Schwere Vorwürfe wegen ziviler Opfer. Gaddafi lässt seine Söldner in Privatwohnungen verlegen. Deutsche debattieren über Flüchtlinge.

Tripolis/Peking. Nato-Flugzeuge sollen am Montag das Anwesen des libyschen Führungsmitglieds al-Chuedi al-Hamidi angegriffen haben. Der Politiker, der dem Revolutionären Kommando-Rat Libyens angehört, wurde nicht verletzt, sagte Regierungssprecher Mussa Ibrahim in Tripolis. 13 Zivilisten, unter ihnen zwei Söhne und eine Schwiegertochter al-Hamidis, seien bei dem Angriff ums Leben gekommen. Acht Luft-Boden-Raketen schlugen in den Gebäudekomplex in Surman 80 Kilometer westlich von Tripolis ein, berichtete ein BBC-Reporter vor Ort. Seinen Angaben zufolge waren unter den Toten zwei Kleinkinder und eine schwangere Frau. Die Nato wies den Bericht zurück und erklärte, in den vergangenen 24 Stunden seien in der Region keine Luftangriffe geflogen worden.

Al-Hamidi gehört zum inneren Machtzirkel um Oberst Muammar al-Gaddafi. Er war ein Gefährte des Diktators, als dieser sich 1969 unblutig an die Macht putschte. Eine seiner Töchter ist mit Gaddafis ältestem Sohn Saadi verheiratet. Zuletzt kursierten allerdings Gerüchte, dass er seine politischen Ämter niedergelegt habe und unter Hausarrest stehe. Ausländische Journalisten wurden später zu dem Anwesen rund 60 Kilometer westlich von Tripolis geführt. Das zweistöckige Hauptgebäude war zerstört und am Boden waren mehrere Krater zu sehen. Rettungskräfte suchten mit Spürhunden im Schutt nach Überlebenden.

Das nordatlantische Bündnis greift auf der Grundlage eines Uno-Sicherheitsratsmandates militärische Ziele in Libyen an, um die Zivilbevölkerung vor Übergriffen des Gaddafi-Regimes zu schützen. Gezielte Attacken auf Gaddafi selbst oder sein Führungspersonal sind nach Ansicht von Experten durch dieses Mandat nicht gedeckt.

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Am Sonntagabend hatte die Nato eingeräumt, irrtümlich ein Wohnhaus in Tripolis bombardiert zu haben. Der Oberkommandeur des Nato-Einsatzes in Libyen, der kanadische General Charles Bouchard, bedauerte in einer Erklärung den Vorfall. Dabei waren nach offiziellen libyschen Angaben in der Nacht zum Sonntag drei Zivilisten, unter ihnen ein Kleinkind, ums Leben gekommen.

Gaddafi verlegt seine Söldner offenbar in Privatwohnungen. In der Hauptstadt Tripolis sollen die Bewohner einer Siedlung neben dem Al-Hadhaba-Al-Chadhra-Krankenhaus aus ihren Wohnungen vertrieben worden sein, um Platz für die Söldner zu machen. Diese seien zuvor in einem Studentenwohnheim untergebracht gewesen, hieß es. Den eigentlichen Bewohnern der Siedlung habe man gesagt, sie sollten ihre Wohnungen räumen, weil dort Nato-Luftangriffe zu befürchten seien.

Derweil sprach sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gegen eine stärkere Aufnahme nordafrikanischer Flüchtlinge in der Europäischen Union aus. Es müsse das oberste Prinzip bleiben, „den Menschen vor Ort zu helfen“, sagte Friedrich. Er wies damit Forderungen zurück, Deutschland solle zumindest einen Teil der mehreren Tausend ostafrikanischen Arbeiter aufnehmen, die von Libyen nach Tunesien flüchteten und dort in Lagern leben. Die EU-Staaten haben bislang die Aufnahme von rund 800 Flüchtlingen aus Libyen zugesagt.

Bei einer Veranstaltung zum 60-jährigen Bestehen der Genfer Flüchtlingskonvention hatten sich unter anderem die Organisationen Pro Asyl und Amnesty International für die Aufnahme ausgesprochen. Es könne ein „Signal“ sein, dass Europa den historischen Umbruch in Nordafrika unterstütze, betonte Pro Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. In der Region hätten diese Flüchtlinge zudem keine Perspektive mehr. Friedrich warnte dagegen vor jedem „Signal, in die Boote zu gehen“. Auf diesem Wege kämen ganz überwiegend Wirtschaftsmigranten, die keine Chance auf Asyl hätten.

Der CSU-Politiker sprach sich für eine weitere Harmonisierung des europäischen Asylrechts aus. Zugleich räumte er ein, die laufenden Verhandlungen seien „zäh und schwierig“. Ein Grundsatz müsse sein, dass dadurch keine neuen Anreize für Wirtschaftsmigranten entstünden, betonte Friedrich. Er wies das Argument zurück, die im Vergleich zu den 1990er-Jahren deutlich geringeren Flüchtlingszahlen ermöglichten eine großzügigere Aufnahmepraxis. Ein europäisches Asylsystem müsse „für schwierige Großwetterlagen planen“. Friedrich betonte zugleich, die Genfer Flüchtlingskonvention bleibe „Kernstück und Ausgangspunkt“ der EU-Asylpolitik.

Angesichts der dramatischen Lage in Nordafrika haben Menschenrechtsorganisationen vom Land Niedersachsen die Aufnahme akut gefährdeter Flüchtlinge verlangt. Mit dem Grenzdurchgangslager Friedland stehe Niedersachsen in einer besonderen Verantwortung, hieß es in einer an Landtagspräsident Hermann Dinkla (CDU) überreichten Petition. „Hier geht es um eine akute Lösung für Flüchtlinge, die zwischen alle Fronten geraten sind“, sagte Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. „Es geht nicht um eine Debatte, ganz Afrika nach Europa zu holen“, betonte Weber. (dpa/dapd)