Suche nach einem Außenminister wird das Personalkarussell in der SPD noch einmal in Gang setzen. Die eigentliche Frage, ob der Koalitionsvertrag gut genug ist für die Herausforderungen unserer Zeit, rückt weiter in den Hintergrund.

    Das sind die möglichen neuen Minister

    Union und SPD haben sich auf auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Die Sozialdemokraten sollen gleich sechs Ministerien bekommen. Wir stellen die möglichen künftigen Ministerposten der Groko vor. Ursula von der Leyen (CDU) soll Verteidigungsministerin bleiben. Angela Merkel hat sich am 25. Februar auf ihre Kandidaten für ein mögliches neues Kabinett festgelegt.
    Union und SPD haben sich auf auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Die Sozialdemokraten sollen gleich sechs Ministerien bekommen. Wir stellen die möglichen künftigen Ministerposten der Groko vor. Ursula von der Leyen (CDU) soll Verteidigungsministerin bleiben. Angela Merkel hat sich am 25. Februar auf ihre Kandidaten für ein mögliches neues Kabinett festgelegt. © REUTERS/ | POOL
    Der bisherige Kanzleramtschef Peter Altmaier übernimmt das Wirtschaftsressort.
    Der bisherige Kanzleramtschef Peter Altmaier übernimmt das Wirtschaftsressort. © REUTERS | AXEL SCHMIDT
    Für das Ressort Ernährung und Landwirtschaft wurde die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner von Angela Merkel ausgewählt.
    Für das Ressort Ernährung und Landwirtschaft wurde die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner von Angela Merkel ausgewählt. © dpa | Kay Nietfeld
    Das Amt des Gesundheitsministers wird der bisherige Finanz-Staatssekretär und konservative Merkel-Kritiker Jens Spahn für die CDU übernehmen – sollte es zu einer Neuauflage der großen Koalition kommen.
    Das Amt des Gesundheitsministers wird der bisherige Finanz-Staatssekretär und konservative Merkel-Kritiker Jens Spahn für die CDU übernehmen – sollte es zu einer Neuauflage der großen Koalition kommen. © dpa | Michael Kappeler
    Die Bundestagsabgeordnete Anja Karliczek (CDU) soll das Ressort Forschung und Bildung übernehmen.
    Die Bundestagsabgeordnete Anja Karliczek (CDU) soll das Ressort Forschung und Bildung übernehmen. © dpa | Friso Gentsch
    Monika Grütters (CDU), Staatsministerin für Kultur und Medien, dürfte ihren Posten behalten.
    Monika Grütters (CDU), Staatsministerin für Kultur und Medien, dürfte ihren Posten behalten. © dpa | Bernd von Jutrczenka
    Helge Braun (CDU) wird Kanzleramtsminister.
    Helge Braun (CDU) wird Kanzleramtsminister. © Getty Images | Carsten Koall
    Annette Widmann-Mauz soll Staatsministerin für Integration im Kanzleramt werden.
    Annette Widmann-Mauz soll Staatsministerin für Integration im Kanzleramt werden. © dpa | Uwe Zucchi
    Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) könnte in einer möglichen neuen Regierung Finanzminister werden. Er ist auch als Vizekanzler im Gespräch.
    Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) könnte in einer möglichen neuen Regierung Finanzminister werden. Er ist auch als Vizekanzler im Gespräch. © dpa | Christian Charisius
    Als neuer Innenminister könnte CSU-Chef Horst Seehofer nach Berlin wechseln – sein Ressort soll durch die Bereiche Bau und Heimat aufgewertet werden.
    Als neuer Innenminister könnte CSU-Chef Horst Seehofer nach Berlin wechseln – sein Ressort soll durch die Bereiche Bau und Heimat aufgewertet werden. © dpa | Kay Nietfeld
    Andreas Scheuer (CSU) wird möglicherweise Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur.
    Andreas Scheuer (CSU) wird möglicherweise Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur. © dpa | Kay Nietfeld
    Heiko Maas (SPD) könnte Justizminister bleiben.
    Heiko Maas (SPD) könnte Justizminister bleiben. © Getty Images | Carsten Koall
    Wird sie die neue Entwicklungsministerin? Dorothee Bär von der CSU.
    Wird sie die neue Entwicklungsministerin? Dorothee Bär von der CSU. © dpa | Matthias Balk
    Katarina Barley (SPD) übernimmt möglicherweise das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
    Katarina Barley (SPD) übernimmt möglicherweise das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. © dpa | Kay Nietfeld
    Barbara Hendricks (SPD) könnte Bundesumweltministerin bleiben.
    Barbara Hendricks (SPD) könnte Bundesumweltministerin bleiben. © dpa | Britta Pedersen
    Die Berliner Abgeordnete Eva Högl (49) könnte das Ministerium Arbeit und Soziales übernehmen. Eigentlich ist sie eine Innenexpertin, die sich im Untersuchungsausschuss zur rechten NSU-Terrorzelle einen Namen machte.
    Die Berliner Abgeordnete Eva Högl (49) könnte das Ministerium Arbeit und Soziales übernehmen. Eigentlich ist sie eine Innenexpertin, die sich im Untersuchungsausschuss zur rechten NSU-Terrorzelle einen Namen machte. © dpa | Britta Pedersen
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    Im Rückspiegel der GroKo-Turbulenzen wirkt die Jamaika-Perspektive wie eine Verheißung. Ein Bündnis, das der Sehnsucht folgt nach einer Politik, die den Erfordernissen kommender und nicht vergangener Jahrzehnte gerecht wird. Die mühsamen Sondierungen zwischen Union, FDP und Grünen verdienen keine Verklärung. Christian Lindner wird aber selbst wissen, wie wenig seine Behauptung überzeugt, ein schwarz-gelb-grünes Bündnis wäre in Teilen noch schlechter gewesen als die dritte große Koalition in vier Wahlperioden.

    Jamaika hätte gestanden für mehr Klimaschutz, eine angemessene Entlastung der Bürger und eine konsequente Zuwanderungspolitik. Die Verantwortung des FDP-Vorsitzenden für das Scheitern der Sondierungen wiegt schwerer denn je.