Bogota. Präsident Maduro will das Parlament in Venezuela abschaffen. Die Opposition setzt auf massive Proteste. Die USA drohen mit Sanktionen.

Das kolumbianische Polit-Magazin „Semana“ widmet seine aktuelle Ausgabe der zugespitzten Lage im Nachbarland Venezuela. Auf dem Titelbild ist eine Fotomontage zu sehen, die Präsident Nicolás Maduro mit einem Gewehr mit Mündungsfeuer und schusssicherer Weste hinter einer Barrikade zeigt: „Atrincherado“ steht darunter geschrieben. „Verschanzt“.

Das Bild trifft sehr gut die Situation in dem südamerikanischen Krisen- und Chaosstaat Venezuela, in dem schon seit Jahren nur noch der Ausnahmezustand Normalität ist. Aber in den vergangenen 118 Tagen verschärfter Proteste mit 106 Toten spielt Maduro, ein ehemaliger Busfahrer, am Sonntag seine vermutlich letzte und entscheidende Karte: die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung. Die soll ein neues sozialistisches Grundgesetz für das Land ausarbeiten, das über die weltweit größten Ölreserven verfügt.

Die Repu­blik wird abgeschafft

Für Maduro und seine autoritäre und angeblich linksnationalistische Regierung heißt es: durchhalten oder untergehen. Wenn sich der 54-Jährige mit seiner Verfassunggebenden Versammlung durchsetzt, würde sich der in weiten Teilen der Bevölkerung unbeliebte Staatschef seiner Gegner endgültig entledigen. Diosdado Cabello, Vize-Präsident der Regierungspartei PSUV und neben Maduro der zweite Hardliner, hat keinen Zweifel: „Die Versammlung wird das Parlament abschaffen, die Immunität seiner Mitglieder aufheben, die Generalstaatsanwaltschaft auf den Kopf stellen und die Regierungsinstitutionen hinter Nicolás Maduro versammeln.“

Mit anderen Worten: Die Repu­blik wird abgeschafft und eine Einparteien-Regierung längst vergangener Zeiten mit abhängigen Gewalten zementiert. Venezuela wäre dann tatsächlich das, was die bürgerliche Opposition schon vor Jahren befürchtet hat: eine Kopie Kubas. Einiges spricht dafür, dass sich dieses Szenario bewahrheitet. Durch die Bevorzugung von Vertretern der Arbeiterklasse wird bei der Abstimmung am Sonntag mit einer Mehrheit für Sympathisanten Maduros gerechnet. Gewählt werden 545 Mitglieder der Verfassunggebenden Versammlung.

Demokratie gegen Diktatur tauschen

Davon vertreten 364 Mitglieder jeden Kommunalbezirk im Land – hierfür stehen 3200 Kandidaten zur Wahl. Aufgestellt wurden viele Vertreter der Partido Socialista Unido, einschließlich Maduros Ehefrau Cilia Flores. Dazu kommen 181 Personen aus Sektoren, die vorwiegend den Sozialisten nahestehen: Arbeiter, Studenten, Rentner und Bauern.

Die politische Opposition, die sich in dem Bündnis MUD sammelt, hat sich vorgenommen, die Verfassunggebende Versammlung unter allen Umständen zu verhindern. Sie sei „Betrug“ am venezolanischen Volk und diene der Regierung nur dazu, endgültig Demokratie gegen Diktatur zu tauschen. Ein 48-stündiger Generalstreik am Mittwoch und Donnerstag, bei dem weitere vier Menschen starben, blieb ohne Wirkung. Die Regierung ließ daraufhin alle Proteste im Land bis Dienstag verbieten und droht mit langen Haftstrafen.

USA drohen mit Sanktionen

Der unter Hausarrest stehende Oppositionsführer Leopoldo López hatte die Venezolaner am Mittwoch in einer Videobotschaft dazu aufgerufen, in den friedlichen Protesten nicht nachzulassen, „bis Freiheit, Demokratie und Frieden“ erreicht seien. López bezeichnete die Verfassunggebende Versammlung als eine „klare Drohung, die Republik und die Demokratie abzuschaffen und das Volk zu unterwerfen“. Auch die USA drohen mit „harten und raschen“ Sanktionen für den Fall, dass Maduro am Sonntag die Versammlung wählen lässt.

Washington verhängte Strafmaßnahmen gegen 13 Funktionäre der Regierung, des Militärs und des Erdölkonzerns PDVSA. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini kritisierte, es bestehe die Gefahr, dass sich Venezuela noch mehr polarisiere. Die Mehrheit der Bevölkerung ist gegen die Versammlung. Nach einer Umfrage des Instituts Datanálisis lehnen 66,5 Prozent die Pläne ab. Diese Unzufriedenheit macht sich die MUD zunutze und versucht, eigene staatliche Strukturen zu schaffen.

Die Mehrheit traut Maduro nicht

Sie hat eine „Regierung der Nationalen Einheit“ einberufen, hat durch das oppositionelle Parlament eigene Richter für das Oberste Gericht benannt, von denen inzwischen drei aber festgenommen wurden. Vor knapp zwei Wochen haben angeblich 7,2 Millionen Venezolaner, also rund ein Drittel aller Wahlberechtigten, in einem symbolischen Referendum gegen Maduro und seine Pläne gestimmt.

Dieses Votum des Misstrauens hat die Opposition in eine Art Regierungsauftrag umgedeutet. Auch das ist mit demokratischen Regeln nur bedingt vereinbar. Aber vielleicht muss man in einem Land wie Venezuela zu solchen Mitteln greifen, wenn die Regierung beharrlich das Recht beugt und sich an die Macht klammert. Doch die Mehrheit der Venezolaner traut weder Maduro noch der MUD. Wenn die Opposition umfassende Glaubwürdigkeit besäße, wäre der Staatschef schon längst gestürzt.