Berlin. Die Autohersteller wollen nach dem Abgas-Skandal Millionen Dieselautos nachrüsten. Doch ob Fahrverbote verhindert werden, ist ungewiss.

Eigentlich sollte der Diesel-Gipfel im Bundesverkehrsministerium stattfinden, doch nachdem Aktivisten von Greenpeace am Mittwochfrüh um 4.45 Uhr das Dach des Gebäudes besetzt und ein großes Transparent entrollt hatten, wurde die Veranstaltung ins nahe gelegene Bundesinnenministerium verlegt. Die Demonstranten, die schnell vom einen zum anderen Ministerium zogen, werteten das so, dass die Politik und die Chefs der Autokonzerne Angst vor dem Protest hätten.

Tatsächlich trat am Mittwoch kein Konzernchef vor die Presse. Der Lobbyverband VDA verschickte vor Ende des Gipfels eine Presseerklärung, mit der er in positiven Worten die Deutungshoheit über die Veranstaltung gewinnen wollte. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sowie die Ministerpräsidenten der Autoländer Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen werteten den Gipfel unter dem Strich als Erfolg. Er sei aber nur ein Zwischenschritt, sagten sie. Wie geht es nun weiter? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

• Warum fand der Diesel-Gipfel statt?

In vielen Städten ist die Belastung mit Stickstoffoxiden (kurz: Stickoxide) ein Problem. Die Luft in europäischen Städten darf deshalb seit 2010 nur 40 Mikrogramm Stickoxide pro Kubikmeter enthalten. Dieser Wert wird in Deutschland seit Jahren zum Teil deutlich überschritten. Das verstößt gegen europäisches Recht.

Die Bundesländer und die Bundesregierung streiten seit mehr als einem Jahr darüber, wie die Luft sauberer werden kann. Seit November 2015 klagt die Deutsche Umwelthilfe vor Verwaltungsgerichten auf Einhaltung und Durchsetzung der Grenzwerte für Schadstoffe. Im Ergebnis haben mehrere Gerichte entschieden, dass die betroffenen Städte ab Januar 2018 Fahrverbote verhängen können. Diese Urteile, die drohenden Fahrverbote und die vor allem von VW manipulierten Abgaswerte für Stickoxid bei Dieselautos sind der Grund für den Diesel-Gipfel.

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    • Wer nahm am Gipfel teil?

    Gastgeber waren die Bundesminister Dobrindt und Hendricks. Am Tisch saßen außerdem neun Ministerpräsidenten von Bundesländern, in denen Autos gebaut werden und/oder die von Fahrverboten betroffen sind. Die Autobranche war mit den Chefs von VW, BMW, Daimler, Audi, Porsche, Opel und Ford vertreten, die ausländischen Hersteller schickten nur ihren Verband. Umwelt- und Verbraucherverbände mussten draußen bleiben.

    • Was wurde beschlossen?

    Die Hersteller wollen 2,5 Millionen Autos der Schadstoffklassen Euro 5 und 6 für die Kunden kostenlos mit einer neuen Software ausrüsten, damit sie weniger Stickoxid produzieren. Zusammen mit 2,5 Millionen VW-Autos, die ohnehin in die Werkstatt müssen, sind das gut fünf Millionen Diesel. Zum Vergleich: In Deutschland sind derzeit 15 Millionen Diesel-Pkw zugelassen.

    Um die älteren Modelle von der Straße zu bekommen, hat die Politik die Hersteller dazu gedrängt, Kaufprämien anzubieten. Kunden, die alte Diesel bis Schadstoffklasse 4 verschrotten lassen und einen Neuwagen mit oder ohne Dieselmotor kaufen, sollen sie bekommen. Bis zu 8000 Euro Prämie sollen es sein, hieß es nach dem Gipfel. BMW kündigte noch am Mittwoch 2000 Euro an, Mercedes-Benz einen „vierstelligen Betrag“. Ausländische Hersteller, die etwa ein Drittel Marktanteil haben, weigern sich bisher, die Software der Motoren auszutauschen, und bieten keine Kaufprämien an.

    Bund und Länder wollen den öffentlichen Nahverkehr fördern, Busse elek­trisch fahren lassen und mehr Fahrradspuren einrichten. Zur Unterstützung der Kommunen bei der Luftreinhaltung soll es einen Fonds „Nachhaltige Mobilität in der Stadt“ im Gesamtumfang von 500 Millionen Euro geben. Die Hälfte davon will der Bund beisteuern. Den Rest sollen die deutschen Autokonzerne gemäß ihrem Marktanteil zahlen. Auch ausländische Hersteller will die Regierung zur Beteiligung drängen.

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      • Was bringen die Beschlüsse des Gipfels?

      Zunächst einmal nichts. Der Austausch der Software soll bis Ende 2018 dauern. Sie muss für jedes Motorenmodell aufwendig getestet und vom Kraftfahrt-Bundesamt zugelassen werden. Die Fahrverbote drohen aber ab Januar 2018. Ob sie mit den geplanten Maßnahmen verhindert werden können, ist derzeit völlig unklar. Das werden letztlich Gerichte in weiteren Verfahren entscheiden.

      Keiner der Hersteller, die gestern am Tisch saßen, muss sich an seine Versprechen halten, sie sind nicht einklagbar, weder vom Staat noch von Kunden. Die Bundesminister und die Ministerpräsidenten betonten gestern, pauschale Fahrverbote seien abgewendet worden. Ob es in einzelnen Regionen doch noch dazu komme, könne nicht garantiert werden. Das hängt offenbar von den konkreten Messungen vor Ort ab.

      Die Wirkung der neuen Software ist nicht sicher. Die Autoindustrie verspricht eine Senkung des Stickoxidausstoßes um 25 bis 30 Prozent. Umweltministerin Hendricks forderte 30 Prozent. Wie viel es am Ende ist, sollen Messungen des Kraftfahrt-Bundesamtes zeigen. Die Wirkung der Kaufprämien für saubere Autos auf die Preise für ältere Diesel sind nicht absehbar. Sie dürften aber im Wert weiter drastisch sinken.

      • Was ist noch geplant?

      Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) will, dass die Kfz-Steuer sich noch mehr am Schadstoffausstoß orientiert. Bisher berücksichtigt sie nur das für die Erderwärmung verantwortliche Gas Kohlenstoffdioxid. Künftig könnte auch der Wert für Stickoxid eine Rolle spielen.

      Seehofers Begründung: Alte Diesel trügen zwar erheblich zur schmutzigen Luft bei, sie seien aber damals nach dem Stand der Technik gebaut und führen völlig legal auf der Straße. Deshalb sei der Staat in der Verantwortung, wenn er dies ändern wolle. Umweltministerin Hendricks lehnte hingegen staatliche Hilfen zur Beseitigung des Stickoxid­problems ab.

      • Welche Reaktionen gibt es?

      Verbraucherschützer reagieren enttäuscht. Die Verbraucherzentralen kritisieren die Ergebnisse des Diesel-Gipfels und fordern ein Nachfolgetreffen. „Die Bundesregierung und die Autobranche haben die Chance vertan, Vertrauen bei geschädigten und verunsicherten Verbrauchern zurückzugewinnen“, sagte Klaus Müller, der Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv). „Der Gipfel brachte nur eine Minimallösung, viele Fragen bleiben offen – zur finanziellen Entschädigung, zu rechtsverbindlichen Garantien, zum Dieselauto in der eigenen Garage.“ Verbraucherinteressen seien wieder ausgebremst worden. „Deshalb fordern wir einen zweiten Auto-Gipfel nach dem Diesel-Gipfel – dann aber bitte schön auch mit Verbrauchervertretern am Tisch.“

      Auch die Opposition übte scharfe Kritik. FDP-Chef Lindner sagte dieser Redaktion, viele Fragen seien offengeblieben. „Ich halte die ganze Diesel-Debatte inzwischen für völlig überzogen“, sagte der FDP-Chef. „Manche Leute haben ideologische oder ökonomische Interessen daran, unsere Automobilindustrie und den Verbrennungsmotor kleinzumachen.“ Die Autobranche sei wichtig und dürfe nicht das Schicksal der Stahlindustrie erleiden. Grünen-Verkehrspolitiker Oliver Krischer warf der Bundesregierung vor, „ihre Kumpanei mit der Autoindustrie fortzusetzen“. Sie sei nicht bereit, durch verpflichtende Maßnahmen die Gesundheit der Menschen zu schützen.