Washington/Caracas. Venezuelas umstrittene Wahl wurde von blutigen Protesten begleitet. Nicht nur die USA sprechen von einem Schritt in Richtung Diktatur.

Bei der Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung in Venezuela sind nach Angaben der venezolanischen Opposition mindestens 15 Menschen während den Auseinandersetzungen getötet worden. Das teilte Oppositionsführer Henrique Capriles am Sonntagabend (Ortszeit) in Caracas mit. Die Generalstaatsanwaltschaft bestätigte zunächst acht Tote.

Es gab bürgerkriegsähnliche Zustände in vielen Städten – Schüsse, Tränengaswolken und Schlägerbanden, die auf Motorrädern Schrecken verbreiteten. Aber auch die Polizei wurde angegriffen. Ein Kandidat der Sozialisten für die Verfassungsversammlung wurde im Bundesstaat Bolívar von Unbekannten erschossen.

Maduros Instrument , um sich die Macht zu sichern

In Caracas gab es mindestens sieben verletzte Nationalgardisten bei einem Anschlag, mutmaßlich verübt von Gegnern des sozialistischen Präsidenten Nicolas Maduro. Dabei war im Viertel Altamira, wo die Ober- und Mittelschicht wohnt, ein großer Feuerball zu sehen.

Sicherheitskräfte mit ihren Motorrädern während der Auseinandersetzungen in Caracas.
Sicherheitskräfte mit ihren Motorrädern während der Auseinandersetzungen in Caracas. © REUTERS | CARLOS GARCIA RAWLINS

Maduro will sich und seiner Sozialistischen Partei mit der Einrichtung einer Verfassungsversammlung ein Instrument in die Hand geben, um die Macht in dem ölreichen Staat zu sichern. Das Gremium kann alle anderen staatlichen Institutionen auflösen. Sie soll nach Maduros Darstellung den „bewaffneten Aufstand“ beenden und das Land befrieden. Die Opposition fürchtet dagegen eine kaum noch kontrollierbare Machtfülle für Maduro und seine Partei. Bei Protestaktionen in den vergangenen vier Monaten kamen mehr als 115 Menschen ums Leben.

Die Opposition hatte die Wahl boykottiert, da die geplante Zusammensetzung von Maduro so geplant worden war, dass das Lager der Sozialisten eine Mehrheit haben wird. Befürchtet wird, dass die Verfassungsversammlung, die bis Mittwoch mit der Arbeit beginnen soll, einfach das bisherige Parlament, in dem die Opposition eine Mehrheit hat, ersetzen soll. Dann wäre der Venezuela de facto eine Diktatur ohne Gewaltenteilung.

Venezuela droht im Chaos zu versinken

Hunderttausende Menschen gehen in Venezuela wieder auf die Straße, um ihrer Wut Luft zu machen. Sie richtet sich gegen den Präsidenten Nicolás Maduro.
Hunderttausende Menschen gehen in Venezuela wieder auf die Straße, um ihrer Wut Luft zu machen. Sie richtet sich gegen den Präsidenten Nicolás Maduro. © REUTERS | CHRISTIAN VERON
Das Land ist in die schlimmste Versorgungskrise seiner Geschichte geraten: Leere Supermärkte sind der Normalfall. Antibiotika, Diabetes- und Epilepsiemedikamente gibt es fast nirgendwo mehr.
Das Land ist in die schlimmste Versorgungskrise seiner Geschichte geraten: Leere Supermärkte sind der Normalfall. Antibiotika, Diabetes- und Epilepsiemedikamente gibt es fast nirgendwo mehr. © dpa | Fernando Llano
Maduro warf der Opposition vor, für die Eskalation verantwortlich zu sein. Neuwahlen lehnt er ab – trotz Massenprotesten. „Sie wissen nicht, was wir in der Lage sind zu tun“, betonte der 54-Jährige in einer TV-Sendung.
Maduro warf der Opposition vor, für die Eskalation verantwortlich zu sein. Neuwahlen lehnt er ab – trotz Massenprotesten. „Sie wissen nicht, was wir in der Lage sind zu tun“, betonte der 54-Jährige in einer TV-Sendung. © dpa | Ariana Cubillos
Eine Frau, die mit der Nationalflagge Venezuelas auf einer Autobahnauffahrt sitzt, setzt einen Schrei der Verzweiflung ab. Viele Demonstranten wollen so lange auf die Straße gehen, bis Maduro einlenkt. Viele befürchten weiteres Blutvergießen.
Eine Frau, die mit der Nationalflagge Venezuelas auf einer Autobahnauffahrt sitzt, setzt einen Schrei der Verzweiflung ab. Viele Demonstranten wollen so lange auf die Straße gehen, bis Maduro einlenkt. Viele befürchten weiteres Blutvergießen. © dpa | Ariana Cubillos
Seit Ausbruch der Proteste Anfang April starben bisher 24 Menschen.
Seit Ausbruch der Proteste Anfang April starben bisher 24 Menschen. © REUTERS | MARCO BELLO
In der Hauptstadt Caracas verlief eine Massenkundgebung am Montag  (Ortszeit) friedlicher als bisherige Märsche. Die Opposition fordert freie Wahlen, die Freilassung von politischen Gefangenen, eine Achtung des von ihr dominierten Parlaments und eine bessere Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln und Medizin.
In der Hauptstadt Caracas verlief eine Massenkundgebung am Montag (Ortszeit) friedlicher als bisherige Märsche. Die Opposition fordert freie Wahlen, die Freilassung von politischen Gefangenen, eine Achtung des von ihr dominierten Parlaments und eine bessere Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln und Medizin. © REUTERS | MARCO BELLO
2014 war es zu einer vergleichbaren Protestwelle gegen Maduro gekommen, damals starben 43 Menschen, aber über einen Zeitraum von fünf Monaten.
2014 war es zu einer vergleichbaren Protestwelle gegen Maduro gekommen, damals starben 43 Menschen, aber über einen Zeitraum von fünf Monaten. © REUTERS | MARCO BELLO
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Capriles betonte: „Dies ist ein schwarzer Tag, verursacht von den kranken Ambitionen einer einzigen Person“. Die Wähler seien massenhaft zu Hause geblieben, die Repression zeige die Verzweiflung. Capriles äußerte die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Regierung Maduro wegen der starken internationalen Kritik und dem Widerstand im Land. „Dieser Prozess geht mit einem monumentalen Scheitern zu Ende.“

Die Beteiligung an der Abstimmung über eine Verfassungsversammlung war nach Berichten von Augenzeugen nur gering. Viele Wahllokale blieben weitgehend leer. Dennoch verlängerte die Regierung von Präsident Nicolas Maduro die Öffnungszeiten um eine Stunde.

USA erwägen weitere Sanktionen auch gegen den Ölsektor

Die US-Regierung bezeichnete die umstrittene Wahl zu einer Verfassungsversammlung in Venezuela als Betrug und erwägt weitere Sanktionen auch gegen den Ölsektor des Landes. Die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley sprach am Sonntag in New York von „einem Schritt in Richtung Diktatur“. Die US-Regierung werde das Ergebnis nicht anerkennen, kündigte sie an.

Möglicherweise bereits am Montag sollten weitere Sanktionen gegen Venezuela verkündet werden, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters aus Regierungskreisen in Washington. Zwar sollten nicht die Öllieferungen Venezuelas in die USA verboten werden, hieß es. Möglich sei aber, dass der Verkauf leichteren Rohöls aus den USA nach Venezuela gestoppt werde. Venezuela mischt dieses mit eigenem schwerem Rohöl für den Export. Auch weitere hochrangige Regierungsvertreter könnten mit Sanktionen belegt werden, hieß es weiter. Entscheidungen seien aber noch nicht getroffen.

Auch Chile und Brasilien protestieren gegen die Wahl

Unabhängig vom Ausgang der umstrittenen Wahl werden fast alle südamerikanischen Staaten das Ergebnis nicht anerkennen. Die argentinische Regierung von Präsident Mauricio Macri nannte die Wahl „illegal“. „Die Wahl respektiert nicht den Willen von über sieben Millionen venezolanischen Bürgern, die sich dagegen ausgesprochen hatten“, teilte das Außenministerium in Buenos Aires mit. Auch Peru, Chile, Brasilien und Kolumbien werden die Wahl nicht anerkennen.

Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos forderte eine „friedliche und demokratische Lösung. Hoffentlich schnell.“ Maduro sagte, Santos habe wohl den Kopf verloren, wenn er die Wahl nicht anerkennen werde. Auch die EU hatte im Vorfeld die Durchführung der Wahl scharf verurteilt.

13 Staaten der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), darunter Mexiko und die USA, hatten mehrfach an Maduro appelliert, von dem Plan abzulassen. Bereits 2016 wurde Venezuelas Mitgliedschaft im südamerikanischen Wirtschaftsbund Mercosur suspendiert. In Südamerika hatte zuletzt nur noch Boliviens linker Präsident Evo Morales vehement für Maduro Partei ergriffen. (dpa/rtr)