Caracas. Venezuela könnte ein reiches Land sein. Die größten Ölreserven der Welt – dennoch das ärmste Land Südamerikas. Die Situation eskaliert.

Bei neuen Protesten im krisengeschüttelten Venezuela sind mindestens zwei weitere Menschen getötet worden. Damit sind dem blutigen Machtkampf schon 24 Menschen zum Opfer gefallen.

Wie der Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, Tarek William Saab, mitteilte, wurde in der Stadt Mérida ein Mitarbeiter der örtlichen Verwaltung durch einen Schuss in den Hals getötet. Sechs Personen wurden dort zudem schwer verletzt. Zudem starb in der Stadt Barinas ein 54-jähriger Demonstrant durch Schüsse.

Massen-Proteste in Venezuela

Im ganzen Land gingen am Montag wieder Hunderttausende für Neuwahlen auf die Straße. Seit Ausbruch der Proteste Anfang April, die sich an der zeitweisen Entmachtung des Parlaments durch den Obersten Gerichtshof entzündet hatten, starben mindestens zwölf Menschen bei Demonstrationen, weitere zwölf bei Unruhen und Plünderungen.

In der Hauptstadt Caracas verlief eine Massenkundgebung am Montag friedlicher als bisherige Märsche. Die Opposition fordert freie Wahlen, die Freilassung von politischen Gefangenen, eine Achtung des von ihr dominierten Parlaments und eine bessere Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln und Medizin.

Regierung gibt Opposition Schuld

Der Regierungsbeauftragte Saab machte die Opposition für das Blutvergießen in der westlich gelegenen Stadt Mérida verantwortlich, da es sich seiner Aussage nach um eine Demonstration für den sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro gehandelt habe. Dazu gab es aber widersprüchliche Angaben.

Zeugen sprachen von Protesten gegen Maduro, bei denen Motorradbanden aufgetaucht seien, bevor es aus nahegelegenen Häusern zu Schüssen kam. Für den Toten in Barinas machte die Opposition Motorradbanden der Sozialisten verantwortlich, die immer wieder Bürger angreifen.

US-Präsident Trump mischt sich ein

Venezuela droht im Chaos zu versinken

Hunderttausende Menschen gehen in Venezuela wieder auf die Straße, um ihrer Wut Luft zu machen. Sie richtet sich gegen den Präsidenten Nicolás Maduro.
Hunderttausende Menschen gehen in Venezuela wieder auf die Straße, um ihrer Wut Luft zu machen. Sie richtet sich gegen den Präsidenten Nicolás Maduro. © REUTERS | CHRISTIAN VERON
Das Land ist in die schlimmste Versorgungskrise seiner Geschichte geraten: Leere Supermärkte sind der Normalfall. Antibiotika, Diabetes- und Epilepsiemedikamente gibt es fast nirgendwo mehr.
Das Land ist in die schlimmste Versorgungskrise seiner Geschichte geraten: Leere Supermärkte sind der Normalfall. Antibiotika, Diabetes- und Epilepsiemedikamente gibt es fast nirgendwo mehr. © dpa | Fernando Llano
Maduro warf der Opposition vor, für die Eskalation verantwortlich zu sein. Neuwahlen lehnt er ab – trotz Massenprotesten. „Sie wissen nicht, was wir in der Lage sind zu tun“, betonte der 54-Jährige in einer TV-Sendung.
Maduro warf der Opposition vor, für die Eskalation verantwortlich zu sein. Neuwahlen lehnt er ab – trotz Massenprotesten. „Sie wissen nicht, was wir in der Lage sind zu tun“, betonte der 54-Jährige in einer TV-Sendung. © dpa | Ariana Cubillos
Eine Frau, die mit der Nationalflagge Venezuelas auf einer Autobahnauffahrt sitzt, setzt einen Schrei der Verzweiflung ab. Viele Demonstranten wollen so lange auf die Straße gehen, bis Maduro einlenkt. Viele befürchten weiteres Blutvergießen.
Eine Frau, die mit der Nationalflagge Venezuelas auf einer Autobahnauffahrt sitzt, setzt einen Schrei der Verzweiflung ab. Viele Demonstranten wollen so lange auf die Straße gehen, bis Maduro einlenkt. Viele befürchten weiteres Blutvergießen. © dpa | Ariana Cubillos
Seit Ausbruch der Proteste Anfang April starben bisher 24 Menschen.
Seit Ausbruch der Proteste Anfang April starben bisher 24 Menschen. © REUTERS | MARCO BELLO
In der Hauptstadt Caracas verlief eine Massenkundgebung am Montag  (Ortszeit) friedlicher als bisherige Märsche. Die Opposition fordert freie Wahlen, die Freilassung von politischen Gefangenen, eine Achtung des von ihr dominierten Parlaments und eine bessere Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln und Medizin.
In der Hauptstadt Caracas verlief eine Massenkundgebung am Montag (Ortszeit) friedlicher als bisherige Märsche. Die Opposition fordert freie Wahlen, die Freilassung von politischen Gefangenen, eine Achtung des von ihr dominierten Parlaments und eine bessere Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln und Medizin. © REUTERS | MARCO BELLO
2014 war es zu einer vergleichbaren Protestwelle gegen Maduro gekommen, damals starben 43 Menschen, aber über einen Zeitraum von fünf Monaten.
2014 war es zu einer vergleichbaren Protestwelle gegen Maduro gekommen, damals starben 43 Menschen, aber über einen Zeitraum von fünf Monaten. © REUTERS | MARCO BELLO
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2014 war es zu einer vergleichbaren Protestwelle gegen Maduro gekommen, damals starben 43 Menschen, aber über einen Zeitraum von fünf Monaten. Der charismatische Oppositionsführer Leopoldo López wurde dafür verantwortlich gemacht und zu über 13 Jahren Haft verurteilt.

Sein Frau Lilian Tintori marschiert inzwischen an vorderster Front und hat im Kampf um die Freilassung ihres Mannes sogar den Papst angerufen. Nachdem Tintori jüngst US-Präsident Donald Trump besucht und dieser ebenfalls die Freilassung gefordert hatte, bestätigte der Oberste Gerichtshof in Caracas tags darauf die international scharf kritisierte Strafe.

Ein reiches Land am Abgrund

Das Land mit den größten Ölreserven der Welt leidet unter Hyperinflation und einer tiefen Versorgungskrise. Die Goldreserven wurden bereits mehr als halbiert, um an Devisen zur Bedienung der Auslandsschulden und zum Import von Medikamenten und Nahrung zu kommen. Antibiotika, Diabetes- und Epilepsiemedikamente gibt es fast nirgendwo mehr.

Nur ein paar Zahlen: Venezuela hat mit 300,8 Milliarden Barrel die größten bekannten Ölreserven der Welt. Bis 2014 lag das Land mit 367 Tonnen Gold weltweit auf Platz 3 der Staaten mit dem größten Goldanteil an den Währungsreserven. 2,5 Millionen Barrel pro Fass wurden gefördert – das Land war lange Zeit eines der reichsten Südamerikas. „Venezuela könnte das neue Saudi-Arabien werden“, so lauteten vor wenigen Jahren noch die Schlagzeilen.

Maduro seit 2013 an der Macht

Angehörige müssen für Kinder in Hospitälern Sauerstoff und Medizin auf dem Schwarzmarkt selbst kaufen, die Kindersterblichkeit ist stark gestiegen. Maduro gibt dem gefallenen Ölpreis die Schuld für die Krise. Die Opposition wirft ihm vor, eine Diktatur anzustreben. Das Parlament ist seit Monaten de facto machtlos, da Maduro mithilfe der Justiz und Notstandsdekreten an der Legislative vorbeiregiert.

Maduro war 2013 zum Nachfolger des verstorbenen Hugo Chávez gewählt worden, kommt aber anders als Chávez nicht aus dem Militär. Dort wurden aber Schlüsselpositionen mit Getreuen besetzt. Die Opposition setzt auf einen Bruch des Militärs mit der Regierung, um ein weiteres Blutvergießen zu vermeiden. (dpa)