Berlin/Hamburg. Sorge vor Gewalt gegen Demonstranten beim G20-Treffen. Sechs Staaten beantragten eine Waffenerlaubnis. Was dürfen die Leibwächter?

  • Vor dem G20-Gipfel haben sich deutsche Behörden gezielt an Leibwächter des türkischen Präsidenten Erdogan gerichtet
  • Übergriffe von Personenschützern etwa auf Demonstranten wolle man keinesfalls dulden
  • Erdogans Bodyguards waren wegen Übergriffen in den USA in die Kritik geraten

Vor einigen Tagen nahm die Polizei in Washington zwei Männer fest. Eyup Y. und Sinan N. sind türkische Staatsbürger – und Anhänger von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Als Erdogan Mitte Mai in Washington zu Besuch ist, kommt es zu Übergriffen. Sicherheitsleute des Präsidenten gehen auf Demonstranten los. Die US-Polizisten sind überfordert, können die Männer nicht stoppen, selbst als sie einzelne am Boden liegende Protestler treten. Auch Eyup Y. und Sinan N. sollen bei den Krawallen mitgemischt haben. Verbindungen zwischen den beiden Männern und den türkischen Sicherheitsleuten lassen sich nach Berichten amerikanischer Medien nicht nachweisen.

Die US-Polizei ermittelt zudem gegen zwölf Leibwächter aus Erdogans Delegation: neun Agenten der türkischen Sicherheitsbehörden, drei türkische Polizisten. Der türkische Präsident rechtfertigte den Angriff seiner Leute auf die Demonstranten damit, dass die US-Behörden ihn unzureichend geschützt hätten.

Furcht vor Gewalt von Erdogan-Anhängern und Gegnern

Der Vorfall zeigt: Nicht nur auf Gewalt-Aktionen linker Militanter während des G20-Gipfels Anfang Juli in Hamburg bereitet sich die deutsche Polizei vor. Auch auf Übergriffe von Erdogan-Unterstützern auf Gegner des Autokraten kalkulieren die Vertreter in Bund und in Hamburg in ihre Lagebilder ein. Im Vorfeld des Gipfeltreffens wendeten sich die deutschen Behörden offenbar mit Nachdruck an die türkische Seite. Es sei „Vorsorge dafür getroffen worden, dass es in Deutschland nicht zu solchen Vorfällen kommen kann“, heißt es aus Regierungskreisen dazu auf Nachfrage dieser Redaktion. Die Leibwächter einzelner ausländischer Delegationen seien „international bekannt für ihr robustes Vorgehen“, sagen manche Polizisten aber auch Regierungsbeamte in Hamburg und im Bund. Welche Maßnahmen die deutsche Regierung mit Bezug auf die türkische Delegation genau getroffen hat, ließ das Auswärtige Amt auf Nachfrage offen.

In der vergangenen Woche hatten Vertreter der Bundesregierung die Abgeordneten des Bundestags über die Sicherheitslage vor dem G20-Treffen in Hamburg unterrichtet. Ein Teilnehmer berichtet dieser Redaktion, dass deutsche Sicherheitsbehörden die Personalien der angemeldeten Leibgarde von Erdogan überprüft hätten. Ob konkrete Einreiseverbote durch das Auswärtige Amt gegen einzelne Personenschützer ausgesprochen wurden, bleibt offen.

Auch das Bundeskriminalamt (BKA) habe der türkischen Seite kürzlich klargemacht, dass Übergriffe von Sicherheitskräften keinesfalls geduldet würden, heißt es in einem Bericht der „Welt am Sonntag“. Zu möglichen Übergriffen zitiert die Zeitung aus einem internen Lagebericht der Bundesamtes für Verfassungsschutz. Hamburg drohe zu einem „Tummelplatz“ zu werden, auf dem sich Erdogan- und Trump-Gegner, kurdische Gruppierungen sowie Links- und Rechtsextremisten Straßenschlachten liefern könnten.

Polizei: Allermeisten Demonstrationen werden friedlich verlaufen

Insgesamt sind 27 Demonstrationen rund um die beiden Gipfeltage am 7. und 8. Juli angemeldet. Hunderttausende wollen friedlich gegen das umstrittene Treffen der 20 großen Industrienationen und deren Politik protestieren. Die deutschen Sicherheitsbehörden rechnen wenige Tage vor dem G20-Gipfel allerdings auch mit mehreren Tausend gewaltbereiten Demonstranten, die aus dem In- und Ausland nach Hamburg anreisen könnten. Es gibt mehrere Lagebilder, die je nach Erkenntnislage über die Mobilmachung laufend aktualisiert werden. In manchen ist nach Information dieser Redaktion die Rede von bis zu 8000 militanten Linksextremisten, in anderen von mehr als 10.000, die in Hamburg erwartet werden.

Demonstranten protestieren in Hamburg gegen die zentrale Gefangenensammelstelle (GeSa) während des G20-Gipfels.
Demonstranten protestieren in Hamburg gegen die zentrale Gefangenensammelstelle (GeSa) während des G20-Gipfels. © dpa | Markus Scholz

Der Grad der Mobilisierung in der linken Szene und im Internet sei höher als für den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007. Das gilt allerdings vor allem für linksautonome Gruppen. Die Szene dreht Videos und ruft zu militanten Aktionen auf. Kurden und ihre Vertreter verweisen dagegen darauf, dass in der eigenen „Community“ bisher nur wenig geworben wird für die Proteste in Hamburg – und dass es gewaltfrei bleiben soll. Im Vorfeld des umstrittenen Referendums in der Türkei im April hatten deutsche Sicherheitsbehörden ebenfalls vor Ausschreitungen zwischen Erdogan-Anhängern und Gegnern in Deutschland gewarnt. Am Ende blieb es aber auf zahlreichen friedlichen Kundgebungen ruhig.

Kurden können schnell mobilisieren

Dass sich etliche kurdische Gruppen an den Demonstrationen gegen das G20-Treffen beteiligen werden, ist trotz geringer Mobilisierung sicher. Ein hoher Sicherheitsbeamter sagt im Gespräch mit dieser Redaktion: „Die kurdische Szene ist stark hierarchisch organisiert. Die brauchen keinen langen Vorlauf, um zu mobilisieren.“ 14.000 Mitglieder der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zählt der Verfassungsschutz in Deutschland. Gleichzeitig agieren in Deutschland mehrere Tausend türkische Rechtsextreme in verschiedenen Organisationen etwa der „Ülkücü“-Bewegung. Auch sie seien straff organisiert.

Auf Seiten von Polizei und Verfassungsschutz herrscht trotz der Lagebilder Unsicherheit, welche Protestgruppen sich am Ende in Bus, Auto oder Bahn in Richtung Hamburg aufmachen. Die Zahlen zur Militanz des Protests sind eher Korridore, berufen sich auf Beobachtung der Szene, sind aber in Teilen nur Schätzungen. Und diese Zahlen sind immer auch politisch: Auf ihrer Basis begründen die Sicherheitsbehörden, der Hamburger Senat und die Bundesregierung die Größe des Polizeieinsatzes, der nach ersten Schätzungen mindestens rund 130 Millionen Euro kosten dürfte. Gleiches gilt für die Aussagen der autonomen Szene: Auch sie wollen möglichst hohe Teilnehmer-Zahlen nennen, um die Szene mobil zu machen, und drohen mit dem „größten schwarzen Block der Geschichte“. Zuletzt mussten die G20-Gegner ihre Angaben zu erwarteten Protesten teilweise jedoch deutlich nach unten korrigieren.

15.000 Polizisten, Scharfschützen, Sonderkommandos

Die Zahl der Polizisten wurde in den vergangenen Monaten dagegen mehrmals erhöht – auf aktuell 15.000 Beamte, darunter Spezialkommandos, Scharfschützen, gepanzerte Fahrzeuge. Dazu kommen knapp 4000 Bundespolizisten und 1000 Beamte des BKA für den Personenschutz der Staats- und Regierungschefs. Vor allem die Konvoi-Fahrten der Delegationen von Flughafen und Hotel zum Tagungsort in den Messenhallen bereiten den Beamten Sorgen. Hier bereiten sie sich auf Stör-Aktionen oder sogar Blockaden durch Demonstranten vor.

„Die Schwelle des Eingreifens durch die Polizei wird sehr niedrig sein“, sagen mehrere Vertreter der Sicherheitsbehörden. Es wäre brisant, käme ein Konvoi von Erdogan oder Trump bei der Fahrt durch die Stadt zum Stehen: nicht so sehr wegen möglicher militanter Linksextremisten, sondern vor allem wegen der erhöhten Anschlagsgefahr auf einen Präsidenten-Konvoi, der nicht mehr mobil ist.

Anträge auf das Tragen von Waffen

Die Konvois der Staatschefs werden von der Hamburger Polizei eskortiert. Einzelne Beamte des BKA werden dabei sein – sowie die ausländischen Sicherheitsleute. Bisher sind beim Bundesverwaltungsamt (BVA) in Bonn insgesamt neun Anträge von Teilnehmer-Staaten und Organisationen zum Tragen von Waffen ihres Personals während der Gipfeltage in Deutschland eingegangen. Darunter Mexiko, Südafrika, USA, Vietnam, Großbritannien, Niederlande. Das teilte das Amt auf Nachfrage dieser Redaktion mit. In zwei Fällen gebe es doppelte Anträge, da Personal der Delegation ausgetauscht worden sei.

Auch die Vertreter des „Internationalen Währungsfonds“ (IWF) haben demnach für ihre Sicherheitsleute diese Waffentrageerlaubnis beantragt. Alle Anträge seien bisher genehmigt worden. Auch deutsche, türkische oder russische Leibwächter der Regierungsvertreter tragen im Ausland Waffen, so auch beim Gipfel in Hamburg. Für Delegationen aus dem Ausland gilt: „Erfahrungsgemäß werden entsprechende Anträge ein bis zwei Wochen vor der Veranstaltungen gestellt“, heißt es beim BVA.

Leibwächter genießen Diplomaten-Status

Leibwächter und Personen etwa des türkischen Geheimdienstes oder des amerikanischen „Secret Service“ genießen in Deutschland Diplomaten-Status. Im Ernstfall ist es für die deutsche Justiz sehr schwierig, Straftaten einzelner Personen zu verfolgen. Polizeiliche Sonderrechte haben die ausländischen Sicherheitsleute jedoch während ihres Einsatzes in Deutschland nicht, sondern lediglich „Notwehrrechte“ wie jeder andere Bürger. „Für die Sicherheit sorgt vor allem die deutsche Polizei“, sagt Sascha Braun, Rechtsexperte der Gewerkschaft der Polizei (GdP), dieser Redaktion.

„Sie eskortiert die Präsidenten-Kolonne etwa vom Flughafen zum Tagungsgelände, und setzt sich mit möglichen Störungen wie Sitzblockaden durch Gegendemonstranten auseinander.“ Ein direktes Aufeinandertreffen von ausländischen Sicherheitsleuten mit Protestlern, wie etwa zuletzt bei den Ausschreitungen während des Erdogan-Besuchs in Washington, hält Braun für unwahrscheinlich. Wenn ein Staatschef jedoch attackiert wird, müssen sie eingreifen. Und können dies im Extremfall auch mit Waffengewalt tun.