Ankara. Wenn Recep Tayyip Erdogan das Referendum gewinnt, ist er mächtiger als der US-Präsident. Alle wichtigen Informationen zur Abstimmung.

Am Sonntag stimmen die Türken über eine Verfassungsänderung ab, mit der ein Präsidialsystem eingeführt werden soll. Worum geht es? Fragen und Antworten:

Worüber entscheiden die Türken bei der Volksabstimmung?

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und die Regierung wollen die Verfassung in 18 Punkten ändern, um die parlamentarische Demokratie durch ein Präsidialsystem zu ersetzen. Es soll dem Staatschef sehr weitgehende Kompetenzen geben.

Zugleich beschneidet es die Befugnisse des Parlaments. Nachdem die Nationalversammlung die Änderungen bereits im Januar mit Dreifünftelmehrheit billigte, haben nun die Wähler in einer Volksabstimmung das letzte Wort.

Türken stimmen für Präsidialsystem

Am Sonntag stand die Türkei vor einer wegweisenden Entscheidung: für oder gegen ein Präsidialsystem, das Präsident Recep Tayyip Erdogan mehr Macht verleiht. Das Volk entschied zugunsten des Staatschefs.
Am Sonntag stand die Türkei vor einer wegweisenden Entscheidung: für oder gegen ein Präsidialsystem, das Präsident Recep Tayyip Erdogan mehr Macht verleiht. Das Volk entschied zugunsten des Staatschefs. © dpa | Dha - Depo Photos
Seit Sonntagmorgen waren die Wahllokale geöffnet. Etwa 55,3 Millionen Wahlberechtigte waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Im Ausland waren zusätzlich 2,9 Millionen Türken zur Wahl zugelassen.
Seit Sonntagmorgen waren die Wahllokale geöffnet. Etwa 55,3 Millionen Wahlberechtigte waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Im Ausland waren zusätzlich 2,9 Millionen Türken zur Wahl zugelassen. © dpa | Michael Kappeler
„Evet“ (Ja) oder „Hayir“ (Nein) – Darüber haben die Türken per Wahlzettel abgestimmt.
„Evet“ (Ja) oder „Hayir“ (Nein) – Darüber haben die Türken per Wahlzettel abgestimmt. © dpa | Michael Kappeler
Ein Wähler gibt in einem Wahllokal in Diyarbakir seinen Fingerabdruck. Die Millionenstadt wird überwiegend von Kurden bewohnt.
Ein Wähler gibt in einem Wahllokal in Diyarbakir seinen Fingerabdruck. Die Millionenstadt wird überwiegend von Kurden bewohnt. © dpa | Emre Tazegul
Auch Präsident Erdogan hat in einem Wahllokal in seiner Heimatstadt Istanbul seine Stimme abgegeben.
Auch Präsident Erdogan hat in einem Wahllokal in seiner Heimatstadt Istanbul seine Stimme abgegeben. © dpa | Lefteris Pitarakis
Gemeinsam mit seiner Frau Emine und im Beisein seiner Enkelin Mahinur nahm der türkische Präsident an der Abstimmung teil.
Gemeinsam mit seiner Frau Emine und im Beisein seiner Enkelin Mahinur nahm der türkische Präsident an der Abstimmung teil. © dpa | Lefteris Pitarakis
Nach der Stimmabgabe wurde Präsident Erdogan von seinen Anhängern freudig in Empfang genommen.
Nach der Stimmabgabe wurde Präsident Erdogan von seinen Anhängern freudig in Empfang genommen. © dpa
Das Präsidialsystem, für dessen Einführung bei dem Verfassungs-Referendum eine knappe Mehrheit votierte, wird Erdogan deutlich mehr Macht verleihen. Die Opposition warnte zuvor vor einer Ein-Mann-Herrschaft.
Das Präsidialsystem, für dessen Einführung bei dem Verfassungs-Referendum eine knappe Mehrheit votierte, wird Erdogan deutlich mehr Macht verleihen. Die Opposition warnte zuvor vor einer Ein-Mann-Herrschaft. © dpa | Michael Kappeler
In Istanbul, Ankara und Izmir – den drei größten Städten des Landes – überwogen die „Nein“-Stimmen. Die türkische Opposition kritisierte Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung und kündigte Einspruch an.
In Istanbul, Ankara und Izmir – den drei größten Städten des Landes – überwogen die „Nein“-Stimmen. Die türkische Opposition kritisierte Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung und kündigte Einspruch an. © dpa | Michael Kappeler
Staatschef Erdogan ließ sich von seinen Anhängern feiern. Das Volk habe eine „historische Entscheidung“ getroffen und der Verfassungsänderung zugestimmt, sagte Erdogan am Sonntagabend in Istanbul.
Staatschef Erdogan ließ sich von seinen Anhängern feiern. Das Volk habe eine „historische Entscheidung“ getroffen und der Verfassungsänderung zugestimmt, sagte Erdogan am Sonntagabend in Istanbul. © dpa | Lefteris Pitarakis
Unterstützer des „Ja“-Lagers zeigten ihre Freude über das Wahlergebnis mit einem Autokorso in Istanbul.
Unterstützer des „Ja“-Lagers zeigten ihre Freude über das Wahlergebnis mit einem Autokorso in Istanbul. © dpa | Emrah Gurel
Erdogan sagte vor begeisterten Anhängern in Istanbul, seine „erste Aufgabe“ werde sein, die Wiedereinführung der Todesstrafe auf die Tagesordnung zu setzen.
Erdogan sagte vor begeisterten Anhängern in Istanbul, seine „erste Aufgabe“ werde sein, die Wiedereinführung der Todesstrafe auf die Tagesordnung zu setzen. © dpa | Emrah Gurel
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Welche Rechte bekäme der Staatspräsident?

Er wäre Staatsoberhaupt und Regierungschef in einer Person. Der künftige Präsident kann mit Dekreten regieren, die Gesetzeskraft haben – ohne Zustimmung des Parlaments. Er beruft und entlässt seine Vizepräsidenten und die Minister, ernennt die Rektoren der Universitäten, hat wesentlichen Einfluss auf die Berufung der obersten Richter und Staatsanwälte und kann den Notstand ausrufen.

Anders als bisher steht der Präsident nicht mehr über den Parteien, sondern kann zugleich Parteivorsitzender sein. Parlament und Präsident werden jeweils am gleichen Tag gewählt, und zwar erstmals am 3. November 2019. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass der jeweilige Präsident im Parlament eine Mehrheit hat.

Die Karriere von Recep Tayyip Erdogan

Recep Tayyip Erdogan wurde am 26. Juni 2018 zum zweiten Mal in Folge zum Staatspräsidenten der Türkei gewählt. Zwei Wochen später hat er seinen Amtseid abgelegt und ist auf dem Höhepunkt seiner Macht angekommen. Bilder seiner Karriere.
Recep Tayyip Erdogan wurde am 26. Juni 2018 zum zweiten Mal in Folge zum Staatspräsidenten der Türkei gewählt. Zwei Wochen später hat er seinen Amtseid abgelegt und ist auf dem Höhepunkt seiner Macht angekommen. Bilder seiner Karriere. © dpa | Lefteris Pitarakis
Der Mann, der die Geschicke der Türkei bereits seit fast 16 Jahren bestimmt, ist nun nicht mehr nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Seine Vereidigung besiegelte den Umbau des Staates vom parlamentarischen in ein Präsidialsystem. Darauf hatte er jahrelang hingearbeitet. Er kann unter anderem per Dekret regieren, viele Posten im Justizsystem besetzen und seine Vizepräsidenten allein bestimmten. Auch sein Kabinett konnte er ohne Zustimmung des Parlaments ernennen.
Der Mann, der die Geschicke der Türkei bereits seit fast 16 Jahren bestimmt, ist nun nicht mehr nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Seine Vereidigung besiegelte den Umbau des Staates vom parlamentarischen in ein Präsidialsystem. Darauf hatte er jahrelang hingearbeitet. Er kann unter anderem per Dekret regieren, viele Posten im Justizsystem besetzen und seine Vizepräsidenten allein bestimmten. Auch sein Kabinett konnte er ohne Zustimmung des Parlaments ernennen. © dpa | Uncredited
Erdogan und seine Ehefrau Emine beim Gebet während der pompösen Zeremonie im Präsidentenpalast nach der Vereidigung am 9. Juli 2018.
Erdogan und seine Ehefrau Emine beim Gebet während der pompösen Zeremonie im Präsidentenpalast nach der Vereidigung am 9. Juli 2018. © REUTERS | UMIT BEKTAS
Im Oktober 2004 ehrte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD, r.) einen besonderen Gast: „Ihr Eintreten für mehr Freiheit, einen besseren Schutz der Menschenrechte und weniger staatliche Bevormundung ist für Sie, Herr Ministerpräsident, aber kein Zugeständnis an Europa, sondern es ist Konsequenz Ihrer politischen Überzeugung.“ Die Laudatio galt dem türkischen Regierungschef, der in Berlin zum „Europäer des Jahres“ in der Kategorie „Brücken des Respekts“ gekürt wurde.
Im Oktober 2004 ehrte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD, r.) einen besonderen Gast: „Ihr Eintreten für mehr Freiheit, einen besseren Schutz der Menschenrechte und weniger staatliche Bevormundung ist für Sie, Herr Ministerpräsident, aber kein Zugeständnis an Europa, sondern es ist Konsequenz Ihrer politischen Überzeugung.“ Die Laudatio galt dem türkischen Regierungschef, der in Berlin zum „Europäer des Jahres“ in der Kategorie „Brücken des Respekts“ gekürt wurde. © picture alliance / Eventpress | dpa Picture-Alliance / Eventpress Herrmann
Warme Worte, die wohl niemand in der EU mehr mit dem heutigen türkischen Staatspräsidenten verbinden würde. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger scheint Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, l.) kein Lächeln mehr für Erdogan übrig zu haben. Erdogan griff am 13. März 2017 bei einer Veranstaltung in Ankara erneut Bundeskanzlerin Angela Merkel an, die sich im Streit um Auftrittsverbote hinter die Regierung in Den Haag gestellt hatte.
Warme Worte, die wohl niemand in der EU mehr mit dem heutigen türkischen Staatspräsidenten verbinden würde. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger scheint Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, l.) kein Lächeln mehr für Erdogan übrig zu haben. Erdogan griff am 13. März 2017 bei einer Veranstaltung in Ankara erneut Bundeskanzlerin Angela Merkel an, die sich im Streit um Auftrittsverbote hinter die Regierung in Den Haag gestellt hatte. © dpa | Lefteris Pitarakis
Nicht nur die Schröder-Laudatio zeigt, was für einen Wandel Erdogan in seiner Karriere durchlaufen hat. Seit Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk hat kein Politiker die Türkei stärker geprägt als der heute 64-Jährige – der bislang aus allen Krisen gestärkt hervorging. In die Wiege gelegt wurde Erdogan der Erfolg nicht. Seine Familie stammt von der Schwarzmeerküste. Erdogan wuchs in einfachen Verhältnissen im Istanbuler Arbeiterviertel Kasimpasa auf.
Nicht nur die Schröder-Laudatio zeigt, was für einen Wandel Erdogan in seiner Karriere durchlaufen hat. Seit Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk hat kein Politiker die Türkei stärker geprägt als der heute 64-Jährige – der bislang aus allen Krisen gestärkt hervorging. In die Wiege gelegt wurde Erdogan der Erfolg nicht. Seine Familie stammt von der Schwarzmeerküste. Erdogan wuchs in einfachen Verhältnissen im Istanbuler Arbeiterviertel Kasimpasa auf. © REUTERS | REUTERS / UMIT BEKTAS
Der Film „Reis“ („Anführer“) zeichnet das frühe Leben Erdogans – verkörpert von dem türkischen Schauspieler Reha Beyoglu – nach. Zwar soll das Präsidialamt keinen Einfluss auf den sentimental-kitschigen Streifen genommen haben. Das Image Erdogans, das der Film transportiert, ist aber eines, das auch seine Anhänger pflegen: das eines ebenso gerechten wie gläubigen Menschen, der sich aufopfert, um Benachteiligten zu helfen.
Der Film „Reis“ („Anführer“) zeichnet das frühe Leben Erdogans – verkörpert von dem türkischen Schauspieler Reha Beyoglu – nach. Zwar soll das Präsidialamt keinen Einfluss auf den sentimental-kitschigen Streifen genommen haben. Das Image Erdogans, das der Film transportiert, ist aber eines, das auch seine Anhänger pflegen: das eines ebenso gerechten wie gläubigen Menschen, der sich aufopfert, um Benachteiligten zu helfen. © REUTERS | REUTERS / MURAD SEZER
Erst in Kasimpasa, dann von 1994 an als Oberbürgermeister in ganz Istanbul. Diese Aufnahme zeigt Erdogan (Mitte) am 22. April 1998 gemeinsam mit Melih Gokcek (l.) – Bürgermeister von Ankara – und dem türkischen AKP-Politiker Ismail Kahraman in Istanbul.
Erst in Kasimpasa, dann von 1994 an als Oberbürgermeister in ganz Istanbul. Diese Aufnahme zeigt Erdogan (Mitte) am 22. April 1998 gemeinsam mit Melih Gokcek (l.) – Bürgermeister von Ankara – und dem türkischen AKP-Politiker Ismail Kahraman in Istanbul. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS | AP Content
Der Film endet 1999 mit Erdogans Verhaftung wegen einer flammenden Rede, in der er ein Gedicht mit dem Vers „Die Minarette sind unsere Bajonette“ zitierte. Nach vier Monaten wurde Erdogan wieder aus der Haft entlassen.
Der Film endet 1999 mit Erdogans Verhaftung wegen einer flammenden Rede, in der er ein Gedicht mit dem Vers „Die Minarette sind unsere Bajonette“ zitierte. Nach vier Monaten wurde Erdogan wieder aus der Haft entlassen. © REUTERS | REUTERS / Stringer Turkey
2002 führte der vierfache Familienvater die von ihm mitbegründete islamisch-konservative AKP an die Macht.
2002 führte der vierfache Familienvater die von ihm mitbegründete islamisch-konservative AKP an die Macht. © REUTERS | REUTERS / Fatih Saribas
Shaking Hands: Erdogan trifft im Dezember 2002 den damaligen US-Präsidenten George W. Bush im Weißen Haus.
Shaking Hands: Erdogan trifft im Dezember 2002 den damaligen US-Präsidenten George W. Bush im Weißen Haus. © REUTERS | REUTERS / Kevin Lamarque
Nur wenige Minuten vermochte sich der Regierungschef im Sattel zu halten, als er bei der Eröffnung eines Stadtparks im Istanbuler Bezirk Bayrampasa am 30. Juli 2003 einen kleinen Ausritt wagte. Das zuvor bereits bockige Pferd warf ihn kurzerhand ab. Erdogan kam ungeschoren davon. Sein Programm habe er nach dem Sturz normal fortgesetzt.
Nur wenige Minuten vermochte sich der Regierungschef im Sattel zu halten, als er bei der Eröffnung eines Stadtparks im Istanbuler Bezirk Bayrampasa am 30. Juli 2003 einen kleinen Ausritt wagte. Das zuvor bereits bockige Pferd warf ihn kurzerhand ab. Erdogan kam ungeschoren davon. Sein Programm habe er nach dem Sturz normal fortgesetzt. © picture-alliance / dpa/dpaweb | dpa Picture-Alliance / epa
Im Jahr 2003 übernahm Erdogan das Amt des Ministerpräsidenten. Die Aufnahme zeigt Erdogans Teilnahme an der Zeremonie zum 67. Todestag von Mustafa Kemal Atatürk in Ankara.
Im Jahr 2003 übernahm Erdogan das Amt des Ministerpräsidenten. Die Aufnahme zeigt Erdogans Teilnahme an der Zeremonie zum 67. Todestag von Mustafa Kemal Atatürk in Ankara. © REUTERS | Umit Bektas
Rote Nelken gab es im Mai 2014 in Köln während einer Veranstaltung zum zehnjährigen Jubiläum der UETD, der Union Europäisch-Türkischer Demokraten.
Rote Nelken gab es im Mai 2014 in Köln während einer Veranstaltung zum zehnjährigen Jubiläum der UETD, der Union Europäisch-Türkischer Demokraten. © Getty Images | Sascha Schuermann
2014 wurde Erdogan der erste direkt vom Volk gewählte Staatspräsident der Republik. Am 28. August 2014 wurde er vereidigt. Die Aufnahme zeigt den vierfachen Familienvater mit seiner Ehefrau Emine (3.v.l.), Schwiegersohn Berat Albayrak (l.), Tochter Esra Erdogan Albayrak (2.v.l.), Sohn Necmeddin Bilal (2.v.r.) und Tochter Sümeyye.
2014 wurde Erdogan der erste direkt vom Volk gewählte Staatspräsident der Republik. Am 28. August 2014 wurde er vereidigt. Die Aufnahme zeigt den vierfachen Familienvater mit seiner Ehefrau Emine (3.v.l.), Schwiegersohn Berat Albayrak (l.), Tochter Esra Erdogan Albayrak (2.v.l.), Sohn Necmeddin Bilal (2.v.r.) und Tochter Sümeyye. © REUTERS | REUTERS / UMIT BEKTAS
Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 treibt Erdogan sein Ziel eines Präsidialsystems für die Türkei mit Riesenschritten voran. Diese Aufnahme zeigt Soldaten vor dem Denkmal der Republik am Taksim-Platz in Istanbul. Der Aufstand mit etwa 300 Toten scheitert. Ankara macht Anhänger des Predigers Fethullah Gülen verantwortlich.
Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 treibt Erdogan sein Ziel eines Präsidialsystems für die Türkei mit Riesenschritten voran. Diese Aufnahme zeigt Soldaten vor dem Denkmal der Republik am Taksim-Platz in Istanbul. Der Aufstand mit etwa 300 Toten scheitert. Ankara macht Anhänger des Predigers Fethullah Gülen verantwortlich. © REUTERS | REUTERS / MURAD SEZER
Tausende Beamten, Polizisten und Richter werden entlassen und verhaftet. Erdogan spricht von „Säuberungen“.
Tausende Beamten, Polizisten und Richter werden entlassen und verhaftet. Erdogan spricht von „Säuberungen“. © REUTERS | REUTERS / UMIT BEKTAS
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gab am 16. April in einem Wahllokal in Istanbul seine Stimme zum Referendum ab. Das Volk entschied zugunsten des Staatschefs. Das Präsidialsystem, für dessen Einführung bei dem Verfassungs-Referendum eine knappe Mehrheit votierte, wird Erdogan deutlich mehr Macht verleihen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gab am 16. April in einem Wahllokal in Istanbul seine Stimme zum Referendum ab. Das Volk entschied zugunsten des Staatschefs. Das Präsidialsystem, für dessen Einführung bei dem Verfassungs-Referendum eine knappe Mehrheit votierte, wird Erdogan deutlich mehr Macht verleihen. © dpa | Lefteris Pitarakis
Erdogan hat weitere unbestreitbare Erfolge vorzuweisen. Unter seiner Ägide hat die Türkei eine gigantische wirtschaftliche Entwicklung durchlaufen. Erdogan war es auch, der die Türkei Richtung Europa führte. Als er Ministerpräsident war, wurde 2004 die Todesstrafe abgeschafft.
Erdogan hat weitere unbestreitbare Erfolge vorzuweisen. Unter seiner Ägide hat die Türkei eine gigantische wirtschaftliche Entwicklung durchlaufen. Erdogan war es auch, der die Türkei Richtung Europa führte. Als er Ministerpräsident war, wurde 2004 die Todesstrafe abgeschafft. © REUTERS | REUTERS / OSMAN ORSAL
2005 nahm die Türkei Beitrittsverhandlungen mit der EU auf. Während weite Teile des Nahen Ostens im Chaos versanken, schien Erdogan zu beweisen, dass Islam und Demokratie kein Widerspruch in sich sein müssen. Erdogan war es auch, der einen Friedensprozess mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in die Wege leitete.
2005 nahm die Türkei Beitrittsverhandlungen mit der EU auf. Während weite Teile des Nahen Ostens im Chaos versanken, schien Erdogan zu beweisen, dass Islam und Demokratie kein Widerspruch in sich sein müssen. Erdogan war es auch, der einen Friedensprozess mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in die Wege leitete. © REUTERS | REUTERS / YAGIZ KARAHAN
Der Friedensprozess mit der PKK ist gescheitert, seit Mitte 2015 eskaliert die Gewalt. Als die AKP im Juni 2015 erstmals die absolute Mehrheit bei der Parlamentswahl verlor, veranlasste Erdogan eine Neuwahl, um den Makel auszubügeln. Nach der Niederschlagung des Putsches verhängte der Präsident den Ausnahmezustand und ließ Zehntausende Menschen inhaftieren, darunter auch regierungskritische Journalisten. Rund 100.000 Staatsbedienstete wurden entlassen.
Der Friedensprozess mit der PKK ist gescheitert, seit Mitte 2015 eskaliert die Gewalt. Als die AKP im Juni 2015 erstmals die absolute Mehrheit bei der Parlamentswahl verlor, veranlasste Erdogan eine Neuwahl, um den Makel auszubügeln. Nach der Niederschlagung des Putsches verhängte der Präsident den Ausnahmezustand und ließ Zehntausende Menschen inhaftieren, darunter auch regierungskritische Journalisten. Rund 100.000 Staatsbedienstete wurden entlassen. © dpa | Kayhan Ozer
Je stärker die EU-Kritik an dem im Westen als zunehmend autoritär empfundenen Führungsstil Erdogans wuchs, desto mehr wendete sich dieser von Europa ab. Erdogan nannte die EU erst kürzlich eine „Kreuzritter-Allianz“.
Je stärker die EU-Kritik an dem im Westen als zunehmend autoritär empfundenen Führungsstil Erdogans wuchs, desto mehr wendete sich dieser von Europa ab. Erdogan nannte die EU erst kürzlich eine „Kreuzritter-Allianz“. © REUTERS | REUTERS / MURAD SEZER
Bei seinem Amtsantritt als Präsident 2014 hatte Erdogan eine „neue Türkei“ versprochen und an die Adresse seiner Gegner versöhnliche Signale ausgesandt.
Bei seinem Amtsantritt als Präsident 2014 hatte Erdogan eine „neue Türkei“ versprochen und an die Adresse seiner Gegner versöhnliche Signale ausgesandt. © REUTERS | Murad Sezer
„Lasst uns die alten Auseinandersetzungen in der alten Türkei zurücklassen“, sagte er damals. Stattdessen sind die Gräben in der Bevölkerung tiefer denn je.
„Lasst uns die alten Auseinandersetzungen in der alten Türkei zurücklassen“, sagte er damals. Stattdessen sind die Gräben in der Bevölkerung tiefer denn je. © REUTERS | HANDOUT
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Wäre er damit mächtiger als etwa der französische Präsident oder der Präsident der USA?

Eindeutig ja. Zwar ist auch der US-Präsident Staats- und Regierungschef in Personalunion. Der Kongress bildet aber als oberstes Gesetzgebungsorgan ein starkes Gegengewicht. Der französische Präsident hat gegenüber der Regierung eine bedeutende Machtfülle, fungiert aber nicht gleichzeitig als Premierminister.

In beiden Ländern gibt es ein ausgeprägtes System der Gewaltenteilung und eine unabhängige Justiz. Das schützt vor Machtmissbrauch. Was Erdogan anstrebt, erinnert dagegen an die nahezu unumschränkte Machtfülle mittelasiatischer oder lateinamerikanischer Staatschefs.

Wie sähe die künftige Rolle des Parlaments aus?

Die Zahl der Abgeordneten wird zwar von 550 auf 600 erhöht, das Parlament verliert aber viele seiner Befugnisse. Es kann zwar Gesetze beschließen, aber dafür ist eine absolute Mehrheit nötig, sofern der Präsident sein Veto einlegt.

Das Parlament wirkt bei der Berufung der Minister nicht mit und kann ihnen auch nicht das Misstrauen aussprechen. Der Präsident kann das Parlament überdies jederzeit nach Gutdünken auflösen und Neuwahlen herbeiführen.

Erdogan verteidigt sein System unter anderem damit, es werde dem Land einen Wirtschaftsaufschwung bringen – ein realistisches Versprechen?

Auch in autoritär geführten Ländern kann die Wirtschaft florieren, siehe China. Die türkische Wirtschaft kämpft allerdings mit Strukturproblemen. Ob die immer wieder aufgeschobenen Reformen unter einem nahezu allmächtigen Präsidenten endlich in Gang kämen, ist keineswegs sicher.

Überdies ist die Türkei wirtschaftlich eng mit der EU verflochten. Dorthin gehen die meisten Exporte, von dort kommen die meisten Investitionen. Viele Wirtschaftsführer sehen deshalb Erdogans anti-europäische Tiraden mit Sorge.

Wer ist für das Präsidialsystem, wer dagegen?

Im Parlament bekam die Regierungspartei AKP bei der Abstimmung über die Verfassungsänderung Unterstützung aus den Reihen der ultra-nationalistischen Oppositionspartei MHP. Für ein Nein plädieren die größte Oppositionspartei, die säkulare CHP, und die pro-kurdische Partei HDP. Sie fürchtet eine „Diktatur“. Auch zahlreiche linke Splitterparteien, Gewerkschaften und Verbände sind gegen die Verfassungsänderung.

Zwar gibt es auch innerhalb der regierenden AKP und in den Reihen der ultra-rechten MHP kritische Stimmen gegen das Präsidialsystem. Die türkische Öffentlichkeit erfährt aber davon wenig. Im Wahlkampf auf den Straßen und in den Medien dominiert die Ja-Kampagne.

Warum hat sich der Wahlkampf auch nach Europa verlagert?

Bei dem Referendum sind 2,8 Millionen Auslandstürken wahlberechtigt. In Deutschland lebt rund die Hälfte von ihnen, nämlich 1,4 Millionen. Deutschland ist damit nach Istanbul, Ankara und Izmir der viertgrößte türkische Wahlbezirk. Die Stimmen der Auslandstürken sind für Erdogan deshalb besonders wichtig, weil er unter ihnen mehr Anhänger hat als im eigenen Land.

Was sagen die Meinungsumfragen?

Während in den vergangenen Wochen in manchen Umfragen die Nein-Sager knapp vorn lagen, führt in den jüngsten Befragungen meist das Ja. Zuverlässige Prognosen sind aber auf Grundlage dieser demoskopischen Erhebungen nicht möglich, zumal die Meinungsforscher sich bei Volksabstimmungen mit Vorhersagen schwer tun – der Brexit lässt grüßen.

Seit seinem ersten Wahlsieg 2002 hat Erdogan ein Dutzend Wahlkämpfe geführt und alle gewonnen. Es wäre eine große Überraschung, wenn er diese Abstimmung, bei der es für ihn um alles geht, verlieren würde.