Der Terrorfürst dachte über eine Umbenennung seines Netzwerkes nach. Für al-Qaidas Marketing war die Tötung vieler Muslime verheerend.

Washington. Angesichts der immer zahlreicheren Verluste in den eigenen Reihen erkannte auch Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden, dass Erfolg nicht zuletzt eine Frage der Außendarstellung ist. Al-Qaida habe ein Marketing-Problem, klagte der Terrorist in seinen letzten Aufzeichnungen. Seine Organisation hatte zu viele Muslime getötet, und das war schlecht fürs Geschäft. In Sachen Öffentlichkeitsarbeit war der Westen bereits dabei, den Kampf zu gewinnen. Zudem waren Bin Ladens alte Kameraden alle tot, ihre Nachfolger kannte er kaum. In dieser Situation dachte Bin Laden über eine Strategie nach, die zutieftst amerikanisch anmutet, also ausgerechnet aus jenem Land stammt, das er so sehr hasste. Wie die Söldnerfirma Blackwater, die Fluggesellschaft ValuJet und der Tabakkonzern Philip Morris könnte vielleicht auch Al-Qaida ein Neuanfang mit einem anderen Namen helfen.

Denn das Problem mit Al-Qaida, so schrieb Bin Laden in einem in seinem Versteck entdeckten Brief, war, dass ihm das religiöse Element fehlte. Etwas, das Muslime auf der ganzen Welt davon überzeugte, dass sie sich in einem Heiligen Krieg mit Amerika befänden. Infrage käme laut Bin Laden etwa ein Name wie Taifat al-Tauhed Wal Dschihad, was so viel wie Monotheismus und Dschihad-Gruppe bedeutet. Oder auch Dschama'at l'Adat al-Chilafat al-Raschida, was Wiederherstellung der Kalifatsgruppe heißt. Aus Bin Ladens Sicht bestand das Problem darin, dass der vollständige Name al-Kaida al-Dschihad (Die Basis des Heiligen Krieges) auf ihre Kurzform al-Qaida verkürzt worden war. Dies habe dem Westen erlaubt zu behaupten, er sei nicht im Krieg mit dem Islam, schrieb Bin Laden in einem undatierten Brief, der unter seinen letzten Aufzeichnungen entdeckt wurde.

Eine US-Spezialeinheit hatte Anfang Mai den Unterschlupf des Al-Qaida-Chefs im pakistanischen Abbottabad gestürmt und Bin Laden getötet, bevor die Organisation ihren Namen ändern konnte. Informationen über den Inhalt des Briefes erhielt die Nachrichtenagentur AP von einem ranghohen Mitglied der Obama-Regierung sowie weiteren US-Vertretern. In den gefundenen Unterlagen vermittelt Bin Laden das Bild eines terroristischen Vorstandsvorsitzenden, der ähnlich wie bei einem in die Krise geratenen Unternehmen darum ringt, den Heiligen Krieg zu verkaufen.

Im Weißen Haus wurden die Dokumente denn auch als Bestätigung für die Anstrengungen von Präsident Barack Obama gesehen, eine religiös aufgeladene Sprache im Zusammenhang mit dem Terrorismus zu vermeiden. So wurden Wörter wie „Dschihad“, was auch eine friedliche religiöse Bedeutung hat, nicht verwendet. Anstatt von „islamistischen Extremisten“ sprach man von „Terroristen“ und „Massenmördern“.

„Die Informationen, die wir in Bin Ladens Haus entdeckt haben, zeigen, dass Al-Qaida unter enormen Druck steht“, sagte Obama in seiner Rede zum Truppenrückzug aus Afghanistan. Bin Laden sei in Sorge gewesen, dass al-Qaida nicht in der Lage sei, ranghohe getötete Terroristen zu ersetzen, sagte der US-Präsident. Zudem habe der Terroristenführer seine Organisation mit ihrem Versuch, Amerika als ein mit dem Islam im Krieg befindliches Land darzustellen, als gescheitert betrachtet.

Seine Überlegungen zu einer Umbenennung von al-Qaida hatte Bin Laden in einem Brief festgehalten, so wie viele seiner Schriften. Ein Empfänger wurde jedoch nicht identifiziert. Laut einem US-Vertreter hat der Geheimdienst herausgefunden, dass Bin Laden nur mit seinen ranghöchsten Befehlshabern kommunizierte. Darunter sein damaliger Stellvertreter Aiman al-Sawahiri sowie die Nummer drei des Terrornetzwerks, Mustafa Abu al-Jasid. Letzterer wurde im vergangen Jahr bei einem US-Luftangriff getötet, al-Sawahiri hat den getöteten Bin Laden mittlerweile ersetzt.

In einem Brief an seinen Stellvertreter, der im vergangenen Jahr an diesen geschickt wurde, schreibe Bin Laden, dass al-Qaidas Image unter den Angriffen auf Muslime gelitten habe, insbesondere im Irak, berichten US-Vertreter. In anderen Aufzeichnungen habe er sich frustriert gezeigt darüber, dass viele seiner früheren Kampfgefährten aus Afghanistan getötet oder gefangen genommen worden seien.

Mittels seines Kurier-Systems konnte Bin Laden weiterhin ein gewisses Maß an operativer Kontrolle über Al-Qaida ausüben. Doch die Männer, die er führte, wurden zunehmend jünger und unerfahrener. Die Generäle, die sich für diese jungen Kämpfer verbürgt hatten, waren häufig tot oder im Gefängnis. Bin Laden, unfähig seinen Unterschlupf zu verlassen und ohne Internet und Telefon, war verärgert, dass er so viele Leute in seiner eigenen Organisation nicht kannte.

Die Durchsicht der in Abbottabad gefundenen Dokumente ist nach Angaben von US-Vertretern im wesentlichen abgeschlossen. Doch Geheimdienstanalysten werden in ihnen noch für lange Zeit nach Informationen schürfen. (dapd)