Berlin. Nach der SPD-Absage an Merkel bleibt der Kanzlerin nur eine Regierungsoption. Doch wer „Jamaika“ will, übersieht CSU-Chef Seehofer.
Der Pulverdampf des Wahlkampfgetümmels verfliegt, und nach der Stimmenauszählung werden das Schlachtfeld sowie das Ausmaß der Verwundungen sichtbar. Martin Schulz, den es zweifellos am härtesten erwischt hat, hat sich schnell in Sicherheit gebracht. Der Mann, der vor weniger als 48 Stunden noch das Kanzleramt erobern wollte, greift nicht mal mehr nach dem SPD-Fraktionsvorsitz. Er überlässt Andrea Nahles das Feld der Macht.
Schulz hat schnell erkannt, dass er mit seinem historisch schlechten Wahlergebnis die erfolgreiche Arbeitsministerin nicht verhindern kann. Schon sein Vorgänger, SPD-Chef Franz Müntefering, hatte sich mit der machtbewussten Maurertochter angelegt. Das war keine besonders gute Idee, „Münte“ verlor sein Amt.
„Jamaika“ ist einzige Regierungsoption für Merkel
Während Schulz den Horror-Job des SPD-Kanzlerkandidaten endlich los ist und sich möglichen innerparteilichen Machtkämpfen geschickt entzog, hat es die Kanzlerin jetzt richtig schwer. Nach der Absage der SPD an eine erneute große Koalition ist „Jamaika“ die einzige Regierungsoption für Angela Merkel. Aber was nach Sonnenschein und leichter Dröhnung klingt, ist in Wahrheit der Versuch, politische Gesetzmäßigkeiten außer Kraft zu setzen. Denn Angela Merkel hat es mit drei potenziellen Partnern zu tun, die zusammenpassen wie Magnetkugeln, die einander abstoßen.
Da sind einmal die Grünen-Chefs, die unter großem Druck ihrer Basis stehen. Sie werden verdächtigt, die Steigbügel für eine ewige Kanzlerin halten zu wollen. Sie müssten also maximalen Druck bei grünen Kernthemen wie dem Ende des Verbrennungsmotors, Ausstieg aus der Braunkohle und der industriellen Massentierhaltung machen. Alles Themen, die Horst Seehofer und die CSU noch höher auf den Baum – beziehungsweise die Jamaika-Palme – treiben.
Jamaika-Koalitionspartner passen nicht zusammen
In Seehofers Wahrnehmung ist seine Partei durch ein in der großen Koalition verwässertes Unionsprofil unter die Räder geraten. Warum sollte der CSU-Chef also einen Koalitionsvertrag unterzeichnen, der grüne Handschrift trägt? Seehofer spürt den heißen Atem seines schlimmsten „Parteifreundes“ Markus Söder schon im Nacken – diese weiche Flanke wird er ihm nicht bieten wollen.
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Dazu kommt noch eine FDP, die mit maximalem Testosteron-Level liberale Politik einfordern wird. „Digital first, Bedenken second“ ist so ein Plakatspruch der FDP, der gut auch als Kriegserklärung an die Grünen taugen würde. Wie soll das zwischen diesen Koalitionären je passen? Und der geistige Abstand zwischen den meisten CSU-Granden mit Filzjacke und den neuen Slim-Fit-Liberalen ist auch beim größten Reizthema gewaltig.
Kommt doch die große Koalition oder eine Neuwahl?
Die FDP ist bei Horst Seehofers Lieblingsforderung „Obergrenze für Flüchtlinge“ schließlich noch sturer als die Kanzlerin. Gemeinsam mit Angela Merkel und den Bündnisgrünen könnten die Liberalen das Erregungspotenzial des CSU-Vorsitzenden noch steigern. Dazu kommt die Forderung nach einem Einwanderungsgesetz. So große Joints gibt es nicht mal auf Jamaika, dass man Seehofer damit wieder beruhigen könnte.
Aber wie kann eine Lösung aussehen? Auch wenn in der Hauptstadt das noch niemand offen ausspricht, bleiben eigentlich nur zwei logische Varianten übrig: Die Sozialdemokraten machen spätestens nach der Landtagswahl in Niedersachsen die Rolle rückwärts und stehen doch erneut für eine große Koalition zur Verfügung. Mit einem entsprechend hohen Preis, den Angela Merkel an die Sozialdemokraten zu entrichten hätte.
Oder: Der Wähler muss erneut ran. Allerdings mit dem großen Risiko, dass Neuwahlen das Polit-Chaos noch vergrößern würden.