Berlin. Die designierte Vorsitzende Andrea Nahles muss den Niedergang der SPD stoppen. Scheitert sie damit, sieht es für die Partei düster aus.

Die SPD hat seit dem Jahr 2000 sieben Vorsitzende verschlissen: Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Matthias Platzeck, Kurt Beck, erneut Franz Müntefering, Sigmar Gabriel und Martin Schulz – wobei Gabriel immerhin sieben Jahre durchhielt. Müntefering nannte den SPD-Vorsitz zwar „das schönste Amt neben Papst“. Doch eigentlich ist dieser der Schleudersitz der Republik. Angela Merkel führt die CDU seit 2000. Man kann kritisieren, dass sie früher alle Konkurrenten abservierte und jetzt an der Macht klebt. Doch wenigstens herrscht in der CDU Stabilität.

Jetzt also Andrea Nahles. Erstmals wird, nach mehr als 150 Jahren, eine Frau die älteste Partei Deutschlands führen. Die SPD ist endgültig kein Männerverein mehr. Sie ist in der Realität angekommen. Es wurde Zeit.

SPD muss ihren Niedergang abwenden

Die zweite gute Nachricht für die SPD: Mit Nahles übernimmt eine erfahrene und zähe Politikerin die Führung. Die 47-Jährige war Juso-Chefin und SPD-Generalsekretärin. Als Arbeitsministerin setzte sie das sozialdemokratische Traumprojekt Mindestlohn um. In den am Donnerstagmorgen zu Ende gegangenen GroKo-Verhandlungen hat sie der Union wichtige Ministerien abgerungen. Nahles hat das Zeug, aus der zutiefst verunsicherten SPD wieder eine selbstbewusste Partei zu machen. Mehr Kampfkraft als Schulz, der im Wahlkampf „Ich will nach Hause“ jammerte, hat sie allemal.

Die SPD hat Nahles bitter nötig. Die Partei steht so schlecht da wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Sie hat die Bundestagswahl mit dem schlechtesten Ergebnis seit 1949 abgeschlossen. Umfragen sehen sie aktuell bei 17 bis 20 Prozent. Viele sozialdemokratische Parteien in Europa sind schon untergegangen. Nahles’ historische Mission: Sie muss den Niedergang abwenden – und das Überleben der SPD als Volkspartei sichern.

In die Fresse: Andrea Nahles ist die neue starke Frau an der SPD-Spitze

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    Nahles hat viel, was Schulz nicht hat

    Ihre Vorteile: Nahles führt bald Partei und Fraktion, was ihr eine große Machtfülle beschert. Und sie unterliegt, anders als der künftige Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz, nicht Merkels Kabinettsdisziplin.

    Nahles hat viel, was Schulz nicht hat. Vor allem aber ist sie glaubwürdig. Schulz hatte ausgeschlossen, Minister unter Merkel zu werden. Jetzt rettet er sich in das prestigeträchtige Amt des Außenministers, weshalb er schon als „Umfaller“ kritisiert wird. Und er verdrängt, nebenbei erwähnt, Sigmar Gabriel – ohne eine Begründung zu geben, warum er besser für den Job geeignet ist. Das wäre Nahles nicht passiert.

    Doch auch sie hat ein großes Problem: ihre mittelmäßigen bis schlechten Umfragewerte. Viele Menschen sehen in ihr immer noch die linke Nervensäge, die sie als Juso-Chefin war. Einen schnellen Nahles-Effekt wird es sicher nicht geben. Sie wird hart an sich arbeiten und viele Siege erkämpfen müssen. Ihre größte Herausforderung liegt aber zunächst darin, die SPD-Mitglieder von der neuen großen Koalition zu überzeugen. Den Parteitag in Bonn hat Andrea Nahles mit einer leidenschaftlichen Rede auf GroKo-Kurs gebracht. Dieses Kunststück muss die Parteichefin auf Probe nun wiederholen. Der Mitgliederentscheid wird auch ein Votum über sie.

    In ihren Kontrahenten Kevin Kühnert – der Juso-Chef trommelt gegen die GroKo – kann sie sich wahrscheinlich gut hineinversetzen. Auch sie war mal Rebellin – und stand einem mächtigen Gegner gegenüber: Gerhard Schröder, der seine Agenda 2010 durchboxen wollte. Nahles verlor damals gegen den Kanzler, er setzte seine Reformen um. Diesmal ist sie zum Erfolg verdammt. Scheitert sie, sieht es finster aus für die SPD. Wer soll nach ihr noch kommen?