Berlin. Nach dem Scheitern von Jamaika ist die Bundeskanzlerin angeschlagen. Trotzdem würde CDU-Chefin Merkel wieder für die Union antreten.

Es ist die schwierigste Stunde in ihrer zwölfjährigen Amtszeit: Als Angela Merkel um ein Uhr am Montagmorgen in der Landesvertretung Baden-Württemberg vor die Mikrofone tritt, ist die Jamaika-Sondierung gescheitert. Die FDP hatte die Gespräche zur Bildung einer Regierung aus CDU, CSU, Liberalen und Grünen eine Stunde zuvor überraschend platzen lassen.

Merkel ist es als Moderatorin der Gespräche nicht gelungen, „die Enden ­zusammenzubinden“, wie sie es während der Gespräche selbst nannte. Es ist ein schwerer Rückschlag für die als gewiefte Taktiererin und Strategin bekannte CDU-Chefin. Es gibt im Bundestag ­keine Mehrheit, die ihr den Weg in eine stabile vierte Amtszeit möglich macht.

Kanzlerin Merkel wirkt abgekämpft

Merkel gibt sich auch in der Stunde der Niederlage gefasst, wirkt allerdings abgekämpft. Die vierwöchigen, oft bis in die Nacht andauernden Sondierungen haben auch bei ihr Spuren hinterlassen. Sie spricht von einem „fast historischen Tag“. CDU und CSU hätten nichts unversucht gelassen, die Verhandlungen zum Erfolg zu führen. „Wir hatten aus unserer Perspektive der Union sehr vieles erreicht in diesen Verhandlungen, was die Stabilität des Landes gestärkt hätte“, erklärt sie.

Bundeskanzlerin Angela Merkel wirkt nach den gescheiterten Jamaika-Sondierungen abgekämpft.
Bundeskanzlerin Angela Merkel wirkt nach den gescheiterten Jamaika-Sondierungen abgekämpft. © REUTERS | AXEL SCHMIDT

Nun gebe es einen „Tag mindestens des tiefen Nachdenkens, wie es weitergeht in Deutschland“. „Aber ich will Ihnen sagen, ich als Bundeskanzlerin, als geschäftsführende Bundeskanzlerin, werde alles tun, dass dieses Land auch durch diese schwierigen Wochen gut geführt wird.“ Als Merkel endet, brandet Beifall von den Politikern der CDU und CSU auf – und von den Grünen. Merkel lächelt fast erstaunt, dann wehrt sie ab: „So, reicht.“

Eine Einigung stand nach Angaben der Union kurz bevor

CSU-Chef Horst Seehofer pflichtet ihr bei. Eine Einigung sei „zum Greifen nahe gewesen“. Seehofer weiß, wovon er spricht: Seine CSU und die Grünen hatten sich nach zermürbenden Runden über die Zuwanderung verständigt, ein Kommunikationspapier war bereits in Arbeit. Die Grünen-Unterhändlerin Claudia Roth hatte einigem zugestimmt, etwa der Einstufung der Ma­ghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer. Die CSU hatte sich von einer Härtefallregelung beim Familiennachzug überzeugen lassen.

Auch wenn es in den Gesprächen nicht überall gepasst hat – die Union war bereit, einem gemeinsamen Papier zuzustimmen. Das machten die Verhandlungsführer Merkel und Seehofer auch in einer gemeinsamen Schlussrunde im Kaminzimmer der Landesvertretung deutlich. Doch FDP-Chef Christian Lindner sah keine gemeinsame Vertrauensbasis und keine wirklichen Fortschritte bei den Verhandlungen. „Was willst du?“, soll Merkel ihn noch gefragt haben – doch Lindner und sein Mitverhandler Wolfgang Kubicki seien aufgestanden.

Merkel: müssen nun mit den Tatsachen umgehen

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    Gescheiterten Verhandlungen einen die Union

    Kurz zuvor hatte es vor den Türen eine merkwürdige Situation gegeben, die das Chaotische der Verhandlungen deutlich macht. Um 22.52 Uhr kommt CSU-Politiker Hans Michelbach heraus und erzählt, es gebe eine Einigung auf einen Soli-Abbau bis 2021, außerdem würden die Grünen die Maghreb-Staaten als sichere Asyl-Herkunftsländer akzeptieren. Zehn Minuten später erscheint der CSU-Mann kleinlaut noch mal vor der Tür – und zieht seine Äußerungen zurück. Der Grund: Seehofer tobt, Michelbach hatte keine Handlungsvollmacht.

    Die harten und letztlich gescheiterten Verhandlungen haben die Union überraschend wieder geeint. Nach dem zwei Jahre währenden Streit über eine Obergrenze für Flüchtlinge, der als entscheidender Grund für das schlechte Wahlergebnis der Union bei der Bundestagswahl gewertet wird, sind die Schwesterparteien in der Krise der Regierungsbildung wieder zusammengewachsen.

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    Seehofer dankte Merkel für ihre Verhandlungsführung

    Seehofer bedankt sich bei der Kanzlerin für ihre Verhandlungsführung: „Danke, Angela Merkel, für diese vier Wochen.“ CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt betont: „CDU und CSU müssen nun zusammenbleiben, das hat uns gestärkt.“ Den selben Tenor gibt es in der telefonischen Konferenz des Bundesvorstands der CDU am Montagmorgen. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sagt, quer durch „alle soziologischen Gruppen, die die CDU hat“, habe es eine breite Rückendeckung gegeben. Interessanterweise, so heißt es nicht nur im Merkel-Lager, gebe es anders als nach dem schlechten Wahlergebnis derzeit überhaupt keine ernst zu nehmende Personaldebatte über Merkel. Stattdessen habe die FDP zunächst einmal dafür gesorgt, dass die Reihen eher geschlossen würden.

    Saar-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer macht deutlich, bei möglichen Neuwahlen an Merkel als Kanzlerkandidatin festzuhalten. „Angela Merkel ist Bundeskanzlerin und unsere Parteivorsitzende. Wir wollen, dass sie beides bleibt, und dafür werden wir kämpfen“, sagt die CDU-Politikerin unserer Redaktion. Merkel selbst tritt am Mittag den schweren Gang zu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue an. Das Staatsoberhaupt hat nun das Heft des Handelns in der Hand. In der CDU setzt man darauf, dass der Ex-SPD-Außenminister Einfluss auf SPD-Chef Martin Schulz nehmen könnte, um ihn doch noch zu Gesprächen mit Merkel über die Bildung einer erneuten großen Koalition zu bewegen. Schulz wiederum schließt genau diesen Schritt bei einer Pressekonferenz erneut aus.

    Merkel zu Krisengespräch bei Steinmeier

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      Unsicherheit bei den Parteien über das weitere Verfahren

      Am Abend zerstreut Merkel in zwei Fernsehinterviews dann alle Zweifel an ihrer Motivation: Falls es zu Neuwahlen kommen sollte, sei sie bereit, ihre Partei erneut in den Wahlkampf zu führen, macht sie im ARD-„Brennpunkt“ klar. Sie sei „eine Frau, die Verantwortung hat und auch bereit ist, weiter Verantwortung zu übernehmen“.

      Sie sei im Wahlkampf oft gefragt worden, ob sie für eine weitere Legis­laturperiode zur Verfügung stehen werde, und habe dies mit Ja beantwortet. Wenn sie jetzt nach zwei Monaten einen Rückzieher machen würde, wäre das dann schon sehr „komisch“. Ein klares Statement. In der ZDF-Sendung „Was nun, Frau Merkel?“ erklärt die CDU-Chefin, sie habe nach dem Abbruch der Gespräche nicht an Rücktritt gedacht. „Nein, das stand nicht im Raum. Ich glaube, Deutschland braucht nun Stabilität.“

      Minderheitsregierung sieht die Kanzlerin skeptisch

      Hat sie in den Verhandlungen Fehler gemacht? Die 63 Jahre alte CDU-Chefin überlegt nur kurz: „Nein.“ Und fügt hinzu: „Ich habe das getan, was ich konnte, und wie gesagt, wir waren auch wirklich vorangekommen.“

      Eine Minderheitsregierung sieht die Kanzlerin skeptisch. Denn einer möglichen Koalition aus CDU/CSU und FDP fehlen 29 Sitze zur Mehrheit im Bundestag, Schwarz-Grün 42. Eine solche Regierung müsste also bei Abstimmungen auf Unterstützung aus anderen Fraktionen hoffen. Es wäre ein Novum in der Bundesrepublik. „Ich bin der Meinung, dass Neuwahlen der bessere Weg wären.“ Erst einmal müsse aber Bundespräsident Steinmeier entscheiden, wie es nun weitergehe. Merkel wirkt entschlossen. Auf die Frage, ob sie 2018 noch Bundeskanzlerin sein werde, antwortet Merkel in der ihr trockenen Art: „Ich werde mich bemühen.“