Berlin. Erdogan dreht weiter an der Eskalationsschraube. Ihm gut zuzureden, nützt nichts. Deutschland und die EU müssen entschlossen handeln.

Keine Frage: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan dreht an der Eskalationsschraube. Mit der Inhaftierung von sechs Menschenrechtlerndarunter der Berliner Peter Steudtner – hat Erdogan zwei Signale ausgesandt. Nach innen will er ein Exempel statuieren nach dem Motto: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Jedwede Kritik, jedwedes Hinterfragen des präsidialen Herrschers enden zwangsläufig hinter Gefängnisgittern. Das ist die Logik von Despoten und Diktatoren.

Nach außen heißt die Botschaft, dass sich die Türkei um internationale Vereinbarungen nicht schert. Bereits die Absage des Besuchs von Bundestagsabgeordneten im anatolischen Nato-Stützpunkt Konya, wo deutsche Soldaten einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den islamistischen Terror leisten, geht in diese Richtung.

Erdogan setzt sich über alle demokratischen Regeln hinweg

Erdogan weiß natürlich, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist. Doch er setzt sich in seinen Allmachtsphantasien über alles hinweg, was in der westlichen Staatengemeinschaft als demokratisches Reglement gilt.

Diese Brüskierung hat eine neue Qualität. Erdogans verbale Entgleisungen in der Vergangenheit konnten noch als Abwehrreflexe des beleidigten Sultans gedeutet werden. Dazu gehört auch der stilistische Mini-Eklat, als der Präsident beim G20-Gipfel in Hamburg das Konzert in der Elbphilharmonie schwänzte, um im Hotel mit seinen Ministern zu reden. Eine billige Revanche, weil ihm die Bundesregierung einen Propaganda-Auftritt vor seinen Landsleuten nicht gestattet hatte.

Erdogan gut zuzureden, ist der falsche Weg

Es hilft nichts, Erdogan gut zuzureden – nach dem Motto, irgendwann wird er sich schon beruhigen. Das Gegenteil ist richtig. Der türkische Präsident wird immer weiter seine Grenzen austesten. Man muss sich mittlerweile die Frage stellen, was als Nächstes kommt.

Werden bald Mitarbeiter von deutschen Stiftungen in der Türkei festgenommen? Wird Ankara gar einen amoralischen Kuhhandel fordern: die Auslieferung eines türkischen Offiziers, dem in Deutschland Asyl gewährt wurde, gegen den inhaftierten „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel?

Touristen meiden Türkei bereits als Urlaubsziel

Nein, die Zeit der Geduld ist zu Ende. Deutschland und die Europäische Union müssen nun Taten folgen lassen. Die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei sollten in aller Form eingestellt werden. Auch die Visa-Liberalisierung macht in Zeiten von Massenverhaftungen keinen Sinn.

Der wirksamste Hebel ist vermutlich wirtschaftlicher Druck. Eine Ausweitung der Zollunion auf Dienstleistungen und Agrarprodukte passt nicht in die Landschaft. Beim Tourismus spürt die Türkei bereits die Abstimmung der Verbraucher. Immer mehr Urlauber meiden das Land, in dem die Menschenrechte mit Füßen getreten werden.

Kremlchef Wladimir Putin hat es vorgemacht. Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch Ankara im November 2015 hatte er einen Reise-Stopp in die Türkei und ein Importverbot für landwirtschaftliche Güter verhängt. Erdogan erging sich zuerst in Schimpf-Tiraden, drehte später jedoch bei und entschuldigte sich.

Nato geht zu lax mit der Türkei um

Schließlich würde auch nicht schaden, wenn die Nato Klartext reden würde. Das Bündnis wurde einmal als Wertegemeinschaft gegründet, die stolz auf die rechtsstaatlichen Standards der Mitgliedsstaaten ist. Bislang war der Generalsekretär der Allianz, Jens Stoltenberg, zu wachsweich. Glaubwürdig ist das nicht.

Dies ist keine Garantie, dass Erdogan zur Vernunft kommt. Nicht auszuschließen, dass er sich in der Wagenburg verschanzt und noch stärker nationalistische Stimmungen schürt. Zuschauen und Gesundbeten können aber nicht die Alternativen sein.