Die Meinungen über Planungen eines militärischen Alleingangs Israels gegen den Iran gehen auseinander. Was bringt der IAEA-Bericht?

Tel Aviv. Die Meinungen gehen auseinander, während vom großen "Atomaren Druck" auf der einen Seite die Rede ist, warnt der ehemalige Mossad-Chef Meir Dagan, von dem eigentlich Verschwiegenheit erwartet wird, seit Ende seiner Amtszeit vor knapp einem Jahr offen und in klaren Worten vor den hochgefährlichen Folgen eines israelischen Angriffs auf die iranischen Atomanlagen. Er bezeichnet die Pläne als eine "dumme Idee“. Dagan reagierte fast trotzig auf die Vorwürfe, die allzu offene Debatte gefährde Israels Staatssicherhet: "Als privater Bürger habe ich das Recht, meine Meinung zu sagen.“

Die Worte des "atomaren Drucks" stammen von einem angesehenen Kommentator der Zeitung "Jediot Achronot", der über die Frage spekuliert, ob Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak die Details eines Angriffs womöglich schon unter sich ausgemacht haben. Denn seit gut einer Woche mehren sich in Israel die Anzeichen der Planung eines militärischen Alleingangs Israels gegen Teheran.

Bei einem Besuch in Israel sei es US-Verteidigungsminister Leon Panetta vor einem Monat nicht gelungen, Netanjahu und Barak zu einer klaren Zusage zu bewegen, dass Israel Teheran nicht ohne Absprache mit Washington angreifen würde, schrieb die Zeitung "Haaretz“ am Sonntag. Die "siamesischen Zwillinge“, wie israelische Medien sie in der Iran-Frage beschreiben, hätten sich nur sehr vage zu dem brisanten Thema geäußert.

Iran wehrt sich gegen Atomwaffen-Vorwürfe der IAEA

Aufgeschreckt wurden viele Israelis auch von mehreren neuen Anzeichen für einen möglicherweise bevorstehenden Waffengang: Am Mittwoch testete Israels Armee erfolgreich eine Rakete des Typs Jericho-3, die nach Medienberichten mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden und bis in den Iran fliegen kann. Fast zeitgleich wurde bekannt, dass die israelische Luftwaffe über Sardinien Flüge zu weit entfernten Zielen trainiert hat. Außerdem probte die Armee den Notfall und simulierte massive Raketenangriffe auf den Großraum Tel Aviv – Israel stellt sich für den Kriegsfall auf einen gleichzeitigen Raketenhagel aus dem Iran, Libanon und Gazastreifen ein.

"Vielleicht ist dies alles nur Zufall – oder es ist Absicht“, sagte die Militärkorrespondentin des israelischen Rundfunks am Sonntag. Das jüngste Säbelrasseln könnte auch ein Versuch Israels sein, den Druck auf die internationale Gemeinschaft zu erhöhen, damit diese die Sanktionen gegen Teheran weiter verschärft.

Ab Mitte der Woche wird mit der Veröffentlichung eines neuen Berichts der internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zu dem iranischen Atomprogramm gerechnet. Israel erwartet dabei klare Beweise für seine Annahme, dass Teheran unter Hochdruck an der Entwicklung einer Atombombe arbeitet. Der Iran soll nach Medienberichten unter anderem ein Computermodell eines Atomsprengkopfes gebaut haben. Außerdem gebe es Satellitenaufnahmen eines Stahlkörpers, in dem hochexplosiver Sprengstoff zur Zündung von Atombomben getestet werden könne.

"Wenn dieser Bericht die Bemühungen des Irans, Nuklearwaffen zu entwickeln, deutlicher darstellt als bisher, dann ist dies sehr bedeutsam“, sagte der israelische Iran-Experte Uzi Eilam am Sonntag. "Das Kriegsgetrommel ist dagegen dumm und bedeutungslos.“ Er stelle sich gegen die Sicht, dass es sich bei dem iranischen Atomprogramm vor allem um ein israelisches Problem handele. "Der Bericht wird der ganzen Welt nutzen, nicht nur Israel“, sagte Eilam. Er könne als Rechtfertigung für eine deutliche Verschärfung der Sanktionen gegen den Iran dienen.

Aus Israels Sicht drängt die Zeit. Teheran könnte schon in sechs Monaten die Atombombe haben, warnte Staatspräsident Schimon Peres am Wochenende – Dagan rechnet allerdings erst bis 2015 damit. Bislang galt die Anwesenheit von US-Truppen im Irak als ein Hindernis für einen israelischen Angriff im Iran, weil diese dann zur Zielscheibe von Vergeltungsschlägen werden könnten. Mit dem Abzug der US-Soldaten bis Jahresende wäre zumindest diese Hürde aus dem Weg.

Israel arbeitet seit Jahren an mehreren Raketenabwehrsystemen, die Bedrohungen aus unmittelbarer und aus weiter Entfernung beantworten sollen. Eine verbesserte Version des Systems "Chez-2“ (Pfeil-2), das gegen Mittelstreckenraketen etwa aus dem Iran eingesetzt werden kann, soll zur Jahreswende einsatzbereit sein. Dennoch gilt es als fragwürdig, ob Israel wirklich bereit wäre, das immense Risiko eines militärischen Alleingangs auf sich zu nehmen. "Man muss gut abwägen, was am Tag danach passiert“, warnte Ex-Geheimdienstchef Dagan vergangene Woche.

Von Sara Lemel