Berlin. FDP- Chef Christian Lindner will den neuen Bundestag mit „fachlicher Avantgarde“ prägen – und so zum Wortführer der Opposition werden.

Das Wort „Oppositionsführer“ nimmt er nicht in den Mund. Das wäre unangemessen, meint Christian Lindner. Schließlich steht der Titel formal dem Chef der größten Fraktion in der Opposition zu – und das ist im Fall einer neuen GroKo nicht die FDP, sondern die AfD. Doch Lindner wäre nicht Lindner, würde er nicht trotzdem die Führungsrolle anstreben: „Wir werden uns nicht durch Fundamentalopposition oder Polemik hervortun, sondern durch fachliche Avantgarde.“

Es ist Lindners Projekt 2018: Die 80-köpfige FDP-Fraktion soll die Regierung aus der politischen Mitte heraus angreifen – und sich auf die Weise bei den Wählern als bürgerliche Alternative zu Union und SPD empfehlen. Die FDP werde sich weder „nach links oder rechts bewegen“, erklärte der Partei- und Fraktionschef am Montag nach einer zweitägigen Klausurtagung der neuen liberalen Bundestagsfraktion.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki hatte bereits am Wochenende den Anspruch der FDP auf die Wortführerschaft erklärt: Die Liberalen würden „mit den Grünen darum ringen, wer die faktische Oppositionsführerschaft übernehmen wird“.

FDP will eigenen Gesetzentwurf zum Familiennachzug einbringen

Die nächste Gelegenheit dazu soll die Debatte um den Familiennachzug für Bürgerkriegsflüchtlinge sein. Die FDP will einen eigenen Gesetzentwurf einbringen, der sich in einem wesentlichen Punkt von der Position absetzt, auf die sich Union und SPD in ihrer Sondierung verständigt hatten: Anstelle einer Obergrenze von 1000 Familienangehörigen pro Monat will die FDP drei Gruppen von Flüchtlingen den Familiennachzug erlauben: Menschen, die einen Job haben und damit ihre Familie selbst ernähren können, besonders gut integrierte Zuwanderer und solche Flüchtlinge, bei denen eine Härtefallregel greift.

Auf diese Weise könnten „in einem Monat auch 1050 oder 1500 kommen, denn dort zählt nicht das Kontingent, sondern die individuelle Betroffenheit“, so Lindner. Einig sind sich die drei Fraktionen aber darin, den Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus weiterhin auszusetzen.

Lindner und Co. hängt das Jamaika-Aus immer noch nach

Knapp zwei Monate nach dem Jamaika-Aus spürt die FDP unterdessen noch immer die Folgen ihres abrupten Ausstiegs aus den Sondierungen. „Wer sich in Berlin nicht traut zu regieren, braucht nicht in München um Verantwortung zu buhlen“, giftet CSU-Spitzenkandidat Markus Söder mit Blick auf die Landtagswahlen in Bayern.

Er bedauere es, dass die FDP sich bei den Jamaika-Verhandlungen der Verantwortung entzogen habe. Doch die Kritik kommt nicht nur von außen: Auch an der FDP-Basis rumort es noch immer. Und in der Parteiführung gibt es Stimmen, die Lindner davor warnen, sich nun rechthaberisch einzumauern, eine Bunkermentalität zu entwickeln.

Insgeheim, so scheint es, hoffen die meisten Liberalen sowieso auf eine zweite Chance im Bund: „Ich glaube, dass wir im Jahr 2019 bereits Neuwahlen haben werden“, prophezeit Kubicki. Dahinter steht die Hoffnung, dass die Wähler der FDP den Jamaika-Ausstieg nicht übelnehmen, sondern, im Gegenteil, die Entscheidung sogar belohnen. Immerhin sind die Umfragen in den vergangenen acht Wochen nicht eingebrochen, sondern blieben stabil zwischen acht und zehn Prozent. Enttäuschte FDP-Wähler haben sich zwar abgewandt, doch die Mitgliederzahlen steigen – auch über das Jamaika-Ende hinaus.