Solide, pflichtbewusst, ewig in der Politik: Thomas de Maizière und Wolfgang Schäuble sind beliebt wie selten. Zu Recht? Eine Spurensuche.
Hamburg. Oh doch, tatsächlich gibt es etwas, was der Neue mit dem Alten gemeinsam hat. Sie sind beide "anti". Als der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg noch nicht als Plagiator entlarvt war, galt er als Anti-Politiker. Ein Adliger, kein Beamter. Einer, der sich vorher nicht an den Mühlen der Partei abrackerte und stattdessen freiherrlichen Pathos und Rockmusik in die spröde Berliner Republik brachte. Einer, der mit cooler Sonnenbrille eine Talkshow im Kriegsgebiet inszenierte. Doch auch Guttenbergs Nachfolger Thomas de Maizière ist anti. Er ist der Anti-Guttenberg.
Wer verstehen will, warum Politiker wie de Maizière und Finanzminister Wolfgang Schäuble so beliebt sind wie selten, muss sich als erstes verabschieden von der "Ära Guttenberg". Die Zeitläufte der Politik lassen ihn hinter sich - und bringen neue Typen nach oben.
Der aktuelle Deutschlandtrend von Infratest Dimap für die ARD-"Tagesthemen" und die "Welt" zeigt: Thomas de Maizière und Wolfgang Schäuble sind die beliebtesten Politiker im Land. Jeweils 57 Prozent der Bürger sind mit ihrer Arbeit zufrieden. Es ist nicht die Kanzlerin und CDU-Chefin, die sich allmählich aus den Tiefen der Umfragen wieder an die Oberfläche zurückkämpft. Im Gegenteil: Angela Merkel verliert weiter an Beliebtheit bei den Menschen. Nur von 45 Prozent der 1000 Befragten erfährt sie Zustimmung. Im Juli lag sie noch bei 49 Prozent. Es sind nicht die von der Leyens und schon gar nicht die Röslers und Westerwelles, in denen die Wähler ihre Zuversicht spiegeln. In der Regierung sind es vor allem Schäuble und de Maizière. Ihre Beliebtheit ist kein Zufall.
Es ist der Zeitgeist. De Maizière, 57 Jahre alt und seit 1971 Mitglied der CDU, und der 68 Jahre alte Schäuble sind Profiteure einer Politikerverdrossenheit, die vor allem den Koalitionspartner trifft. Mehr als drei von vier Wählern der Liberalen (76 Prozent) sind unzufrieden mit der Berliner Koalition. Schäuble und de Maizière sind aber auch Profiteure einer Sehnsucht nach Solidität. In Zeiten der Unruhe sucht eine Gesellschaft ihre Stabilität nicht bei den jungen, flippigen, visionären Politikern. Die Menschen begehren das Nüchterne - auch wenn das manchmal spröde oder stur sein kann.
Guttenberg war nie spröde. Er zeigte sich in frischer Pose vor den Leuchtreklamen am Times Square in New York. Der Freiherr, damals noch Wirtschaftsminister, eilte vom Pentagon zum Weißen Haus und traf sich mit amerikanischen Freunden. Er war nicht lange dort, aber wo er war, war es laut. Thomas de Maizière reist leise. Als er im Juni die Front in Afghanistan und die deutschen Soldaten besuchte, waren keine anderen Politiker, keine Journalisten dabei. Es gab nur eine kurze Mitteilung des Ministeriums. Als Vorgänger Guttenberg an den Hindukusch reiste, nahm er seine Gattin mit. Und Fernsehmoderator Johannes B. Kerner. De Maizière fällt auf mit Unauffälligkeit. Er sagt Sätze wie diesen: "Der politische Diskurs wird nicht besser, wenn er aufgeblasen wird." Oder: "Sterben und töten gehören bei Soldaten dazu."
De Maizière und Schäuble, die Musterbeamten. Vielleicht ist es dieser Begriff, den beide am ehesten als ihr Image nach außen tragen. Pflichtbewusst, staatsdienend. Wer gemeinsame Attribute der beiden CDU-Politiker sucht, findet Spuren auch in ihren Lebensläufen. Schäuble und de Maizière, beide Juristen, für beide hat die Familie einen hohen Stellenwert. Schäuble hat vier Kinder, de Maizière drei. Der eine wie der andere ist überzeugter Protestant und engagiert sich in der Kirche.
Und doch gibt es Unterschiede zwischen den beiden. Im Inhalt: Schäuble fiel gerade als Innenminister mit deutlich schärferen Vorstößen auf als Nachfolger de Maizière. Und im Stil sind beide nicht gleich. Schäuble liebt die Provokation. Und er spottet gern - wie bei der berühmten Pressekonferenz, als er seinen Sprecher vor laufender Kamera noch einmal zum Kopierer schickte. Er hatte die Unterlagen nicht für die Journalisten bereitgestellt.
Doch auch wenn Schäuble und de Maizière keine Zwillinge im Geiste sind, stehen sie beide für einen gefragten Politikertyp in einer Welt, die sich gerade von der nuklearen Katastrophe in Fukushima erholt. Das Jahr 2011 brachte Unruhe - wünschenswerte in den arabischen Ländern, beängstigende in Griechenland, Spanien und Portugal. Es sind aufgeregte Zeiten. Die Deutschen trachten nicht auch noch nach aufgeregten Politikern. Aber sie ahnen auch, dass diese Menschen in Parteien, Parlamenten und Regierungen so wichtig sind wie selten zuvor in den vergangenen Jahren. In der Krise des Euro rufen viele Bürger nach dem Staat und seiner starken Hand gegenüber einer Finanzwelt, die in der Wahrnehmung der Menschen vor allem im Rausch lebt. "Dann vertrauen sie eher soliden Typen wie Schäuble und de Maizière, die für unaufgeregte Politik abseits der Streitereien von Parteien stehen", sagt Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, dem Abendblatt.
Güllners Worte verraten aber auch, dass die Beliebtheit von de Maizière und Schäuble nicht nur Eigenleistung ist. Sie ist auch Produkt einer Parteienverdrossenheit. "Lagerdenken und Listenwahlkampf sind nicht mehr angesagt bei den Wählern", sagt der Politikwissenschaftler Eckhard Jesse dem Abendblatt. "Das war zu Zeiten von Herbert Wehner und Franz Josef Strauß noch anders."
In der Wahrnehmung der Menschen stehen Schäuble und de Maizière nicht zuerst für schwarz-gelbes Lagerdenken. Zwar sind die Unionswähler wieder zufriedener mit der Arbeit der Koalition. Doch weder Schäubles noch de Maizières Vitalität in den Umfragen ist ein Beatmungsgerät der schwarz-gelben Politik. Drei von vier Bürgern (74 Prozent) sind mit der Koalition nicht zufrieden. Vor zwei Monaten äußerten sich 70 Prozent derart. Schäuble und de Maizière stehen nicht in der Schusslinie der Wutbürger. Sie werfen sich aber auch nicht rettend vor die schwächelnde Regierung. Sie halten sich da raus.
Deshalb tut sich auch das andere Lager nicht so schwer damit, die Arbeit des Finanzministers und des Verteidigungsministers zu schätzen. Vor allem Thomas de Maizière schneidet bei der politischen Opposition gut ab. Gerade im Vergleich zu seinem Vorgänger Guttenberg. So finden 27 Prozent der Grünen-Wähler, dass de Maizière bessere Arbeit im Amt des Ministers leistet als Guttenberg. Nur 13 Prozent der Unionswähler sehen das laut einer Emnid-Umfrage so. 23 Prozent der Anhänger von CDU/CSU finden sogar, dass de Maizière seine Aufgabe schlechter erledigt als der Freiherr. Nicht überall, auch das zeigen die politischen Umfragen dieser Tage, kommt das Nüchterne an. Nicht alle können sich so schnell von Guttenbergs Glamour verabschieden.