Berlin/Hamburg. Anfang Juli steigt in Hamburg das G20-Treffen – mitten in Hamburg. Sicherheitsbehörden sind alarmiert. Sie erwarten Tausende Autonome.

  • Zum G20-Treffen in Hamburg kommen 35 Staatschefs.
  • Sicherheitskreise rechnen mit 10.000 gewaltbereiten Demonstranten.
  • Allein für Sicherheitsmaßnahmen erhält die Stadt 50 Millionen Euro.

Als an einem Juli-Abend 2001 in der Innenstadt von Genua Schüsse fielen, war die Lage in der italienischen Metropole längst außer Kontrolle. Der militante Demonstrant Carlo Giuliani war mit einem Feuerlöscher in der Hand auf einen parkenden Polizeiwagen zugestürmt. Der 20 Jahre alte Carabiniere Mario Placanica hatte Angst, schoss und traf Giuliani in den Kopf. Viele Tausend Menschen aus ganz Europa und den USA protestierten in diesen Tagen gegen den G8-Gipfel, ein jährliches Treffen der Regierungschefs von acht großen Industriestaaten, die meisten friedlich.

Doch in den Gassen, zwischen den Wohnblöcken und auf den Plätzen Genuas trafen auch gewalttätige Autonome auf Hundertschaften der Polizei. Die italienischen Sicherheitsbehörden reagierten mit Gewalt auf Gewalt, wurden für ihren Einsatz von Gerichten verurteilt. Seitdem gilt in Sicherheitskreisen die Devise: Große Treffen dieser Art, mitten in einer Metropolen, sind ein hohes – ein schwer zu kalkulierendes Risiko, das es möglichst zu vermeiden gilt.

Anfang Juli findet nun der G20-Gipfel in Hamburg statt. Die Messehallen liegen 200 Meter Luftlinie entfernt von der „Roten Flora“, einem der größten Zentren der linksautonomen Szene in Deutschland. Ein Kriminalbeamter sagt: „Eine größere Provokation der Autonomen ist kaum denkbar.“

Trump, Erdogan, Putin – die großen Feindbilder kommen

Die insgesamt 35 Staatschefs mit bis zu 20.000 Delegierten und Unterhändler tagen wieder in einer europäischen Großstadt. US-Präsident Trump wird erwartet, Recep Tayyip Erdogan aus der Türkei, Wladimir Putin aus Russland. Für die Gegner der Industriestaaten gibt es derzeit wenig größere Feindbilder. Sicherheitskreise rechnen nach Informationen dieser Redaktion mit mehr als 10.000 gewaltbereiten Demonstranten aus dem In- und Ausland, die nach Hamburg reisen.

In den Lagebildern der Hamburger Polizei ist von „bis zu 8000“ Militanten die Rede. Die Zahl steigt seit Frühjahr von Monat zu Monat. „Im schlimmsten Fall könnte Lebensgefahr für Demonstrationsteilnehmer bestehen, wenn Gewalt der Proteste eskaliert“, heißt es. Die Behörden schließen „gezielte Anschläge“ auf Polizisten und Gipfel-Teilnehmer nicht aus.

Spezialeinheiten und demofreie Zone beim G20-Gipfel in Hamburg

weitere Videos

    Derzeit haben die Behörden bereits mehrere Dutzend angemeldete Reisebusse im Visier, mit denen auch Gewaltbereite nach Hamburg anreisen, heißt es aus Sicherheitskreisen zudem. Möglich sei aber auch, dass militante Autonome aus Leipzig, Berlin oder Freiburg auf Aktionen in ihren Heimatstädten setzen, etwa auf Institutionen oder Unternehmen, die als Feindbilder gesehen werden.

    Wer sich am Ende von den vielen Tausend Gipfelgegnern in Europa und Deutschland tatsächlich in ein Auto oder den Zug in Richtung Hamburg setzt, bleibt trotz Überwachungsmaßnahmen für die Sicherheitsbehörden undurchsichtig. Die Polizei muss mit Zahlenkorridoren arbeiten, vieles bleibt eine Schätzung.

    15.000 Polizisten in ganz Hamburg

    Nach der Eskalation in Genua 2001 ist vieles passiert: Konzepte des sogenannten „Summit Policing“ wurden überarbeitet, die Ausgaben zur Sicherung der Treffen erhöht, G20-Gipfel fanden wieder in Städten wie London, Seoul und St. Petersburg statt. 15.000 Polizisten sollen in Hamburg mögliche Gewalt von G20-Gegnern unterbinden, zudem mehrere Tausend Beamte des Bundeskriminalamts. Die Beamten sind beispiellos gut ausgerüstet: Mehr als 3000 Einsatzfahrzeuge, 153 auswärtige Diensthunde sowie 62 Pferde sollen den Gipfel absichern, dazu Spezialkommandos, Scharfschützen, und auch Einsatzkräfte aus Österreich und den Niederlanden kommen zu Hilfe.

    Der Einsatz der italienischen Polizei damals in Genua gilt als eklatantes Negativ-Beispiel und die Arbeit der deutschen Sicherheitskräfte als deutlich professioneller. Und doch äußern sowohl einzelne Polizisten als auch ranghohe Sicherheitsleute ihre Bauchschmerzen über den Polizeieinsatz im Juli in Hamburg. Eigentlich gebe es strategisch kaum einen schlechteren Ort, sagte selbst der Einsatzleiter Hartmut Dudde einst in einem Interview. Heute formuliert er es lieber vorsichtiger: „Wir haben nicht zu kommentieren, was die Bundeskanzlerin entscheidet.“ Inzwischen habe er das Gefühl, Hamburg sei gut vorbereitet.

    Kampf gegen Armut und Fluchtursachen

    In den vergangenen Jahren suchten die Regierenden in Berlin für ihre G8- oder G7-Gipfeltreffen abgelegene Orte wie das Ostseebad Heiligendamm oder das Schloss Elmau in den bayerischen Bergen aus. Nun aber Hamburg, Messehallen, direkt im linksalternativ geprägten Stadtviertel.

    Die Bundesregierung rechtfertigt die Entscheidung damit, dass die vielen Tausend Teilnehmer nicht in Orten wie Heiligendamm Platz gefunden hätten, anders als beim kleineren G8-Gipfel. Auch vergangene G20-Treffen waren ausnahmslos in Großstädten. Hamburg sei zudem durch den Handel und den Hafen eine „weltoffene Stadt“, wie gemacht für einen Gipfel, in dem die Nationen ihren Kampf gegen Armut und Klimawandel verbessern wollen. Es geht um Terrorismus-Bekämpfung und das Engagement gegen den Hunger, um den globalen Handel und Transparenz von Steuersystemen.

    G20: Polizei Hamburg über größten Einsatz ihrer Geschichte

    weitere Videos

      Neben den USA, Russland, China und Deutschland sind auch Staaten wie Indien, Südafrika oder Mexiko dabei. Doch die Kritik an dem Treffen ist groß, für viele ist der Gipfel auch ein Anlass zum Protest gegen die Politik der großen Nationen. In Hamburg sind in den Tagen des Treffens 27 Demonstrationen angemeldet, es werden Hunderttausend Menschen erwartet. Fünf Protestmärsche hält die Hamburger Polizei für problematisch. Dort erwarten sie Ausschreitungen durch Autonome.

      Mindestens 130 Millionen Euro Kosten

      48,8 Millionen Euro sind im Etat des Auswärtiges Amts für die Organisation des Gipfels abgebucht. 50 Millionen Euro erhält Hamburg vom Bund pauschal für die Sicherheitsmaßnahmen. Und die Bundesregierung

      Auch interessant

      für den Einsatz von Polizei und Hilfskräften. Davon entfallen allein 20,8 Millionen Euro für zusätzliches Personal, die Unterbringung und den Transport der Bundespolizei; 9,6 Millionen Euro für die Kräfte des Bundeskriminalamtes (BKA) sowie 1,6 Millionen Euro für den Einsatz des Technischen Hilfswerks (THW). Das geht aus einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion hervor, die dieser Redaktion vorliegt.

      Zusätzlich zu den ohnehin laufenden Personalkosten sind allein zehn Millionen Euro für die Unterbringung von Bundespolizisten während der Tagungen vorgesehen. 5000 Bundespolizisten sind nach Angaben von Sicherheitskreisen in und um Hamburg an den Gipfel-Tagen Anfang Juli im Einsatz, davon unterstützen rund 1.100 Beamte das BKA beim Schutz der Tagung und der Hotels, in denen die Gäste untergebracht sind. Mehrkosten für das Personal betragen nur für die Bundespolizei rund zwei Millionen Euro.

      Für Mitarbeiter des BKA kalkuliert das BMI laut Bundesregierung 5,5 Millionen Euro Kosten für die Unterbringung sowie 3,9 Millionen Euro für Einsatzkosten und Transport. Bei der Bundespolizei liegen die Mehrkosten für den Einsatz sogar bei 8,8 Millionen Euro. Am 7. und 8. Juli findet in Hamburg der Gipfel der G20-Staaten statt. Im Vorfeld gibt es zudem mehrere Ministertreffen, für die ein Teil der anfallenden Kosten ausgegeben wird.

      Tritt die linke Szene geschlossen auf?

      Kritik an der Millionen-Tagung in Hamburg kommt von den Grünen. Innenexpertin Irene Mihalic sagte dieser Redaktion: „Die Antwort der Bundesregierung macht noch einmal deutlich, wie sehr der Gipfel auch bei den Bundesbehörden Kapazitäten binden wird.“ Angesichts der vielfältigen Aufgaben der Sicherheitsbehörden sei das „sehr kritisch, und Hamburg ist daher als Austragungsort des Gipfels von Anfang an zu Recht kritisiert worden.“

      Verfassungsschützer und Polizei sorgen sich auch vor Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Anhängern des türkischen Präsidenten während der Tage in Hamburg. Bisher aber ist die Mobilisierung etwa in der kurdischen Szene gering. Vor allem die Linksautonomen, Globalisierungsgegner, Umweltschützer, Anti-Imperialisten und Kommunisten machen mobil. „Stärker als etwa zum Gipfel in Heiligendamm 2008“, heißt es in Sicherheitskreisen. Die linke Szene in Europa und Deutschland ist in etliche politische und autonome Gruppen zersplittert, teilweise sind sie sogar zerstritten. Die Feindbilder Trump und Erdogan könnten die Gruppen jedoch einen.

      Vor dem Gipfel ist es ruhig - zu ruhig?

      In Teilen auch der härteren Szene ist Protest mit militanten Aktionen umstritten oder wird abgelehnt. Bei anderen Gruppen gehört Gewalt zum Protest. In Deutschland zählt der Verfassungsschutz 8000 gewaltbereite Linksautonome, etwa 900 in Hamburg. Vor allem aus Skandinavien, Großbritannien, aber auch den USA erwarten die Sicherheitsbehörden militante Gegendemonstranten. Bisher zählte die Polizei bundesweit 80 Delikte, die als Protestaktionen gegen den Gipfel gewertet wurden, darunter einzelne Brandanschläge auf Autos in Hamburg, aber auch Farbbeutel-Attacken und vor allem Sachbeschädigung.

      Und dennoch verhalte sich die Szene derzeit zumindest ruhiger, als Polizisten und Innenpolitiker erwartet hatten. Auffällig ruhig, sagen manche Ermittler sogar. Die Angriffe etwa gegen Polizeiwachen im Vorfeld des Gipfels sind teilweise heftig, aber doch überschaubar. Die Militanten hielten sich dieses Jahr auch bei den Demonstrationen zum 1. Mai zurück. Sicherheitsleute halten das durchaus für Taktik. Unter den Autonomen haben sie einen Aufruf entdeckt. Man solle der Polizei im Vorfeld „keine Chance zum Üben“ geben, heißt es darin. Die Szene setzt alles auf die Tage im Juli in Hamburg.