Paris. Frankreichs Präsident will in 2018 alle im Wahlkampf angekündigten Reformen anpacken. Bisher trifft er auf überraschend wenig Proteste.
Emmanuel Macron lässt nicht locker. In den knapp sieben Monaten seit seinem Amtsantritt hat der französische Präsident bereits mehr für die Modernisierung der Wirtschaft des Landes getan als seine beiden Vorgänger zusammen. Und ein einziger Blick auf die Liste der Reformvorhaben, die er für das laufende Jahr auf die Agenda gesetzt hat, zeigt: Das war lediglich ein Aperitif.
„Die tiefgreifenden Veränderungen werden im Jahr 2018 mit derselben Entschlossenheit, demselben Rhythmus und derselben Intensität fortgeführt“, versprach Macron in seiner Neujahrsansprache, die elf Millionen Franzosen vor dem Fernseher verfolgten. Der junge Präsident, dessen Ehrgeiz wohl nur von seiner Ungeduld übertroffen wird, sieht 2018 als ein Schlüsseljahr an. Vor dem nächsten Dezember will er so gut wie alle in seinem Wahlkampf angekündigten Reformen umgesetzt oder angeschoben haben.
Macron traut sich zu, Frankreich rundzuerneuern
Mit der umstrittenen Absenkung der Höchstgeschwindigkeit von 90 auf 80 Stundenkilometer auf allen Landstraßen wurde der erste Erlass bereits verabschiedet. Folgen sollen in den kommenden Monaten Reformen der Renten- und Arbeitslosenversicherung, des Aus- und Fortbildungssystems, ein neues Einwanderungsgesetz und eine Verfassungsreform, welche eine Teileinführung des Verhältniswahlrechts sowie einer spürbaren Reduzierung der Zahl der Parlamentarier zum Ziel hat. Ferner stehen eine Neuorganisierung der Krankenhäuser, von Schulen und Universitäten sowie der Polizei an.
Die Karriere von Präsident Macron
Es ginge darum „Frankreich zu reparieren“, erklärte Regierungschef Edouard Philippe. Sehr viel tiefer kann man kaum stapeln. Denn Macrons Ambitionen reichen ungleich weiter. Er will Frankreich nicht nur reparieren, sondern runderneuern, fit machen für das 21. Jahrhundert und konkurrenzfähig in einer globalisierten Welt. Wobei er mit diesem Vorhaben eigentlich eine beträchtliche Zahl seiner Bürger vor den Kopf stoßen dürfte. Die verteidigen die Ist-Zustände in ihrem Land, das schon von Friedrich Sieburg in seinem Bestseller „Wie Gott in Frankreich“ als altmodisches Paradies bezeichnet wurde, üblicherweise engagiert.
Proteststurm ist bislang ausgeblieben
Es braucht daher schon eine gehörige Portion an Selbst- oder Gottvertrauen, um den Franzosen einen Reformkatalog vorzulegen, der ihr Leben in nahezu allen Bereichen so nachhaltig umzukrempeln verspricht. Dennoch ist der von vielen Beobachtern prophezeite Proteststurm bislang ausgeblieben. Nach einer Erklärung wird nach wie vor eifrig gesucht.
Für die einen versteht es Macron einfach, die Gunst der Stunde zu nutzen in einem Land, dessen Bevölkerung nach zehn zermürbenden Jahren einer nicht enden wollenden Wirtschaftskrise zur Apathie neige. Für andere hat der linksliberale Präsident lediglich unverschämtes Glück.
Die Wirtschaft läuft wieder besser
Richtig ist jedenfalls, dass für Macron derzeit alle Ampeln auf Grün stehen. Die Konjunktur ist endlich angesprungen, die Auftragsbücher der Unternehmen füllen sich, und die Arbeitslosenkurve sank in den letzten Monaten von 10 auf 9,4 Prozent.
Selbst, dass der Präsident mit unpopulären Einschnitten 2017 das ihm hinterlassene Etatdefizit erstmals seit einem Jahrzehnt knapp unter die Drei-Prozent-Marke drückte, scheinen ihm die Franzosen mittlerweile nachzusehen. Nach einem bösen Absturz im vergangenen Sommer steigt Macrons Beliebtheit wieder und überschritt im Dezember erneut die wichtige 50-Prozent-Zustimmungsmarke.
Die Konservativen sind gepalten
Beinahe noch wichtiger: Die Gegner des Reformkurses haben dem Präsidenten und seiner folgsamen Parlamentsmehrheit kaum etwas entgegenzusetzen. Die Sozialistische Partei ist nur noch ein Schatten ihrer selbst und auf der Suche nach einem neuen Chef.
Die konservativen Republikaner haben zwar gerade einen neuen und höchst umstrittenen Parteichef gekürt, bleiben aber hin- und hergerissen zwischen Vertretern einer harten Oppositionslinie und Befürwortern einer „konstruktiven Haltung“ gegenüber Macron, dessen wirtschaftsliberales Programm ihnen weitestgehend aus dem Herzen spricht.
Kritik an Marine Le Pen wächst
Auf der Suche nach einer neuen Linie – und einem neuen Namen – ist auch der rechtsextreme Front National, während seine Chefin Marine Le Pen sich nach ihrer krachenden Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen zunehmend parteiinterner Kritik ausgesetzt sieht. Und die Linkspopulisten der „France insoumise“ (Unbeugsames Frankreich)?
Hängen nach ihrem vergeblichen Abwehrkampf gegen die Arbeitsmarktreform ebenso angeschlagen in den Seilen wie die noch im Herbst bedingungslos auf Krawall gebürsteten Gewerkschaften. Vorerst gibt es also tatsächlich keinen Grund für Macron, innenpolitisch vom Gas zu gehen.
Macron gibt mit EU-Reformplänen den Ton an
Und außenpolitisch? Auch oder gerade dort legt der Franzose eine beinahe fieberhafte Aktivität an den Tag, in dem Bemühen, den verblassten Glanz der Grande Nation neu aufzupolieren. Mit den Empfängen des russischen und des amerikanischen Präsidenten in Paris rückte er Frankreich zumindest symbolisch wieder in den Kreis der Weltmächte, während er mit seinen europäischen Reformvorschlägen mittlerweile ebenso den Ton vorgibt wie beim Klimaschutz oder beim Aufbau einer Eingreiftruppe zur Bekämpfung islamistischer Rebellengruppen.
Dass der Europaenthusiast die EU als „seine“ größte Baustelle ansieht, ist ein offenes Geheimnis. Noch vor den Europawahlen 2019 soll die Vision von einer vertieften und solidarischen Union, „die ihre Bürger schützt“, Konturen angenommen haben. Doch obwohl die Kommissare in Brüssel bereits Macrons heißen Atem im Nacken spüren, sah sich der Präsident gezwungen, erst einmal auf die Pausentaste zu drücken. Eine Übung, die ihm schwerfällt, aber bei der Runderneuerung der EU ist Macron auf die Schubkraft der deutsch-französischen Achse angewiesen. Kaum zu übersehen, dass ihn die mühsame und zeitraubende Regierungsbildung in Berlin langsam nervös macht.