Berlin. Merkel spricht von einem „überfallartigen Verfahren“ der SPD bei der „Ehe für alle“. Doch sie stellt der Union die Entscheidung frei.

Wenn du keine Chance hast, dann nutze sie. Getreu diesem Motto geht SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz am Dienstagmorgen in die Vollen: Schulz tritt mit den sieben SPD-Ministern der großen Koalition vor die Presse. Eigentliches Thema ist die „Regierungsarbeit der SPD – Bilanz und Ausblick“, ein inhaltlicher Nachklapp des Parteitages von Dortmund soll es werden. Schulz hatte mit Bundeskanzlerin Angela Merkel sogar noch am Vortag telefoniert. Es ging um vier ausstehende Gesetzesvorhaben. Die CDU-Vorsitzende und der SPD-Chef verabredeten, die Koalition anständig zu Ende zu führen.

Doch da fällt Schulz am späteren Montagabend aus seiner Sicht ein Geschenk in den Schoß. Merkel schwenkt bei der „Ehe für alle“ um, spricht auf einmal von einer Gewissensfrage. Schulz, Vizekanzler Sigmar Gabriel und Fraktionschef Thomas Oppermann sind sich einig: Auf einmal gibt es eine Möglichkeit, Merkel als Taktikerin der Macht vorzuführen, sie in den eigenen Reihen in Bedrängnis zu bringen. Am frühen Dienstagmorgen spricht Oppermann seinen Unionskollegen Volker Kauder (CDU) nach dem Gottesdienst zu Ehren des verstorbenen Kanzlers Helmut Kohl an. Man werde Merkels Ansatz aufgreifen und die Abstimmung in dieser Woche anstreben.

Die SPD hatte das Thema mehrfach angestoßen

Frau Merkel habe „in der ihr eigenen Art einen Move gemacht“, sagt Schulz, „und wir nehmen sie jetzt beim Wort“. Oder, wie Thomas Oppermann es später ausdrückt: „Der Ball liegt auf dem Elfmeterpunkt. Und der Torwart ist nicht mal drin. Da muss man ihn reinmachen.“ Die SPD-Spitze hatte das Thema in der gemeinsamen Zeit mehrfach aufs Tapet gebracht. Schulz sagt, er habe die „Ehe für alle“ am 29. März im Koalitionsausschuss aufgerufen. Merkel soll ihm geantwortet haben: Vergessen Sie es.

Ehe vs. "eingetragene Lebenspartnerschaft" - Das sind die Unterschiede

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    Vizekanzler Gabriel schrieb Merkel bereits im November 2015 einen Brief und bat, „gesellschaftliche Realitäten nun endlich anzuerkennen“. Auch er will es jetzt wissen: „Madame, geben Sie Gewissensfreiheit, und zwar jetzt“, zitiert er aus Friedrich Schillers „Don Carlos“. Justizminister Heiko Maas sagt unserer Redaktion, ein solches Gesetz sei ein „Meilenstein auf dem Weg zu einem modernen Recht für eine moderne Gesellschaft“. Die Aktion traf die Union nach eigener Aussage unvorbereitet. Ihr eigentlicher Plan, die Gewissensfreiheit bei der Öffnung der Ehe bei der Vorstellung des Wahlprogramms am kommenden Montag anzusprechen und als Projekt für die nächste Legislatur anzugehen, ist durchkreuzt. Man ist brüskiert.

    SPD will gemeinsam mit den Linken und Grünen stimmen

    Der gemeinsame Koalitionsvertrag schließt wechselnde Mehrheiten aus. Die SPD-Spitze versichere zwar, die Koalition nicht brechen zu wollen. Doch formal plane sie, mit den Grünen und der Linken die Union vorzuführen, so die Stimmung in der Union. Das mache man unter Partnern nicht, denn die komplexe Öffnung der Ehe, die möglicherweise eine Verfassungsänderung nach sich zieht, birgt für viele in der Union nicht nur einen Gewissenkonflikt, sondern auch einen Konflikt mit ihrer Basis.

    Merkel spricht in der Sitzung der Unionsfraktion am Dienstagnachmittag dann auch von einem „überfallartigen Verfahren“. Es wäre besser gewesen, „wenn man das in Ruhe debattiert hätte“. Doch Merkel macht auch klar: Bei der Abstimmung wird sie ihren Abgeordneten freistellen, wie sie sich verhalten. Kauder jedenfalls macht gute Miene zum bösen Spiel. Grinsend begrüßt er im Fraktionssaal Abgeordnete mit der Frage: „Will you marry me?“

    Ministerin trägt schon eine Regenbogenfahne an der Jacke

    Die Grünen wiederum können es kaum fassen. Dreißigmal haben sie versucht, die „Ehe für alle“ durchzusetzen. „Nach einem Liedtext würde man sagen: Dreißigmal berührt, dreißigmal ist nichts passiert. Jetzt kommt die Bundeskanzlerin und sagt, das sei nun eine Gewissensentscheidung. Das will ich dann auch sehen, dass wir in dieser Woche nach dem Gewissen im deutschen Bundestag darüber entscheiden“, sagt Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt.

    SPD-Frauenministerin Katarina Barley steckt sich jedenfalls schon mal einen Pin in Regenbogenfahnen an die Jacke – es ist das Symbol der Schwulen- und Lesbenbewegung

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