Ankara. Er hat schon einiges weggesteckt, vom Berufsverbot bis zur Haftstrafe. Nun steht Präsident Erdogan vor seinem größten politischen Coup.

Politisch Totgesagte leben länger. Dafür gibt es kein besseres Beispiel als Recep Tayyip Erdogan. Beim Verfassungsreferendum hat der türkische Staatschef auf Zustimmung der Wähler zu seinem geplanten Präsidialsystem gehofft. Und so wie es aussieht, hat er die auch bekommen. Das neue System wird Erdogans Machtfülle massiv erweitern und seine Stellung an der Staatsspitze zementieren – möglicherweise bis weit in die 2030er Jahre hinein.

Dabei wurde Erdogan von seinen Gegnern immer wieder abgeschrieben. Was hat der 63-Jährige nicht schon alles weggesteckt: eine Haftstrafe und ein politisches Berufsverbot wegen islamistischer Hetze, eine schwere Krankheit, Zweifel an seinem akademischen Grad, die landesweiten Massenproteste vom Sommer 2013, die wenige Monate später aufgekommen Korruptionsvorwürfe und den Putschversuch vom Juli 2016.

Türken stimmen für Präsidialsystem

Am Sonntag stand die Türkei vor einer wegweisenden Entscheidung: für oder gegen ein Präsidialsystem, das Präsident Recep Tayyip Erdogan mehr Macht verleiht. Das Volk entschied zugunsten des Staatschefs.
Am Sonntag stand die Türkei vor einer wegweisenden Entscheidung: für oder gegen ein Präsidialsystem, das Präsident Recep Tayyip Erdogan mehr Macht verleiht. Das Volk entschied zugunsten des Staatschefs. © dpa | Dha - Depo Photos
Seit Sonntagmorgen waren die Wahllokale geöffnet. Etwa 55,3 Millionen Wahlberechtigte waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Im Ausland waren zusätzlich 2,9 Millionen Türken zur Wahl zugelassen.
Seit Sonntagmorgen waren die Wahllokale geöffnet. Etwa 55,3 Millionen Wahlberechtigte waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Im Ausland waren zusätzlich 2,9 Millionen Türken zur Wahl zugelassen. © dpa | Michael Kappeler
„Evet“ (Ja) oder „Hayir“ (Nein) – Darüber haben die Türken per Wahlzettel abgestimmt.
„Evet“ (Ja) oder „Hayir“ (Nein) – Darüber haben die Türken per Wahlzettel abgestimmt. © dpa | Michael Kappeler
Ein Wähler gibt in einem Wahllokal in Diyarbakir seinen Fingerabdruck. Die Millionenstadt wird überwiegend von Kurden bewohnt.
Ein Wähler gibt in einem Wahllokal in Diyarbakir seinen Fingerabdruck. Die Millionenstadt wird überwiegend von Kurden bewohnt. © dpa | Emre Tazegul
Auch Präsident Erdogan hat in einem Wahllokal in seiner Heimatstadt Istanbul seine Stimme abgegeben.
Auch Präsident Erdogan hat in einem Wahllokal in seiner Heimatstadt Istanbul seine Stimme abgegeben. © dpa | Lefteris Pitarakis
Gemeinsam mit seiner Frau Emine und im Beisein seiner Enkelin Mahinur nahm der türkische Präsident an der Abstimmung teil.
Gemeinsam mit seiner Frau Emine und im Beisein seiner Enkelin Mahinur nahm der türkische Präsident an der Abstimmung teil. © dpa | Lefteris Pitarakis
Nach der Stimmabgabe wurde Präsident Erdogan von seinen Anhängern freudig in Empfang genommen.
Nach der Stimmabgabe wurde Präsident Erdogan von seinen Anhängern freudig in Empfang genommen. © dpa
Das Präsidialsystem, für dessen Einführung bei dem Verfassungs-Referendum eine knappe Mehrheit votierte, wird Erdogan deutlich mehr Macht verleihen. Die Opposition warnte zuvor vor einer Ein-Mann-Herrschaft.
Das Präsidialsystem, für dessen Einführung bei dem Verfassungs-Referendum eine knappe Mehrheit votierte, wird Erdogan deutlich mehr Macht verleihen. Die Opposition warnte zuvor vor einer Ein-Mann-Herrschaft. © dpa | Michael Kappeler
In Istanbul, Ankara und Izmir – den drei größten Städten des Landes – überwogen die „Nein“-Stimmen. Die türkische Opposition kritisierte Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung und kündigte Einspruch an.
In Istanbul, Ankara und Izmir – den drei größten Städten des Landes – überwogen die „Nein“-Stimmen. Die türkische Opposition kritisierte Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung und kündigte Einspruch an. © dpa | Michael Kappeler
Staatschef Erdogan ließ sich von seinen Anhängern feiern. Das Volk habe eine „historische Entscheidung“ getroffen und der Verfassungsänderung zugestimmt, sagte Erdogan am Sonntagabend in Istanbul.
Staatschef Erdogan ließ sich von seinen Anhängern feiern. Das Volk habe eine „historische Entscheidung“ getroffen und der Verfassungsänderung zugestimmt, sagte Erdogan am Sonntagabend in Istanbul. © dpa | Lefteris Pitarakis
Unterstützer des „Ja“-Lagers zeigten ihre Freude über das Wahlergebnis mit einem Autokorso in Istanbul.
Unterstützer des „Ja“-Lagers zeigten ihre Freude über das Wahlergebnis mit einem Autokorso in Istanbul. © dpa | Emrah Gurel
Erdogan sagte vor begeisterten Anhängern in Istanbul, seine „erste Aufgabe“ werde sein, die Wiedereinführung der Todesstrafe auf die Tagesordnung zu setzen.
Erdogan sagte vor begeisterten Anhängern in Istanbul, seine „erste Aufgabe“ werde sein, die Wiedereinführung der Todesstrafe auf die Tagesordnung zu setzen. © dpa | Emrah Gurel
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Erdogan wollte Profi-Fußballer werden

Kämpfen kann er. Das hat er schon als Junge gelernt im Istanbuler Hafenviertel Kasimpasa, wo man kräftige Ellenbogen und starke Fäuste braucht, um sich zu behaupten. Der Sohn einer aus Georgien eingewanderten Seemannsfamilie verdiente sich sein Taschengeld in den Straßen von Kasimpasa mit dem Verkauf von Limonade und Sesamkringeln.

Eine hoffnungsvolle Karriere als Profi-Fußballer musste Erdogan aufgeben. Sein frommer Vater schickte ihn nicht auf den Rasen sondern auf eine Imam Hatip Schule, ein islamisches Priestergymnasium. Mitschüler gaben Erdogan den Spitznamen „Koran-Nachtigall“ – weil er so schön aus dem Heiligen Buch rezitieren konnte.

Aus islamischen Reformkräften wurde die AKP

Doch den talentierten Vorbeter zog es in die Politik. Seine politische Laufbahn begann er in der islamisch-fundamentalistischen Wohlfahrtspartei, als deren Kandidat er 1994 überraschend die Oberbürgermeisterwahl in Istanbul gewinnen konnte. Er verlor das Amt vier Jahre später mit dem Verbot der Partei. Dann folgten Haft und Politik-Bann.

Türkei-Referendum: So kann Erdogan jetzt durchregieren

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    Ein erster Rückschlag, den Erdogan aber schnell hinter sich ließ. 2001 sammelte er Reformkräfte aus der islamischen Bewegung um sich und gründete die gemäßigt auftretende AKP. Damals befand sich die Türkei in der schwersten Finanzkrise ihrer jüngeren Geschichte, die alten Parteien hatten abgewirtschaftet – ein Glücksfall für Erdogan: Bei den Wahlen vom November 2002 gewann die AKP aus dem Stand heraus die absolute Mehrheit.

    Erdogan wird als „Vater des Wirtschaftswunders verehrt“

    Unter Erdogan ging es in den folgenden Jahren wirtschaftlich steil nach oben. In seinen ersten zehn Regierungsjahren verdreifachte sich das Pro-Kopf-Einkommen. Viele Türken verehren ihn seither als „Vater des Wirtschaftswunders“.

    Ein Hoffnungsträger war Erdogan aber auch für viele Europäer: Mit demokratischen Reformen wie der Abschaffung der Todesstrafe ebnete Erdogan den Weg für Beitrittsverhandlungen. 2004 wurde Erdogan in Berlin als „Europäer des Jahres“ geehrt. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder würdigte die „herausragende staatsmännische Leistung“ des „großen Reformpolitikers“ Erdogan.

    Nun zeigt Erdogan sein wahres Gesicht

    Dass es nun ausgerechnet Erdogan ist, der demokratische Rechte massiv einschränkt und sogar die Todesstrafe wieder einführen will, scheint ein Widerspruch zu sein. Kritiker erklären ihn damit, dass Erdogan jetzt sein wahres Gesicht zeige.

    Die Anlehnung an Europa sei nur ein Instrument gewesen, um unter Berufung auf die Reformforderungen der EU den politischen Einfluss der Militärs zurückzudrängen. Erdogan selbst hatte schon 1998 einen berühmt gewordenen Vers zitiert: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind.“

    Die Karriere von Recep Tayyip Erdogan

    Recep Tayyip Erdogan wurde am 26. Juni 2018 zum zweiten Mal in Folge zum Staatspräsidenten der Türkei gewählt. Zwei Wochen später hat er seinen Amtseid abgelegt und ist auf dem Höhepunkt seiner Macht angekommen. Bilder seiner Karriere.
    Recep Tayyip Erdogan wurde am 26. Juni 2018 zum zweiten Mal in Folge zum Staatspräsidenten der Türkei gewählt. Zwei Wochen später hat er seinen Amtseid abgelegt und ist auf dem Höhepunkt seiner Macht angekommen. Bilder seiner Karriere. © dpa | Lefteris Pitarakis
    Der Mann, der die Geschicke der Türkei bereits seit fast 16 Jahren bestimmt, ist nun nicht mehr nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Seine Vereidigung besiegelte den Umbau des Staates vom parlamentarischen in ein Präsidialsystem. Darauf hatte er jahrelang hingearbeitet. Er kann unter anderem per Dekret regieren, viele Posten im Justizsystem besetzen und seine Vizepräsidenten allein bestimmten. Auch sein Kabinett konnte er ohne Zustimmung des Parlaments ernennen.
    Der Mann, der die Geschicke der Türkei bereits seit fast 16 Jahren bestimmt, ist nun nicht mehr nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Seine Vereidigung besiegelte den Umbau des Staates vom parlamentarischen in ein Präsidialsystem. Darauf hatte er jahrelang hingearbeitet. Er kann unter anderem per Dekret regieren, viele Posten im Justizsystem besetzen und seine Vizepräsidenten allein bestimmten. Auch sein Kabinett konnte er ohne Zustimmung des Parlaments ernennen. © dpa | Uncredited
    Erdogan und seine Ehefrau Emine beim Gebet während der pompösen Zeremonie im Präsidentenpalast nach der Vereidigung am 9. Juli 2018.
    Erdogan und seine Ehefrau Emine beim Gebet während der pompösen Zeremonie im Präsidentenpalast nach der Vereidigung am 9. Juli 2018. © REUTERS | UMIT BEKTAS
    Im Oktober 2004 ehrte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD, r.) einen besonderen Gast: „Ihr Eintreten für mehr Freiheit, einen besseren Schutz der Menschenrechte und weniger staatliche Bevormundung ist für Sie, Herr Ministerpräsident, aber kein Zugeständnis an Europa, sondern es ist Konsequenz Ihrer politischen Überzeugung.“ Die Laudatio galt dem türkischen Regierungschef, der in Berlin zum „Europäer des Jahres“ in der Kategorie „Brücken des Respekts“ gekürt wurde.
    Im Oktober 2004 ehrte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD, r.) einen besonderen Gast: „Ihr Eintreten für mehr Freiheit, einen besseren Schutz der Menschenrechte und weniger staatliche Bevormundung ist für Sie, Herr Ministerpräsident, aber kein Zugeständnis an Europa, sondern es ist Konsequenz Ihrer politischen Überzeugung.“ Die Laudatio galt dem türkischen Regierungschef, der in Berlin zum „Europäer des Jahres“ in der Kategorie „Brücken des Respekts“ gekürt wurde. © picture alliance / Eventpress | dpa Picture-Alliance / Eventpress Herrmann
    Warme Worte, die wohl niemand in der EU mehr mit dem heutigen türkischen Staatspräsidenten verbinden würde. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger scheint Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, l.) kein Lächeln mehr für Erdogan übrig zu haben. Erdogan griff am 13. März 2017 bei einer Veranstaltung in Ankara erneut Bundeskanzlerin Angela Merkel an, die sich im Streit um Auftrittsverbote hinter die Regierung in Den Haag gestellt hatte.
    Warme Worte, die wohl niemand in der EU mehr mit dem heutigen türkischen Staatspräsidenten verbinden würde. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger scheint Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, l.) kein Lächeln mehr für Erdogan übrig zu haben. Erdogan griff am 13. März 2017 bei einer Veranstaltung in Ankara erneut Bundeskanzlerin Angela Merkel an, die sich im Streit um Auftrittsverbote hinter die Regierung in Den Haag gestellt hatte. © dpa | Lefteris Pitarakis
    Nicht nur die Schröder-Laudatio zeigt, was für einen Wandel Erdogan in seiner Karriere durchlaufen hat. Seit Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk hat kein Politiker die Türkei stärker geprägt als der heute 64-Jährige – der bislang aus allen Krisen gestärkt hervorging. In die Wiege gelegt wurde Erdogan der Erfolg nicht. Seine Familie stammt von der Schwarzmeerküste. Erdogan wuchs in einfachen Verhältnissen im Istanbuler Arbeiterviertel Kasimpasa auf.
    Nicht nur die Schröder-Laudatio zeigt, was für einen Wandel Erdogan in seiner Karriere durchlaufen hat. Seit Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk hat kein Politiker die Türkei stärker geprägt als der heute 64-Jährige – der bislang aus allen Krisen gestärkt hervorging. In die Wiege gelegt wurde Erdogan der Erfolg nicht. Seine Familie stammt von der Schwarzmeerküste. Erdogan wuchs in einfachen Verhältnissen im Istanbuler Arbeiterviertel Kasimpasa auf. © REUTERS | REUTERS / UMIT BEKTAS
    Der Film „Reis“ („Anführer“) zeichnet das frühe Leben Erdogans – verkörpert von dem türkischen Schauspieler Reha Beyoglu – nach. Zwar soll das Präsidialamt keinen Einfluss auf den sentimental-kitschigen Streifen genommen haben. Das Image Erdogans, das der Film transportiert, ist aber eines, das auch seine Anhänger pflegen: das eines ebenso gerechten wie gläubigen Menschen, der sich aufopfert, um Benachteiligten zu helfen.
    Der Film „Reis“ („Anführer“) zeichnet das frühe Leben Erdogans – verkörpert von dem türkischen Schauspieler Reha Beyoglu – nach. Zwar soll das Präsidialamt keinen Einfluss auf den sentimental-kitschigen Streifen genommen haben. Das Image Erdogans, das der Film transportiert, ist aber eines, das auch seine Anhänger pflegen: das eines ebenso gerechten wie gläubigen Menschen, der sich aufopfert, um Benachteiligten zu helfen. © REUTERS | REUTERS / MURAD SEZER
    Erst in Kasimpasa, dann von 1994 an als Oberbürgermeister in ganz Istanbul. Diese Aufnahme zeigt Erdogan (Mitte) am 22. April 1998 gemeinsam mit Melih Gokcek (l.) – Bürgermeister von Ankara – und dem türkischen AKP-Politiker Ismail Kahraman in Istanbul.
    Erst in Kasimpasa, dann von 1994 an als Oberbürgermeister in ganz Istanbul. Diese Aufnahme zeigt Erdogan (Mitte) am 22. April 1998 gemeinsam mit Melih Gokcek (l.) – Bürgermeister von Ankara – und dem türkischen AKP-Politiker Ismail Kahraman in Istanbul. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS | AP Content
    Der Film endet 1999 mit Erdogans Verhaftung wegen einer flammenden Rede, in der er ein Gedicht mit dem Vers „Die Minarette sind unsere Bajonette“ zitierte. Nach vier Monaten wurde Erdogan wieder aus der Haft entlassen.
    Der Film endet 1999 mit Erdogans Verhaftung wegen einer flammenden Rede, in der er ein Gedicht mit dem Vers „Die Minarette sind unsere Bajonette“ zitierte. Nach vier Monaten wurde Erdogan wieder aus der Haft entlassen. © REUTERS | REUTERS / Stringer Turkey
    2002 führte der vierfache Familienvater die von ihm mitbegründete islamisch-konservative AKP an die Macht.
    2002 führte der vierfache Familienvater die von ihm mitbegründete islamisch-konservative AKP an die Macht. © REUTERS | REUTERS / Fatih Saribas
    Shaking Hands: Erdogan trifft im Dezember 2002 den damaligen US-Präsidenten George W. Bush im Weißen Haus.
    Shaking Hands: Erdogan trifft im Dezember 2002 den damaligen US-Präsidenten George W. Bush im Weißen Haus. © REUTERS | REUTERS / Kevin Lamarque
    Nur wenige Minuten vermochte sich der Regierungschef im Sattel zu halten, als er bei der Eröffnung eines Stadtparks im Istanbuler Bezirk Bayrampasa am 30. Juli 2003 einen kleinen Ausritt wagte. Das zuvor bereits bockige Pferd warf ihn kurzerhand ab. Erdogan kam ungeschoren davon. Sein Programm habe er nach dem Sturz normal fortgesetzt.
    Nur wenige Minuten vermochte sich der Regierungschef im Sattel zu halten, als er bei der Eröffnung eines Stadtparks im Istanbuler Bezirk Bayrampasa am 30. Juli 2003 einen kleinen Ausritt wagte. Das zuvor bereits bockige Pferd warf ihn kurzerhand ab. Erdogan kam ungeschoren davon. Sein Programm habe er nach dem Sturz normal fortgesetzt. © picture-alliance / dpa/dpaweb | dpa Picture-Alliance / epa
    Im Jahr 2003 übernahm Erdogan das Amt des Ministerpräsidenten. Die Aufnahme zeigt Erdogans Teilnahme an der Zeremonie zum 67. Todestag von Mustafa Kemal Atatürk in Ankara.
    Im Jahr 2003 übernahm Erdogan das Amt des Ministerpräsidenten. Die Aufnahme zeigt Erdogans Teilnahme an der Zeremonie zum 67. Todestag von Mustafa Kemal Atatürk in Ankara. © REUTERS | Umit Bektas
    Rote Nelken gab es im Mai 2014 in Köln während einer Veranstaltung zum zehnjährigen Jubiläum der UETD, der Union Europäisch-Türkischer Demokraten.
    Rote Nelken gab es im Mai 2014 in Köln während einer Veranstaltung zum zehnjährigen Jubiläum der UETD, der Union Europäisch-Türkischer Demokraten. © Getty Images | Sascha Schuermann
    2014 wurde Erdogan der erste direkt vom Volk gewählte Staatspräsident der Republik. Am 28. August 2014 wurde er vereidigt. Die Aufnahme zeigt den vierfachen Familienvater mit seiner Ehefrau Emine (3.v.l.), Schwiegersohn Berat Albayrak (l.), Tochter Esra Erdogan Albayrak (2.v.l.), Sohn Necmeddin Bilal (2.v.r.) und Tochter Sümeyye.
    2014 wurde Erdogan der erste direkt vom Volk gewählte Staatspräsident der Republik. Am 28. August 2014 wurde er vereidigt. Die Aufnahme zeigt den vierfachen Familienvater mit seiner Ehefrau Emine (3.v.l.), Schwiegersohn Berat Albayrak (l.), Tochter Esra Erdogan Albayrak (2.v.l.), Sohn Necmeddin Bilal (2.v.r.) und Tochter Sümeyye. © REUTERS | REUTERS / UMIT BEKTAS
    Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 treibt Erdogan sein Ziel eines Präsidialsystems für die Türkei mit Riesenschritten voran. Diese Aufnahme zeigt Soldaten vor dem Denkmal der Republik am Taksim-Platz in Istanbul. Der Aufstand mit etwa 300 Toten scheitert. Ankara macht Anhänger des Predigers Fethullah Gülen verantwortlich.
    Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 treibt Erdogan sein Ziel eines Präsidialsystems für die Türkei mit Riesenschritten voran. Diese Aufnahme zeigt Soldaten vor dem Denkmal der Republik am Taksim-Platz in Istanbul. Der Aufstand mit etwa 300 Toten scheitert. Ankara macht Anhänger des Predigers Fethullah Gülen verantwortlich. © REUTERS | REUTERS / MURAD SEZER
    Tausende Beamten, Polizisten und Richter werden entlassen und verhaftet. Erdogan spricht von „Säuberungen“.
    Tausende Beamten, Polizisten und Richter werden entlassen und verhaftet. Erdogan spricht von „Säuberungen“. © REUTERS | REUTERS / UMIT BEKTAS
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gab am 16. April in einem Wahllokal in Istanbul seine Stimme zum Referendum ab. Das Volk entschied zugunsten des Staatschefs. Das Präsidialsystem, für dessen Einführung bei dem Verfassungs-Referendum eine knappe Mehrheit votierte, wird Erdogan deutlich mehr Macht verleihen.
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gab am 16. April in einem Wahllokal in Istanbul seine Stimme zum Referendum ab. Das Volk entschied zugunsten des Staatschefs. Das Präsidialsystem, für dessen Einführung bei dem Verfassungs-Referendum eine knappe Mehrheit votierte, wird Erdogan deutlich mehr Macht verleihen. © dpa | Lefteris Pitarakis
    Erdogan hat weitere unbestreitbare Erfolge vorzuweisen. Unter seiner Ägide hat die Türkei eine gigantische wirtschaftliche Entwicklung durchlaufen. Erdogan war es auch, der die Türkei Richtung Europa führte. Als er Ministerpräsident war, wurde 2004 die Todesstrafe abgeschafft.
    Erdogan hat weitere unbestreitbare Erfolge vorzuweisen. Unter seiner Ägide hat die Türkei eine gigantische wirtschaftliche Entwicklung durchlaufen. Erdogan war es auch, der die Türkei Richtung Europa führte. Als er Ministerpräsident war, wurde 2004 die Todesstrafe abgeschafft. © REUTERS | REUTERS / OSMAN ORSAL
    2005 nahm die Türkei Beitrittsverhandlungen mit der EU auf. Während weite Teile des Nahen Ostens im Chaos versanken, schien Erdogan zu beweisen, dass Islam und Demokratie kein Widerspruch in sich sein müssen. Erdogan war es auch, der einen Friedensprozess mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in die Wege leitete.
    2005 nahm die Türkei Beitrittsverhandlungen mit der EU auf. Während weite Teile des Nahen Ostens im Chaos versanken, schien Erdogan zu beweisen, dass Islam und Demokratie kein Widerspruch in sich sein müssen. Erdogan war es auch, der einen Friedensprozess mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in die Wege leitete. © REUTERS | REUTERS / YAGIZ KARAHAN
    Der Friedensprozess mit der PKK ist gescheitert, seit Mitte 2015 eskaliert die Gewalt. Als die AKP im Juni 2015 erstmals die absolute Mehrheit bei der Parlamentswahl verlor, veranlasste Erdogan eine Neuwahl, um den Makel auszubügeln. Nach der Niederschlagung des Putsches verhängte der Präsident den Ausnahmezustand und ließ Zehntausende Menschen inhaftieren, darunter auch regierungskritische Journalisten. Rund 100.000 Staatsbedienstete wurden entlassen.
    Der Friedensprozess mit der PKK ist gescheitert, seit Mitte 2015 eskaliert die Gewalt. Als die AKP im Juni 2015 erstmals die absolute Mehrheit bei der Parlamentswahl verlor, veranlasste Erdogan eine Neuwahl, um den Makel auszubügeln. Nach der Niederschlagung des Putsches verhängte der Präsident den Ausnahmezustand und ließ Zehntausende Menschen inhaftieren, darunter auch regierungskritische Journalisten. Rund 100.000 Staatsbedienstete wurden entlassen. © dpa | Kayhan Ozer
    Je stärker die EU-Kritik an dem im Westen als zunehmend autoritär empfundenen Führungsstil Erdogans wuchs, desto mehr wendete sich dieser von Europa ab. Erdogan nannte die EU erst kürzlich eine „Kreuzritter-Allianz“.
    Je stärker die EU-Kritik an dem im Westen als zunehmend autoritär empfundenen Führungsstil Erdogans wuchs, desto mehr wendete sich dieser von Europa ab. Erdogan nannte die EU erst kürzlich eine „Kreuzritter-Allianz“. © REUTERS | REUTERS / MURAD SEZER
    Bei seinem Amtsantritt als Präsident 2014 hatte Erdogan eine „neue Türkei“ versprochen und an die Adresse seiner Gegner versöhnliche Signale ausgesandt.
    Bei seinem Amtsantritt als Präsident 2014 hatte Erdogan eine „neue Türkei“ versprochen und an die Adresse seiner Gegner versöhnliche Signale ausgesandt. © REUTERS | Murad Sezer
    „Lasst uns die alten Auseinandersetzungen in der alten Türkei zurücklassen“, sagte er damals. Stattdessen sind die Gräben in der Bevölkerung tiefer denn je.
    „Lasst uns die alten Auseinandersetzungen in der alten Türkei zurücklassen“, sagte er damals. Stattdessen sind die Gräben in der Bevölkerung tiefer denn je. © REUTERS | HANDOUT
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    Für viele Anatolier ist Erdogan ein Idol

    Ein wichtiges Ziel erreichte Erdogan 2014 mit der Wahl zum Staatspräsidenten. Damit kam ein Politiker, der nicht aus der weltlich geprägten und nach Westen orientierten kemalistischen Elite oder dem Militär stammt, ins höchste Staatsamt. Sein Aufstieg aus einfachsten Verhältnissen macht Erdogan für viele Anatolier zum Idol. Er personifiziert das Emporkommen einer neuen sozialen und politischen Klasse, der ländlichen „schwarzen Türken“, auf die die urbanen „weißen Türken“ bis dahin herabsahen.

    Ungeachtet der Grenzen der Verfassung zog Erdogan seit seiner Wahl immer mehr Kompetenzen an sich. Jetzt will er mit der Verfassungsänderung jene Machtfülle legalisieren, die er sich selbst längst genommen hat. Zum entscheidenden Anstoß wurde der Putschversuch vom Juli 2016, hinter dem Erdogan seinen einstigen Verbündeten und heutigen Widersacher vermutet, den Exil-Prediger Fethullah Gülen. Erdogan selbst bezeichnete den Umsturzversuch schon am Tag danach als „Geschenk Gottes“ – weil er ihm den Anlass lieferte, mit seinen Gegnern abzurechnen.

    Putschversuch stärkte Erdogan

    Je mächtiger Erdogan wird, desto mehr scheint auch sein Misstrauen zu wachsen. Das erklärt die willkürlich wirkenden Massenverfolgungen mutmaßlicher Gülen-Anhänger, regierungskritischer Akademiker und missliebiger Journalisten. Über 135.000 Staatsdiener hat Erdogan im Verlauf dieser Hexenjagd bereits per Dekret entlassen, ihre Existenzen zerstört.

    So hat der Putschversuch Erdogan noch einmal gestärkt. Im Kampf um die Ja-Stimmen beim Verfassungsreferendum setzte er mehr denn je auf Polarisierung und Provokation. Er dämonisierte die Nein-Sager als Terroristen und Verräter, beschimpfte die Europäer als Nazis und Faschisten.

    2019 will sich Erdogan nach dem Ablauf seiner gegenwärtigen Amtszeit unter dem neuen System zum Präsidenten wählen lassen. Die Uhr wird dann wieder auf null gestellt. Erdogan könnte die Türkei bis ins Jahr 2034 führen. Er wäre dann 80.

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