Paris. Bei einer Grundsatzrede in Paris erklärt Macron, wie er die EU von Grund auf reformieren will. Dazu gehört eine Reihe von Vorhaben.

„Für die Menschen, mit den Menschen“ – auf diese knappe Formel ließe sich die Vision der Europäischen Union von Morgen verkürzen, für die Frankreichs junger Präsident die Bürger Europas zu gewinnen hofft. Am Dienstag, in der Aula der ehrwürdigen Pariser Sorbonne-Universität, hat Emmanuelle Macron vor Studenten aus 15 EU-Ländern seinen Bauplan für eine „Neugründung“ der Union skizziert. Eine große Grundsatzrede war erwartet worden, doch Macron lieferte mehr, nämlich das beseelte Plädoyer eines überzeugten Europäers mit dem festen Willen, seinen Worten Taten folgen zu lassen.

„Europa ist unsere Geschichte, unsere Identität, unser Engagement und unsere Zukunft. Keiner von uns kann die großen Herausforderungen, vor die wir gestellt sind, alleine meistern!“ Gleich der erste Satz Macrons kam einem Glaubensbekenntnis gleich. Doch ihm folgte beinahe unmittelbar die ernüchternde Feststellung, dass „Europa derzeit zu schwach ist, um diesen Herausforderungen wirksam zu begegnen. Unser Schicksaal hängt davon ab, dass wir die EU verändern, reformieren und verstärken. Das Gegenteil hingegen, der Rückzug auf den Nationalstaat, gefährdet unsere Existenz.“

Neuer Anlauf für Finanztransaktionssteuer

Bereits in seinem erfolgreichen Präsidentschaftswahlkampf hatte der 39-Jährige voll auf Europa gesetzt, aber auf ein neues, von Grund auf renoviertes Europa, das den Menschen dient und sie schützt. Dahinter steht die Überzeugung, dass in Zeiten des Brexit und des allerorts um sich greifenden Populismus Reformen die einzige Überlebenschance für die Union sind.

Reformen, die Europa durch ein engeres Zusammenrücken auf den Feldern der Finanz-, der Wirtschafts-, der Klima-, der Flüchtlings-, der Hochschul-, der Forschungs- oder der Verteidigungspolitik zu einem Bollwerk verschmelzen, welches bei der Vertretung der Interessen seiner 500 Millionen Bürger auch den USA, China oder Russland auf Augenhöhe gegenübertreten kann.

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Dass Macron, der in seiner erst viermonatigen Amtszeit bereits zu einen Kreuzzug gegen das Lohndumping aufgebrochen ist und sich gemeinsam mit Deutschland, Spanien und Italien um eine Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik unter Einbeziehung der nordafrikanischen Staaten bemüht, keine 48 Stunden nach der Bundestagswahl in die ganz große Initiative geht, ist selbstverständlich kein Zufall.

Noch bevor eine neue Koalition in Berlin steht, sollen seine Vorstellungen beim wichtigsten Partner auf dem Tisch liegen. Will der Präsident die deutschen Koalitionsverhandlungen etwa beeinflussen? „Aber ganz bestimmt!“, lautet die freimütige Antwort von Macrons Europaministerin Nathalie Loiseau, „schließlich sollen unsere Vorschläge in diese Gespräche einfließen.“

Die Notwendigkeit von tiefgreifenden EU-Reformen keineswegs eine isolierte Pariser Erkenntnis. Auch in Berlin und Brüssel ist man von ihr überzeugt. Doch insbesondere Macrons gestern erneut bekräftigtes Vorhaben, die Eurozone im Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Armut mit einem eigenen Haushalt in dreistelliger Milliardenhöhe, einem Finanzminister und einem eigenen Parlament auszustatten, stößt auf Vorbehalte.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Junker lehnt es sogar offen ab, weshalb Frankreichs Präsident noch vor dem Wochenende hoffte, ihn gemeinsam mit den Deutschen zum Jagen tragen zu können. Jedenfalls glaubte Macron, im Prinzip auf Angela Merkels Unterstützung rechnen zu können.

Macron will keine Transerferunion

Doch das war vor der Bundestagswahl. Die Perspektive einer Berliner Regierungskoalition, an der die europaskeptische FDP beteiligt ist, hat Macron laut der der französischen Zeitung „Le Monde“ als Alptraum bezeichnet. Im Elysée-Palast weiß man, dass die Verhandlungen über eine Aufrüstung der Euro-Zone nun deutlich schwieriger zu werden drohen als ursprünglich gedacht. Ein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen, ist das Ergebnis der Bundestagswahl für Macron jedoch nicht.

„Es muss gehandelt werden, und zwar rasch“, zitierte ein Berater des Präsidenten die Überzeugung seines Chefs. Und dass diese Überzeugung auch eine vornehmlich an die deutschen Partner gerichtete Botschaft ist, unterstreicht das Datum von Macrons Grundsatzrede ebenso wie seine gestern erneut wiederholte Beteuerung, das ihm „ganz sicher nicht“ eine Transferunion vorschwebe.

Macron will Bürgertreffs in Frankreich organisieren

Zur Runderneuerung Europas gehören für Frankreichs Präsidenten freilich nicht nur „technische“ Reformen wie sein gestern vorgestellter 10-Punkte-Plan für den Umbau Europas. Denn Macrons Vision ist der Traum von einer demokratischen und bürgernahen EU, die den Menschen zu einer Herzensangelegenheit wird. Es gilt also, die Bürger mitzunehmen auf dem Weg hin zu diesem Ziel. Aus diesem Grund wünscht Macron öffentliche „Konvente“, in denen jeder seine Ideen für und seine Klagen über Europa vorbringen können soll.

Schon im ersten Halbjahr 2018 will der Präsident solche Bürgertreffs in Frankreich organisieren - natürlich in der Hoffnung, dass die übrigen EU-Länder dem Beispiel folgen. Idealerweise soll es einen gemeinsamen Fragenkatalog geben, über den in der ganzen EU diskutiert wird. Die Auswertung der Anregungen und Beschwerden sollen dann in den Umbau der Union einfließen. „Beteiligung“ heißt das Zauberwort, mit der die Begeisterung für Europa neu entfacht werden soll.

Nicht von ungefähr verspricht sich Macron sehr viel von dieser Methode. Ausprobiert hat er sie schon im vergangenen Jahr, als er seine politische Graswurzelbewegung „En Marche“ eine große Wählerbefragung durchführen ließ, aus deren Ergebnissen er jenes Präsidentschaftsprogamm schmiedete, mit dem er als krasser Außenseiter im Mai den Elysée-Palast eroberte.